Auf dem Gipfel gibt's keinen Cappuccino. Heidi Sand

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Auf dem Gipfel gibt's keinen Cappuccino - Heidi Sand Themen

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war diese Reaktion auch seine Art, mit der Situation umzugehen. Ich erklärte ihnen mein Ziel, die Wichtigkeit, die Dringlichkeit des Ganzen, und am Ende war ich ihnen sehr dankbar, dass sie es verstanden und akzeptierten – und vor allem dass sie mich unterstützten.

      Ich habe mich akribisch auf den Everest vorbereitet. Ich war viel im Gebirge, wo ich Marathondistanzen absolvierte, um genug Höhenmeter in die Beine zu bekommen. Dazu kamen das notwendige Krafttraining und sehr lange Skitouren – und viel Literatur. Allerdings fiel mir der Anfang der Vorbereitung sehr schwer. Ich war durch die Chemo geschwächt, hatte keine Lust, die Couch zu verlassen, fühlte mich nicht in der Lage, allzu lange Strecken zu bezwingen. Aber ich hatte ein Ziel und ich wusste, dass dieser Weg mit einem Schritt beginnt. Und darauf folgte ein Schritt nach dem anderen. Erst sehr langsam, bis ich selber merkte, dass ich schneller wurde, und dann ging es mit jedem Schritt ein bisschen besser. Ans Aufgeben dachte ich tatsächlich nie. Ich bot dem Schicksal die Stirn und ging weiter. Irgendwann hatte ich mein Ziel endlich vor Augen und arbeitete unermüdlich darauf hin. So sehr sogar, dass unser Hund Ronia, ein Mischling zwischen Hovawart und Neufundländer, sich schlafend stellte, sobald ich meine Laufschuhe herausholte. Die Arme hatte irgendwann keine Lust mehr auf dreistündige Ausdauerläufe. Verdenken kann ich es ihr nicht. Meine Freundin Sylvie, mein Freund Uwe und mein Bruder Max, meine eigene kleine Trainingsgruppe sozusagen, sind mir eine große Stütze in dieser Zeit gewesen, und hier zeigte sich auch, wie wichtig Teamwork ist, wenn man ein Ziel erreichen möchte. Alleine ist es leichter aufzugeben, eine Ausrede zu finden, um nicht weitermachen zu müssen. Während der Chemo waren es der Halt und die Unterstützung meiner Familie, die mich trugen, und während der Trainingsphase schöpfte ich unerlässliche Kraft aus meiner Gruppe. Teamwork würde auch am Everest wichtig werden.

      Die entscheidenden Faktoren sind jedoch die, die man schwer zu Hause trainieren kann: Wie reagiert dein Körper auf 6 000 oder 7 000 oder 8 000 Meter Höhe? Wirst du dein Ego im Griff haben? Wenn es 100 Meter vor dem Gipfel hart auf hart kommt, hast du dann wirklich den Mut umzudrehen, oder wirst du stur weitergehen, weil der Gipfel so nah ist, und dich damit vermutlich umbringen? Nicht stehen bleiben zu dürfen, ein Gedanke, den ich sehr schätze und in bestimmten Momenten rigoros verfolge, kann am Everest trotz aller Notwendigkeit auch gefährlich werden. Wer nicht erkennt, wann er umdrehen muss, und weitergeht, stirbt genauso wie der, der stehen bleibt. Das sind Gedanken, die mich beschäftigten, die ich aber im Hinterkopf abspeicherte. Ich konnte sie nicht beeinflussen, aber ich konnte mich, so gut es geht, vorbereiten. Sehr zur Freude meiner Nachbarn. Ich werde später noch über den Khumbu-Eisfall schreiben, eine der ersten und größten Herausforderungen nach dem Basislager. Hier klettert man mit vorinstallierten Leitern über die Schluchten der sich in Bewegung befindenden Eislandschaft. Der Khumbu-Eisfall ist wie Russisches Roulette und entsprechend berüchtigt, und ich wollte mich zumindest möglichst gut vorbereiten. Also stellte ich zwei Stühle in unseren Garten, legte unsere Gartenleiter darauf und übte. In voller Montur. Stellen Sie sich vor, Sie gucken aus dem Fenster und sehen Ihre Nachbarin in voller Bergsteigermontur im Garten auf einer Leiter herumklettern. Aber es hat geholfen. Dass meine Reise am Khumbu-Eisfall trotzdem fast zu Ende gewesen wäre, ist eine Geschichte für ein späteres Kapitel.

      Vor dem Everest unterzog ich mich einem weiteren Test, sozusagen einer Generalprobe. Im Sommer 2011, ein halbes Jahr nach dem Abschluss meiner Chemotherapie, wollte ich mit drei anderen Bergsteigern auf den Cho Oyu steigen, den sechst­höchsten Berg der Welt, einen Achttausender im Himalaya-­Gebirge, nur 20 Kilometer westlich vom Everest. Ich wollte dem Giganten schon einmal zuwinken. Doch den Aufstieg zum Cho Oyu schafften wir nicht. In Lager 2 auf 6 400 Meter passierte das, woran man nie denken möchte, worauf man aber vorbereitet sein muss. Ich befand mich gerade in meinem Zelt, als ich das Donnern das erste Mal hörte. Im ersten Moment ordnete mein Gehirn das Geräusch einem ICE zu. Was wenig Sinn ergab, da auf 6 400 Metern eher keine Züge fahren. Für einen weiteren Gedanken fehlte mir die Zeit. Der Boden wackelte und ächzte, und dann ging krachend eine Lawine ab. Ich rannte aus dem Zelt und starrte ungläubig mit den anderen auf das Schauspiel um uns herum. Während weitere Lawinen abgingen und eine gespenstige Dunkelheit aufzog, schafften wir es, Kontakt mit dem Basislager aufzunehmen, und erfuhren, dass wir es mit den Auswirkungen eines Erdbebens zu tun hatten. Wir mussten die Nacht im Lager verbringen, ständig in Sorge, dass sich weitere Lawinen auf uns stürzen oder dass unser Rückweg ins Basislager unpassierbar sein könnte.

