Mord im Herrenhaus. Фиона Грейс
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Hinter der Bar stand ein dünnes Mädchen mit hellblondem Haar, das auf ihrem Kopf zu einem unordentlichen Knoten geschlungen war. Sie wirkte viel zu jung, um an einer Bar zu arbeiten. Doch dann dachte Lacey, dass ihr die Barfrau wohl nur so jung erschien, weil man in England schon früher mit dem Alkoholkonsum anfangen durfte als in Amerika als deswegen, weil sie langsam in das Alter kam, in der ihr alle anderen viel zu jung vorkamen.
„Was darf es für Sie sein?“ fragte die Barfrau.
„Ein Zimmer und ein Glas Prosecco“, antwortete Lacey.
Ihr war irgendwie nach Feiern zumute.
Doch die Barfrau schüttelte den Kopf und sagte mit einem so weit geöffneten Mund, dass man den Kaugummi zwischen ihren Zähnen sehen konnte: „Wir sind über Ostern ausgebucht. Übrigens genauso wie alle anderen Unterkünfte in der Stadt auch. Denn wegen der Schulferien machen viele Familien Urlaub hier bei uns in Wilfordshire. Mindestens für die nächsten zwei Wochen geht da zimmermäßig gar nichts mehr.“ Nach einer kleinen Pause fragte sie: „Also dann nur einen Prosecco?“
Lacey musste sich an der Bar festhalten, um nicht umzukippen. Ihr Magen rotierte. Jetzt glaubte sie endgültig, die dümmste Frau der Welt zu sein. Inzwischen wunderte es sie gar nicht mehr, dass David sie verlassen hatte. Denn sie war einfach das personifizierte Chaos. Eine Schande für die ganze Menschheit. Da stand sie nun und tat so, als wäre sie ein erwachsener Mensch, der zu selbstständigem Handeln in der Lage war, und dabei konnte sie sich nicht einmal ein Hotelzimmer organisieren.
In diesem Moment sah Lacey jemanden von der Seite her auf sie zukommen. Als sie sich umdrehte, stellte sich dieser jemand als ein Mann von etwas über 60 Jahren heraus, der ein in seine Jeans gestecktes Hemd mit Gingham-Muster sowie eine von seinem Gürtel baumelnde Handy-Gürteltasche trug und sich eine Sonnenbrille auf seinen Glatzkopf gesteckt hatte.
„Habe ich richtig verstanden, dass Sie eine Unterkunft suchen?“ fragte er sie.
Lacey wollte gerade sagen, dass dem nicht so sei – denn so verzweifelt sie auch sein mochte, war es eher Naomis Stil mit einem Mann mitzugehen, der doppelt so alt war wie sie und sie noch dazu in einer Bar angesprochen hatte. Doch dann sagte der Mann: „Ich vermiete nämlich Ferienhäuser.“
Sie war so überrascht, dass sie nur ein erstauntes „Oh?“ als Antwort hervorbrachte.
Der Mann nickte und zog eine kleine Visitenkarte aus seiner Jeanstasche hervor, die Lacey schnell überflog. Da stand:
Ivan Parrys gemütliche, rustikale, einfach zauberhafte Ferienhäuser Die ideale Unterkunft für die ganze Familie!
„Wie Brenda schon sagte bin auch ich ausgebucht“, fuhr Ivan mit einem kurzen Nicken in Richtung der Barfrau fort. „Bis auf ein Haus, das ich gerade bei einer Auktion ersteigert habe. Eigentlich ist es noch nicht so weit hergerichtet, dass man es vermieten könnte, aber wenn Sie wirklich nichts anderes haben, dann zeige ich es ihnen gerne. Weil es noch nicht so tipptopp in Schuss ist, würde ich es Ihnen zu einem günstigen Preis vermieten - nur so als Zwischenlösung, bis Sie in einem Hotel unterkommen können.“
Lacey fühlte sich unglaublich erleichtert. Die Visitenkarte sah echt aus und Ivan kam ihr auch nicht vor wie ein Typ, der darauf aus war, jemanden abzuschleppen. Endlich schien das Glück ihr wieder hold zu werden! Sie war so erleichtert, dass sie Ivan am liebsten einen Kuss auf seinen kahlen Schädel gedrückt hätte!
