Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo
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Читать онлайн книгу Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo страница 25
»Wer ist dieser Halunke?«
Gringoire erschrak. Diese Worte, wiewohl im drohenden Tone ausgesprochen, erinnerten ihn an eine andere Stimme, welche ja heute Morgen seinem Schauspiele den ersten Schlag dadurch versetzt hatte, daß sie mit näselndem Tone in die Zuhörerschaft hineinrief: »Ein Almosen, ich bitte Euch!« Er hob den Kopf. Es war in der That Clopin Trouillefou.
Clopin Trouillefou, mit seinen königlichen Insignien bekleidet, hatte keinen Lumpen mehr oder weniger an sich. Die Wunde am Arme war schon verschwunden. In der Hand hielt er eine jener Riemenpeitschen aus weißem Leder, wie sie damals die Straßenpolizisten gebrauchten, um die Menge in Ordnung zu halten, und die man »neunschwänzige Katzen« nannte. Auf dem Kopfe trug er eine Art gereiften, oben geschlossenen Kopfputz; aber es war schwer zu erkennen, ob es einen Fallhut oder eine Königskrone vorstellen sollte, so sehr gleichen sich ja die beiden Gegenstände.
Indessen hatte Gringoire, ohne zu wissen warum, wieder einige Hoffnung geschöpft, als er im Könige des Wunderhofes seinen verwünschten Bettler aus dem großen Saale erkannte.
»Meister ...« stotterte er. »Gnädiger Herr ... Sire ... Wie soll ich Euch nennen?« sprach er endlich, als er auf dem Höhepunkte seiner Gefühlssteigerung angelangt war und nicht vorwärts noch rückwärts mehr wußte.
»Gnädiger Herr, Seine Majestät oder Kamerad, nenne mich, wie du willst. Aber beeile dich! Was hast du zu deiner Vertheidigung zu sagen?«
Zu deiner Vertheidigung? dachte Gringoire, das gefällt mir nicht. Stotternd entgegnete er: »Ich bin derjenige, welcher heute Morgen ...«
»Bei des Teufels Klauen!« unterbrach ihn Clopin, »deinen Namen, Halunke, und nichts weiter! Höre. Du stehst vor drei mächtigen Herrschern: vor mir, Clopin Trouillefou, dem Könige von Thunes, dem Nachfolger des großen Coësre, dem obersten Lehnsherrn des Königreichs Rothwälschland; vor Mathias Hungadi Spicali, dem Herzoge von Aegypten und Böhmen, dem alten Gelben, den du da mit einem Lappen um den Kopf siehst; vor Wilhelm Rousseau, dem Kaiser von Galiläa, jenem Dicken, der nicht auf uns hört, und der eine Hure liebkost. Wir sind deine Richter. Du bist in das Königreich Rothwälschland eingedrungen, ohne ein Gauner zu sein; du hast die Rechte unserer Stadt verletzt. Du mußt bestraft werden, wofern du nicht Spieler, Bettler oder Abgebrannter, das heißt im Rothwälsch ehrlicher Leute, Dieb, Bettler oder Vagabund bist. Bist du etwas Derartiges? Rechtfertige dich; nenne deine Titel!«
»Leider!« sagte Gringoire, »habe ich nicht die Ehre. Ich bin der Verfasser ...«
»Das genügt,« entgegnete Trouillefou, ohne ihn ausreden zu lassen. »Du sollst gehangen werden. Das ist ganz einfach, ihr Herren ehrlichen Spießbürger! Wie ihr die Unsrigen bei euch behandelt, so behandeln wir die Eurigen bei uns. Das Gesetz, welches ihr für die Landstreicher schafft, schaffen die Landstreicher für euch. Es ist eure Schuld, wenn es boshaft ist. Man muß von Zeit zu Zeit die Fratze eines ehrlichen Kerls in der Hanfcravatte sehen, das macht das Ding ehrenhaft. Wohlan, mein Freund, theile frisch deine Lumpen unter diese Fräulein. Ich lasse dich hängen, um die Landstreicher zu belustigen, und du magst ihnen deine Börse geben, damit sie auf dein Wohl trinken. Wenn du noch Alfanzereien machen willst, da unten im hölzernen Mörser steckt ein recht hübscher steinerner Herrgott, den wir in Saint Pierre-aux-Boeufs gestohlen haben. Du hast vier Minuten Zeit, um ihm deine Seele an den Kopf zu werfen.«
Die Ansprache war fürchterlich.
»Wohlgesprochen, bei meiner Seele! Clopin Trouillefou predigt wie der heilige Vater, der Papst,« rief der Kaiser von Galiläa und zerbrach seinen Krug, um den Tisch mit den Scherben zu stützen.
