National Geographic Bildband: Vogelreich. 300 berührende Fotografien vom Aussterben bedrohter Vögel.. Noah Strycker
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Blauohr-Honigfresser (Entomyzon cyanotis), nicht gefährdet
In den vergangenen zehn Jahren habe ich es zu meiner Mission gemacht, alle Tiere weltweit zu fotografieren, die sich in menschlicher Obhut befinden – seltene und häufig vorkommende Arten, um die man sich in Zoos kümmert, Arten in Not aus Auffangstationen und quasi ausgestorbene Arten aus der Hand privater Züchter. Zum jetzigen Zeitpunkt habe ich rund 6.500 der geschätzten 13.000 Spezies abgelichtet, die ich insgesamt an Bord der Photo Ark, meiner fotografischen Arche, bringen möchte. Und bei knapp einem Drittel der fotografierten Arten handelt es sich um Vögel. Für sie scheine ich eine Vorliebe zu haben. Vögel haben in meiner Sicht der Natur bereits eine besondere Rolle gespielt, als ich noch klein war. Wie sie da melodisch von irgendeinem hohen, verborgenen Zweig in den Kronen der Bäume sangen und schon wieder weg waren, bevor ich auch nur einen Blick auf sie erhaschen konnte. Sie waren gewissermaßen mein Heiliger Gral – mysteriös und unerreichbar.
Meine Mutter und mein Vater lehrten mich zwar die Vögel schätzen, die um mich herumflatterten, wenn ich mit meinem Rad unterwegs war oder Ball spielte, aber es waren Bücher wie das, das Sie gerade in Händen halten, die mich die geflügelten Wunder erstmals wirklich wahrnehmen ließen. Bei den wunderbaren Farbabbildungen, den verheißungsvollen Namen und den detailliert dargestellten Zugrouten bekamen die Seiten meines Vogelführers für Anfänger bald jede Menge Eselsohren.
In den 1960er-Jahren kaufte meine Mutter mir dann das Time-Life-Buch The Birds. Ganz hinten fand sich eine grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahme von Martha, der allerletzten Wandertaube. Ihre Art, einst milliardenfach vertreten, war für den Tierhandel bis zu diesem letzten Vogel bejagt worden, der nun einsam in einem Käfig im Zoo von Cincinnati saß.
Dieses Foto ließ mich nicht los. Wieder und wieder sah ich es mir an, ebenso wie die Schwarz-Weiß-Zeichnungen auf den anderen Seiten, die weitere inzwischen ausgestorbene Vögel darstellten: das Heidehuhn, die Labradorente, den Riesenalk und den Karolinasittich. Wie um alles in der Welt kann es geschehen, dass der Mensch einen Vogel absichtlich zum Aussterben verdammt? Darüber kam ich schon als Kind nicht hinweg und komme es auch heute noch nicht.
Weshalb ich mir keine Chance entgehen lasse, eine weitere Vogelart zu fotografieren. Ich möchte den Vögeln eine menschliche Stimme geben und die Welt wissen lassen, wie einzigartig jeder von ihnen ist, damit das Aussterben eines Tages vielleicht selbst der Vergangenheit angehört.
Fotos für die Photo Ark zu machen, ist mir die größte Ehre im Leben – aber auch eine große Verantwortung. Viele Vogelarten werden dabei das erste und einzige Mal gut dokumentiert; die Photo Ark ist ihre einzige Chance, der Welt ihre Geschichte zu erzählen. Und dabei lässt uns das Buch erst erahnen, welch erstaunliche Vogelvielfalt es auf Erden gibt.
Ob es diese Arten in die Zukunft schaffen, hängt von jedem Einzelnen von uns ab und beginnt mit etwas so Simplem wie der Photo Ark, die zahlreichen Menschen die Gelegenheit gibt, Tausende atemberaubender Spezies zu betrachten – eine Gelegenheit, die sie sonst nicht haben. Wir können die Tiere nicht retten, wenn wir nicht wissen, dass sie existieren.
Wenn der Gesang der Vögel bei Sonnenaufgang erklingt, gehen die uralten Rufe weit über die Balz und das Verteidigen des Reviers hinaus. Was wir da hören, ist tatsächlich die Stimme der Wildnis. Vögel singen aus vollstem Herzen, unverwüstlich und entschlossen. Und das werden sie auch weiterhin tun … vorausgesetzt, wir schützen sie.