„Sie haben mir gerade das Leben gerettet“, sagte sie stattdessen.
Ivan errötete. „Warten Sie mit Ihrem Lob besser erst mal ab, bis Sie das Haus besichtigt haben.“
Lacey kicherte. „So schlimm kann es gar nicht sein.“
*
Lacey keuchte wie ein Ackergaul als sie neben Ivan her den steilen Abhang erklomm.
„Ist Ihnen der Weg hier herauf zu steil?“ fragte er besorgt. „Ich hätte Ihnen sagen sollen, dass das Haus auf der Klippe liegt.“
„Kein Problem,“ keuchte Lacey. „Ich – liebe – die Aussicht – aufs Meer.“
Während des ganzen Weges hier herauf hatte Ivan sich als das komplette Gegenteil eines ausgebufften Geschäftsmannes erwiesen, hatte er Lacey doch immer wieder versichert, dass er ihr einen schönen Nachlass auf den Mietpreis für das Haus (den sie im Übrigen noch gar nicht ausgehandelt hatten) gewähren würde und sie gebeten. sich keine allzu großartigen Vorstellungen von dem Haus zu machen. Jetzt, wo ihr ihre Oberschenkel vom Aufstieg hier herauf ziemlich weh taten, fragte sie sich allerdings schon, ob er mit seinen Warnungen vielleicht doch recht gehabt hatte.
Ihre Zweifel fanden jedoch ein jähes Ende, als das auf dem Gipfel der Anhöhe liegende Haus in Sichtweite kam. Denn da stand es nun also als schwarze Silhouette gegen die langsam verblassenden Rosatöne des Sonnenunterganges: ein großes Steinhaus.
Lacey schnappte hörbar nach Luft.
„Ist es das?“ fragte sie immer noch atemlos.
„Das ist es“, antwortete Ivan.
Ein plötzlicher, unerwarteter Energieschub ermöglichte es Lacey, den Rest der Anhöhe auf einmal zu nehmen. Mit jedem Schritt, den sie näher an dieses hinreißende Haus herankam entdeckte sie etwas anderes an diesem, das sie begeisterte, angefangen von der hübschen steinernen Fassade über das mit Schiefer gedeckte Dach und die Rosenstaude, die sich um die hölzernen Pfeiler der Veranda rankte, bis hin zu der massiven alten Haustür, die aussah als wäre sie der Illustration eines Märchenbuches entsprungen. Und als Sahnehäubchen zu dem Ganzen hatte man von hier aus auch noch einen überwältigenden Blick auf das glitzernde, leise vor sich hin rauschende Meer.
Mit weit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund nahm Lacey die letzten Schritte bis zu dem Haus sozusagen im Galopp. Neben der Tür desselben hing ein Schild, das es als Crag Cottage auswies.
Ivan, der inzwischen neben ihr aufgetaucht war, zog einen großen Schlüsselbund hervor und durchsuchte diesen mit ziemlichem Klappern nach dem richtigen Schlüssel für das vor ihnen stehende Haus. Lacey kam sich vor wie ein Kind, das ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tretend vor einem Eiswagen stand und darauf wartete, dass die Softeismaschine endlich seine Portion Eis ausspuckte.
„Erwarten Sie bloß nicht zu viel“, sagte Ivan zum gefühlt tausendsten Mal als er endlich den richtigen Schlüssel gefunden hatte, der übrigens - groß und aus inzwischen rostiger Bronze gefertigt wie er war – nicht nur aussah, als gehöre er zum Schloss von Rapunzel, sondern auch perfekt zu dem Haus passte. Endlich war es soweit: Ivan steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um und schob die Tür des Hauses auf.
Keine Sekunde später stand Lacey schon mitten in dem Haus und fühlte sich sofort wie zuhause darin.
Den Korridor mit seinen Bohlen aus unbearbeitetem Holz und seinen verblassten Chintztapeten konnte man – wohlwollend formuliert – nur als rustikal bezeichnen. Und die Mitte der zu Laceys rechten nach oben führenden Treppe war mit einem plüschigen roten Läufer ausgelegt, der an den Seiten von goldfarbenen Teppichstangen