»Gnädigste Herren Kaiser und Könige,« sprach Gringoire kaltblütig (denn ich weiß nicht, wie er die Festigkeit wiedergewonnen hatte, und er sprach entschlossen), »ihr denkt nicht daran; ich heiße Peter Gringoire, ich bin der Dichter, von dem man heute Morgen ein Schauspiel im großen Saale des Palastes aufgeführt hat.«
»Ah! du bist's, Meister!« sagte Clopin. »Ich war dort, beim Haupte Gottes! Nun gut! Kamerad, ist das ein Grund, weil du uns heute Morgen gelangweilt hast, daß du heute Abend nicht gehangen wirst?«
»Ich werde Mühe haben, mich aus der Schlinge zu ziehen,« dachte Gringoire. Doch machte er noch einen Versuch. »Ich sehe nicht ein,« sagte er, »warum die Dichter nicht unter die Landstreicher gerechnet werden sollen. Vagabund – war Aesop; Bettler – war Homer; Dieb – war Mercurius ...«
Clopin unterbrach ihn: »Ich glaube, du willst uns mit deinem Gewäsch nachdenklich machen. Laß dich hängen, bei Gott! und mach' nicht so viel Umstände!«
»Verzeihung, gnädigster Herr König von Thunes,« entgegnete Gringoire, der Schritt für Schritt um das Terrain kämpfte. »Es ist der Mühe werth ... einen Augenblick! ... Hört mich an ... ihr werdet mich nicht verdammen, ohne mich anzuhören ...«
Seine unglückliche Rede wurde in der That von dem Lärm übertönt, der sich rings um ihn erhob. Der kleine Junge kratzte mit mehr Ungestüm, als vorher, auf dem Kessel, und zum Ueberfluß hatte ein altes Weib soeben eine Pfanne voll Schmalz auf den Dreifuß gesetzt, welches über dem Feuer mit einem Getöse prazelte, ähnlich dem Kreischen eines Kinderschwarmes, der hinter einer Maske herjagt. Währenddessen schien Clopin Trouillefou einen Augenblick mit dem Herzog von Aegypten und mit dem Kaiser von Galiläa zu berathen, welcher vollständig betrunken war. Dann rief er laut: »Ruhig jetzt!« Und weil der Kessel und die Bratpfanne nicht aufhörten, sondern ihr Duett fortsetzten, sprang er von der Tonne herab, gab dem Kessel einen Fußtritt, daß er zehn Schritte weit mit dem Knaben wegflog, ebenso einen Fußtritt der Pfanne, so daß das ganze Fett sich in das Feuer ergoß, und stieg wieder würdevoll auf seinen Thron hinauf, ohne sich um das erstickte Weinen des Kindes, noch um das Murren der Alten zu kümmern, deren Abendessen als schöne, helllodernde Flamme in die Luft verflog.
Trouillefou gab ein Zeichen, und der Herzog, und der Kaiser, und die Erzdiebe und die Gauner stellten sich rings um ihn in Form eines Hufeisens auf, dessen Mitte Gringoire, den man immer noch schonungslos festhielt, einnahm. Es war ein Halbkreis von Lumpen und Fetzen, von Flitter, von Gabeln und Hacken, von taumelnden Gestalten, von nackten starken Armen, von schmutzigen, verlebten und thierischen Gesichtern. Mitten in dieser Tafelrunde von Schurkenthum ragte Clopin Trouillefou als Doge dieses Senates, als König dieser Pairschaft, als Papst dieses Conclaves theils wegen der Höhe seines Fasses, dann aber durch einen gewissen hochmüthigen, wilden und furchtbaren Ausdruck, der ihm im Auge funkelte und in seinem wilden Antlitz den thierischen Zug der Gaunerabkunft milderte. Man hätte ihn mit einem Eber unter Schweinen vergleichen mögen.
»Höre,« sagte er zu Gringoire und streichelte das mißgestaltete Kinn mit seiner schwieligen Hand, »ich sehe nicht ein, warum du nicht gehangen werden sollst. Allerdings hat es den Anschein, als ob dir das zuwider wäre; und das ist ganz natürlich: ihr Spießbürger seid nicht daran gewöhnt. Ihr macht euch von der Sache eine hohe Vorstellung. Nun aber sind wir dir nicht übel gesinnt. Es giebt ein Mittel, dir für den Augenblick aus der Verlegenheit zu helfen. Willst du einer der Unsrigen sein?«
Man kann sich den Eindruck denken, den dieser Vorschlag auf Gringoire machte, welcher sein Leben verloren gegeben hatte und davon abzulassen begann. Er klammerte sich mit allen Kräften wieder daran.
»Ich will es, gewiß, gern,« sagte er.
»Du bist bereit,« fuhr Clopin fort, »dich unter die Genossen des kleinen Dolches aufnehmen zu lassen?«
»Des kleinen Dolches, gewiß,« antwortete Gringoire.
»Du betrachtest dich als Glied