      Natürlich war ich heilfroh, als wir am nächsten Tag gesund unten ankamen, und speicherte die wertvolle Erfahrung sofort ab. Es ist keine Schande umzudrehen, sagte ich mir. Nein, ich war sicher, dass es sogar mutiger ist, diese Entscheidung zu treffen als weiterzugehen. In diesem Moment versprach ich mir, den Everest zu überleben. Ich versprach, die richtige Entscheidung zu fällen, wenn es darauf ankommen sollte. Wir machen uns ja so häufig Gedanken darüber, was andere denken könnten. Wir wollen erfolgreich sein und keine Fehler eingestehen. Wir wollen das Projekt um jeden Preis zu Ende bringen. Wir versuchen auf Teufel komm raus eine Beziehung zu retten, die nicht mehr zu retten ist. Was sagen sonst die Nachbarn? Nun ja, ich gebe zu, dass auch ich darüber nachgedacht habe, was ich sagen würde, wenn ich «gipfellos» vom Everest zurückkäme. Aber bedeutet Aufgeben denn immer etwas Schlechtes? Ist es immer negativ, wenn man sein Verhalten

      ändert oder ein Ziel anpasst? Geht es nicht vor allem darum, selber damit leben zu können? Muss man am Ende nicht sich selber Rechenschaft ablegen?

      Ich schreibe dieses Buch nicht, weil ich glaube, auf alles eine Antwort zu haben. Die habe ich leider nicht. Aber ich habe aufgrund meiner schweren persönlichen Krise Erfahrungen gemacht, die ich nie für möglich gehalten hätte und die ich nie hatte kommen gesehen – und ich möchte sie weitergeben. Jeder kann von einer Krise aus der Bahn geworfen werden, aber jeder von uns kann sich dem auch entgegenstellen. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen nicht einfach nur meine Geschichte erzählen, sondern Sie inspirieren, Ihren eigenen Everest in Angriff zu nehmen. Ich nehme Sie mit auf meine Reise, um auch Sie zu ermutigen, einen Schritt vor den anderen zu machen und durchzuhalten. Und diese Reise begann für mich im März 2012 in dem zauberhaften Chaos von Kathmandu.

      Jeder Gipfel beginnt mit einem ersten Schritt

      Mein Puls steigt bereits beim Anflug auf Kathmandu, als kurz vor der Landung plötzlich die Felskette des Himalaya mit seinen gewaltigen Felsgraten und Eisflanken, den markanten Gipfeln und diesem unvergleichlichen Panorama auftaucht. Ich sehe den Lhotse und den Dhaulagiri, den Cho Oyu und den Makalu. Und natürlich sehe ich auch den Mount Everest. Er ist in diesem Moment 100 Kilometer entfernt, aber unübersehbar. Selbst auf diese Entfernung strahlt er etwas Besonderes aus.

      Auf dem Weg ins Hotel in Kathmandu kommt, geprägt von den buddhistischen und hinduistischen Einflüssen, zwischen hupenden Autos, Kühen, Motorrädern und Rikschas eine ganz besondere Stimmung in mir auf. Während es bei uns Hunderte von Straßenregeln gibt, gilt hier, glaube ich, nur eine: niemals nachgeben. Wer die Fahrbahn wechselt oder überholen möchte, macht keinen Schulterblick und analysiert erst mal die Situation. Nein, hier hupt man kräftig und gibt Gas. Wenn Sie glauben, dass der Arc de Triomphe in Paris ein Abenteuer ist, dann sollten Sie nach Kathmandu kommen. Das Chaos der Stadt verschlägt mir erst mal die Sprache, und ich bin heil­froh, als ich die Taxifahrt durch die engen Gassen unbeschadet überlebt habe. Mein Fokus lag so sehr auf dem Everest, dass ich nicht damit gerechnet hatte, bereits vorher in eine komplett andere Welt einzutauchen. Aber ich begegne diesen neuen Eindrücken mit großen Augen und offenen Armen und finde sie sehr erfrischend, sodass die Aufregung und Vorfreude praktisch minütlich steigt. Es liegt so viel hinter mir, und etwas Großes vor mir. Mein Mann Arne und Sylvie, meine Freundin und Trainingspartnerin, sind bei mir, was mir zusätzliche Kraft gibt. Hier in Kathmandu treffe ich auch zum ersten Mal die anderen Expeditionsteilnehmer. Die Gruppe besteht aus insgesamt 23 Personen, die aus den unterschiedlichsten Ländern kommen und aus den unterschiedlichsten Gründen hier sind. Zwölf von ihnen werden auf dem Gipfel stehen, aber das wissen wir jetzt noch nicht. Aktuell schweißt uns nur das gemeinsame Ziel zusammen.

      Wir werden nicht die einzige Expedition am Berg sein. Im Basislager warten bereits Hunderte andere Bergsteiger und

      diverse

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