Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo
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Читать онлайн книгу Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo страница 13
Er näherte sich Seiner Eminenz, und nicht ohne große Furcht vor ihrem Mißfallen erzählte er ihr stotternd die Unschicklichkeit des Volkes: daß Mittag vor Erscheinen Seiner Eminenz herangekommen sei, und daß die Schauspieler gezwungen worden wären, anzufangen, ohne Seine Eminenz zu erwarten.
Der Cardinal lachte laut auf.
»Meiner Treu! der Herr Universitätsrector würde es ebenso haben machen müssen. Was sagt Ihr dazu, Meister Wilhelm Rym?«
»Hochwürdigster Herr,« entgegnete Wilhelm Rym, »wir wollen zufrieden sein, dem halben Schauspiele glücklich entgangen zu sein; das ist immer etwas gewonnen.«
»Dürfen die Schurken mit ihrer Posse fortfahren?« fragte der Vogt.
»Mögen sie fortfahren, immer zu,« sagte der Cardinal, »meinetwegen. Unterdessen will ich in meinem Brevier lesen.«
Der Vogt ging an den Rand der Tribüne und rief, nachdem er mit der Hand Ruhe geboten hatte:
»Bürger, Insassen und Einwohner! Um diejenigen zufrieden zu stellen, welche wünschen, daß man wieder anfange, und diejenigen, welche wollen, daß man schließe, befiehlt Seine Eminenz, daß fortgefahren werde.«
Beide Parteien mußten sich schließlich zufrieden geben. Indessen hegten Dichter und Publikum lange Zeit Groll gegen den Cardinal.
Die Personen auf der Bühne nahmen ihren Vortrag also wieder auf, und Gringoire hoffte, daß wenigstens die andere Hälfte seines Stückes angehört werden würde. Diese Hoffnung wurde jedoch bald getäuscht, wie seine übrigen Illusionen; die Ruhe war allerdings im Zuhörerraume so ziemlich wieder hergestellt, aber Gringoire hatte nicht bemerkt, daß im Augenblicke, wo der Cardinal das Zeichen fortzufahren gegeben hatte, die Tribüne noch lange nicht besetzt war; daß nach den flamländischen Gesandten neue Personen, die zum Gefolge gehörten, erschienen waren, deren Namen und Titel der Thürhüter zeitweilig mitten in den Dialog hineinschrie, wodurch große Verwirrungen dabei verursacht wurden. Man denke sich die Wirkung, wenn die kreischende Stimme eines Thürhüters, mitten in einem Theaterstücke, zwischen zwei Verse und oft zwischen zwei halbe Alexandriner Einschaltungen hineinwirft, wie:
»Meister Jacob Charmolue, königlicher Procurator beim Kirchengerichtshofe!«
»Johann von Harlay, Junker, Offizier vom Dienst der reitenden Nachtwache der Stadt Paris!«
»Herr Galiot von Genoilhac, Ritter, Herr von Brussac, Chef der königlichen Artillerie!«
»Meister Dreux-Raguier, Wasser- und Forstinspector unseres königlichen Herrn im Lande Frankreich, Champagne und Brie!«
»Herr Ludwig von Graville, Ritter, Rath und Kammerherr des Königs, Admiral von Frankreich, Vogt des Vincenner Waldes!«
»Meister Denis Le Mercier, Vorsteher des Blindenhauses zu Paris!« u.s.w. u.s.w.
Das wurde unausstehlich.
Diese seltsame Begleitung des Stückes, welche es schwer machte, seinem Gange zu folgen, erregte Gringoire's Unwillen um so mehr, als er sich nicht verheimlichen konnte, daß der Reiz desselben mehr und mehr zunahm, und daß ihm nichts fehlte, als angehört zu werden. Es war in der That schwer, sich einen genialeren und dramatischeren Aufbau zu denken. Die vier Personen des Prologes wehklagten eben in ihrer peinlichen Bedrängnis, als Venus in Person (vera incessu patuit dea) vor ihnen erschienen war, in ein schönes Gewand gekleidet, das mit dem Schiffe der Stadt Paris als Wappen geschmückt war. Sie wollte selbst den Dauphin, welcher der Schönsten versprochen war, für sich fordern. Jupiter, dessen Donner man im Ankleidezimmer grollen hörte, munterte sie dazu auf, und die Göttin wollte ihn entführen, d.h. unbildlich geredet, den Herrn Dauphin heirathen, als ein junges Mädchen in weißen Damast gekleidet und eine Perle in der Hand (eine leicht ersichtliche Personification des Fräuleins von Flandern) erschienen war, um ihn der Venus streitig zu machen. – Theatereffect und plötzlicher Wechsel. – Nach einem Wortstreite waren Venus, Margarethe und die Coulissen übereingekommen, sich deshalb dem unparteiischen Urtheile der heiligen Jungfrau zu unterwerfen. Es war noch eine schöne Rolle im Stück: die des Dom Pedro, des Königs von Mesopotamien; aber wegen der vielen Unterbrechungen war es schwer, herauszufinden, was sie vorstellte. Alles das war die Leiter hinaufgestiegen.
