Die Netflix-Revolution. Oliver Schütte

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Netflix-Revolution - Oliver Schütte страница 5

Die Netflix-Revolution - Oliver Schütte Midas Sachbuch

Скачать книгу

die Emotionen hautnah und erlebt sie mit. Schnitt und Kameraperspektive können diesen Effekt noch zusätzlich unterstützen. Und die Entstehung von Empathie ist immer auch damit verbunden, dass die Zuschauer eine Narration konstruieren. Darum fällt es der Fotografie schwer, sie zu erzeugen. Film ist also die perfekte »Empathiemaschine«. Er erzählt uns Schicksale von Menschen und läßt uns Emotionen erleben, die wir so auf keine andere Art und Weise erlangen. Das Erzählen von Geschichten war für die Menschheit schon immer ein wichtiger Bestandteil, um Erfahrungen weiterzugeben und sich zu entwickeln. Mit dem Film bekam dieser elementare Bestandteil unser Entwicklungsgeschichte eine neue Qualität.

       KAPITELimage

       DIE FLIMMERKISTE

      Heute Abend hatte Christoph keine Lust auf das übliche Fernsehprogramm. Ein Blick in die Fernsehzeitschrift hatte ihm verraten, dass nur eine Show und eine Serie im Angebot war. Er hatte eher das Bedürfnis auf einen anspruchsvollen Film. Vielleicht sogar Hannah und ihre Schwestern, von dem die Freunde vor einem halben Jahr geschwärmt hatten, als er im Kino lief. Woody Allen hat wieder mal eine Glanzleistung vollbracht, hatte seine beste Freundin Bettina erzählt.

      Er zog sich einen Mantel über und stieg in sein Auto. Die Fahrt durch den abendlichen Verkehr dauerte nicht lange, da hatte er die Videothek erreicht. Enttäuscht stellte er fest, dass Hannah und ihre Schwestern bereits ausgeliehen war. Er machte sich auf die Suche nach einem anderen Film. Einer, der seiner Stimmung entsprach. Erwartungsvoll bummelte er an den Regalen vorbei. Es dauerte keine zehn Minuten, da hatte er sein Video gefunden: Zurück in die Zukunft. Die Geschichte eines Jungen, der eine Zeitreise in seine eigene Vergangenheit unternimmt. Darüber hatte er in der Zeitung eine positive Kritik gelesen.

      Inzwischen war es aber so spät geworden, dass es sich nicht mehr lohnte, in einen Imbiss zu gehen. Er wollte sich zuhause per Telefon sein übliches schmackhaftes Currygericht bestellen. Kaum war er dort angekommen, klingelte es, und Bettina war am Apparat. Ein emotionaler Notfall, denn die Freundin hatte sich von ihrem Partner getrennt. Erschöpft legte Christoph nach zwei Stunden auf. Jetzt war er zu müde für Zurück in die Zukunft. Er würde den Film morgen anschauen, auch wenn er die lästige Verspätungsgebühr in der Videothek bezahlen musste. Um sich abzulenken, schaltete er den Fernseher an und zappte herum. Schon bald landete er bei einer Serie im ZDF: Die Wicherts von nebenan. Die Geschichte handelte von einer ganz normalen Durchschnittsfamilie. Vater Eberhard ist Schreinermeister, der seit 30 Jahren in einer mittelständischen Möbelfabrik arbeitet. Die Mutter Hannelore betreibt im Keller des Hauses einen Getränkevertrieb und ist somit immer bestens über Neuigkeiten in der Nachbarschaft informiert. Nach einer Viertelstunde schlief Christoph auf dem Sofa ein.

      Die ersten Versuche, bewegtes Bild drahtlos zu senden, begannen schon Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zum Kino, dessen Technik sich sehr schnell verbreitete, brauchte es fast 50 Jahre, bis die Maschinen zur Verbreitung von Bildern über Funkwellen ausgereift waren. Zwar gab es bereits während der Olympischen Spiele 1936 Übertragungen, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg war die Ausrüstung so weit entwickelt, dass ein sinnvoller Einsatz möglich war.

      Ich selbst gehöre zu der ersten Generation, die mit dem Fernsehen aufgewachsen ist. Meine Premiere fand allerdings statt, als ich schon zur Schule ging, und das Gerät war einer der gerade neu auf dem Markt gekommenen Farbfernseher. Ein Monstrum, dessen Farben sich eher im psychedelischen bewegten, als dass sie naturgetreu wiedergaben, was wirklich vor der Kamera zu sehen war. Trotzdem gehörten Serien wie Bonanza oder auch die Shows am Samstag schon bald zu meinem Leben.