Wie Sie das tun können? Den örtlichen Naturschutzbund zu unterstützen ist schon einmal ein guter Anfang, aber auch darüber sprechen hilft. Lassen Sie andere wissen, dass Sie keine Chemikalien in Ihrem Garten verteilen und wollen, dass Wälder, Wiesen, Marsche und Flüsse erhalten bleiben.
Solcherlei Schutzmaßnahmen machen Mühe – die sich aber unendlich lohnt. Die Zukunft der Vögel ist mit der unseren enger verwoben, als wir bislang ahnen. Wir steigen gemeinsam auf oder gehen gemeinsam unter.
DIE ABKÜRZUNGEN DER IUCN
Die weltweite Organisation International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben. In ihrer Roten Liste gefährdeter Arten sind zahlreiche Tier- sowie Pflanzenspezies nach ihrem Aussterberisiko verzeichnet, bewertet und einer bestimmten Kategorie zugeordnet. In diesem Buch sind alle abgebildeten Arten nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit ihrem jeweiligen IUCN-Status versehen.
EX: | Extinct, ausgestorben |
EW: | Extinct in the Wild, in der Natur ausgestorben |
CR: | Critically Endangered, vom Aussterben bedroht |
EN: | Endangered, stark gefährdet |
VU: | Vulnerable, gefährdet |
NT: | Near Threatened, potenziell gefährdet |
LC: | Least Concern, nicht gefährdet |
NE: | Not Evaluated, nicht beurteilt |
EINFÜHRUNG / NOAH STRYCKER
Vögel sind so universell wie die Luft, so weitverbreitet wie das Lachen. Sie leben überall – an Ozeanen und im Gebirge, in Wüsten und Wäldern, am Äquator und an den Polen der Erde – und im Gegensatz zu uns brauchen sie zum Reisen keinen Pass. Sie breiten einfach ihre Schwingen aus, überqueren Grenzen und trotzen der Schwerkraft. Kein Wunder, dass sie auf der ganzen Welt als Symbol der Freiheit, der Liebe und des Friedens gelten.
Vögel tauchen in den ersten künstlerischen Gehversuchen der Menschheit auf: Die Höhlenmalereien in Frankreich, Indien und Tennessee zeigen neben großen Tieren, Jägern und anderen Szenen auch Myriaden geflügelter Kreaturen. Was genau diese frühen Illustratoren antrieb, wissen wir nicht, doch erinnern uns ihre Bilder daran, dass die Anziehungskraft, die Vögel auf uns ausüben, nicht neu ist.
Die bildenden Künste haben beim Dokumentieren unserer gefiederten Freunde schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Auf einem vor Kurzem entdeckten Felsengemälde im nördlichen Australien beispielsweise ist offenbar eine riesige, flugunfähige Art von »Donnervögeln« dargestellt, die dreimal so groß wie ein Emu war und wahrscheinlich vor 40.000 Jahren ausstarb. Wenn das stimmt, wäre das Gemälde das einzige existierende Lebendporträt dieser Spezies und darüber hinaus das älteste Kunstwerk Australiens. So schafft es die schlichte Skizze eines Vogels, ein uraltes Tier unsterblich zu machen und gleichzeitig die Menschheitsgeschichte umzuschreiben.
Die Macht des Bildes kann man auch daran erkennen, dass es ein Bildband über Vögel war, der eine Zeit lang den Rekord als teuerstes gedrucktes Buch, das je verkauft wurde, hielt: Eine Originalausgabe von John James Audubons Birds of America wurde im Jahr 2010 für sagenhafte 11,5 Millionen Dollar versteigert. Ein solches Vermögen hätte sich Audubon selbst vermutlich nie vorstellen können. Er war im Alter von 18 Jahren nach Amerika geschickt worden, um dem Wehrdienst in der Armee Napoleons zu entgehen, gründete dort ein Unternehmen, ging bankrott und machte sich in den 1820er-Jahren mit Farben und Gewehr auf den Weg, um die wild lebenden Vögel des nordamerikanischen Grenzlands zu malen.
Der daraus