Es war aber darum geschehen; keine der Schönheiten wurde empfunden oder verstanden. Man hätte sagen mögen, daß mit dem Erscheinen des Cardinals ein unsichtbarer Zauberfaden alle Blicke von der Marmorplatte nach der Tribüne, von dem südlichen Ende nach der nördlichen Seite des Saales hingezogen hätte. Nichts konnte die Zuhörerschaft entzaubern, alle Augen blieben da festgebannt, und die Neueintretenden, ihre verdammten Namen, ihre Gesichter und Trachten verursachten eine anhaltende Zerstreuung. Das war traurig. Mit Ausnahme von Gisquette und Liénarde, die sich von Zeit zu Zeit umwandten, wenn Gringoire sie am Aermel zog, den großen, geduldigen Nachbar ausgenommen, hörte kein Mensch hin, niemand sah auf das arme, verlassene Schauspiel, und Gringoire sah die Gesichter nur noch von der Seite.
Mit welcher Bitternis sah er sein ganzes Ruhm-und Poesiegebäude Stück um Stück zusammensinken! Und man denke nur, daß dieses Volk auf dem Punkte gewesen war, sich gegen den Herrn Palastvogt zu empören, rein aus Ungeduld, sein Werk zu vernehmen! Jetzt, da man es hatte, kümmerte man sich nicht darum. War das dieselbe Vorstellung, welche unter so einmüthigem Beifalle begonnen hatte? Beständige Ebbe und Flut der Volksgunst! Man denke sich, daß die Diener des Vogts beinahe gehangen worden wären! Was hätte er nicht dafür gegeben, um noch in dieser Wonnestunde zu sein!
Doch das ungeschliffene Selbstgespräch des Thürhüters hörte auf; alles war angelangt, und Gringoire athmete auf; die Schauspieler fuhren muthig fort. Aber da – erhebt sich da nicht Meister Coppenole, der Strumpfwirker, plötzlich? Und Gringoire hört ihn unter allgemeiner Aufmerksamkeit folgende schreckliche Anrede halten:
»Meine Herren Bürger und Junker von Paris! ich weiß, Kreuz Gottes, nicht, was wir hier beginnen. Ich sehe wohl da unten in dem Winkel, auf diesem Gerüste, Leute, die Miene machen, als ob sie sich schlagen wollten. Ich weiß nicht, ob das ist, was ihr ein ›Schauspiel‹ nennt; aber unterhaltend ist das nicht; sie fechten mit dem Munde, und weiter ist's nichts. Seit einer Viertelstunde warte ich auf den ersten Hieb, nichts erfolgt; das sind feige Schufte, die sich nur mit Beleidigungen kratzen. Man sollte Ringkämpfer von London oder Rotterdam kommen lassen, und meiner Treu, da würde es Fausthiebe gesetzt haben, daß man's da unten auf dem Platze würde hören können; aber jene erregen Mitleiden. Sie sollten uns wenigstens einen maurischen Tanz oder eine andere Mummerei zum besten geben! Das da hatte man mir nicht gesagt; ein Narrenfest mit Papstwahl war mir versprochen worden. Wir haben auch unsern Narrenpapst in Gent, und darin sind wir, Gottes Kreuz, hinter euch nicht zurück. Aber das machen wir so: man versammelt sich, ein Haufe wie hier; dann steckt abwechselnd jeder seinen Kopf durch ein Loch und schneidet den andern eine Grimasse; wer die häßlichste macht, wird mit Zustimmung aller zum Papst gewählt; damit abgemacht. Das ist sehr unterhaltend. Wollt ihr, daß wir euern Papst nach der Sitte meiner Heimat wählen? Das wird weniger langweilig sein, als diesen Schwätzern zuzuhören. Wenn sie ihre Grimasse im Loche machen wollen, so können sie mitspielen. Was sagt ihr dazu, meine Herren Bürger? Es ist eine hinlänglich komische Musterprobe beiderlei Geschlechts hier, um einmal auf flämisch lustig zu sein, und wir sind häßliche Gesichter genug, um auf eine schöne Fratze rechnen zu können.«
Gringoire hätte gern antworten wollen: Staunen, Zorn, Unwille nahmen ihm aber das Wort. Uebrigens wurde der Vorschlag des populären Strumpfwirkers mit einem solchen Enthusiasmus von diesen Bürgern, die sich geschmeichelt fühlten, »Junker« zu heißen, aufgenommen, daß jeder Widerstand nutzlos war. Es blieb nichts weiter übrig, als sich von dem Strome