      Vieles hat sich seitdem verändert. Die Farben sind besser geworden, Videorekorder eroberten die Wohnzimmer, die klobigen Röhrenfernseher verschwanden und wichen schicken Flachbildschirmen, aber keine Veränderung war so radikal, wie wir sie gerade erleben.

       Fenster zur Welt

      Der Filmmogul Darryl F. Zanuck postulierte 1946, als das Heimkino in den Kinderschuhen steckte: »Fernsehen wird nicht in der Lage sein, länger als sechs Monate zu überleben. Die Menschen werden schon bald müde sein, jede Nacht auf die Holzkiste zu starren.«2

      Ebenso wie das Kino überlebte das neue Medium dauerhafter als sechs Monate, und der abendliche Blick auf eine kleine Kiste im Wohnzimmer gehörte schon bald zum Alltag der meisten Menschen in Nordamerika und einem Großteil der restlichen Welt.

      In der Bundesrepublik startete 1950 der Versuchsbetrieb für ein Fernsehprogramm für ausgesuchte Zuschauer. In der DDR begann die Erprobung erst zwei Jahre später, in der Schweiz 1953 und in Österreich 1955. Das erste offizielle Programm flimmerte in Westdeutschland an Weihnachten 1952 über die wenigen Bildschirme, die bis zu diesem Zeitpunkt verkauft waren. Der damalige Intendant des westdeutschen Senders Werner Pleister erklärte das kommende Zeitalter in seiner Eröffnungsansprache: »Wir versprechen Ihnen, uns zu bemühen, das neue, geheimnisvolle Fenster zu Ihrer Wohnung, das Fenster in die Welt, Ihren Fernsehempfänger, mit dem zu erfüllen, was Sie interessiert, Sie erfreut und Ihr Leben schöner macht. Man hat das Fernsehen eine neue Form menschlicher Verständigung genannt. In der Tat: Es kann dazu führen, dass die Menschen einander besser verstehen. Man hat auch die Befürchtung geäußert, das Fernsehen könnte den Menschen schaden, da es im Zuge der Technisierung der Schöpfung sein Leben weiter mechanisiert. Es kommt auf uns an, ob dieses technische Mittel schadet oder nützt.«3

      Er formulierte damit schon, was das Fernsehen kennzeichnet und damals eine wirkliche Neuerung darstellte: Im Wohnzimmer der Menschen entstand ein Fenster zur Welt. Zum ersten Mal in der Geschichte brach das öffentliche Leben direkt und in Bildern ins Private ein. Nicht nur die reale Gegenwart wurde den Zuschauern präsentiert, auch Unterhaltung und Fernsehspiele bestimmten von Anfang an das Programm.

      Ähnlich wie das Kino bot das Fernsehen eine Verbindung der Menschen mit der Welt. Sie konnten teilhaben, ohne vor Ort zu sein. Vor dem Buchdruck beschränkte sich das Erleben der Bevölkerung meist auf den engen eigenen Erfahrungshorizont. Bücher erweiterten diesen auf reale oder fiktionale Erlebniswelten, die zeitlich und örtlich weit entfernt lagen. Mit den Zeitungen rückten die Ereignisse noch näher heran. Das Geschehen des gestrigen Tages in der Welt war nun Teil der eigenen Erfahrung. »Der Untergang des Dampfers ‚Titanic‘. 1550 Tote – 800 Gerettete« titelte die Berliner Volkszeitung 1912.

      Das Kino bot eine neue Art der Rezeption. Die Welt wurde den Menschen in Bildern präsentiert. Allerdings geschah dies im öffentlichen Raum. Film war kein Privatvergnügen, sondern fand mit anderen statt. Obwohl ein direkter Austausch durch den dunklen Zuschauerraum und die begleitende Musik verhindert wurde, war das Publikum sich bewusst, dass eine gemeinsame Erfahrung war. Mit dem Fernsehen wurde das Erlebnis wieder in die Wohnzimmer zurückgeholt, denn ähnlich wie die Lektüre eines Buches oder einer Zeitung kam die Welt ins eigene Heim. Darum wurde in den ersten Jahren dieser Aspekt in vielen Artikeln und auch in der Werbung hervorgehoben. »Vor dem Bildschirm glücklich vereint. Fernsehen bringt eine neue Zeit familiärer Geselligkeit«, stand Ende der 50er Jahre in einer Zeitungsanzeige.

      Vielleicht lag es daran, dass der Krieg nur wenige Jahre zurücklag, aber die beliebtesten Sendungen waren zunächst eher eskapistische Programme wie Tiersendungen und Sportereignisse. Zu den ersten wirklich großen Liveübertragungen gehörte 1953 die Krönung von Königin Elizabeth II. Und natürlich war die Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz einer der herausragenden Momente der frühen Fernsehjahre (»Das

Скачать книгу