Butler Parker 135 – Kriminalroman. Günter Dönges
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»Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit mehr als erstaunt«, sagte Butler Parker. Er hatte die Tür zu Lady Simpsons Haus in Shepherd’s Market geöffnet und verbeugte sich grüßend vor Superintendent McWarden.
»Ich weiß, um diese Zeit sollte man keine Besuche mehr machen«, entschuldigte sich der hohe Yardbeamte. McWarden, untersetzt, stets reizbar, gab sich überraschend höflich und verbindlich. »Aber die Sache duldet keinen Aufschub.«
»Mylady ist selbstverständlich noch nicht zur Ruhe gegangen, Sir. Ich werde Sie sofort melden, Sir. Wenn Sie freundlicherweise drüben im Wohnraum Platz nehmen würden?«
»Mylady ist also noch auf.« McWarden war erleichtert.
»Mylady arbeitet an Myladys Bestseller«, erklärte der Butler.
»Was Sie nicht sagen! Sie hat endlich damit begonnen?« McWarden vergaß für einen Augenblick seine Sorgen und war ehrlich überrascht. Ihm war bekannt, daß die Dame des Hauses schon seit vielen Monaten diesen Bestseller schreiben wollte, um einer gewissen Agatha Christie zu zeigen, wie Kriminalromane wirklich verfaßt wurden.
»Mylady deutete diese Absicht zumindest an«, schränkte der Butler vorsorglich ein. Er machte wieder eine seiner knappen Verbeugungen und verließ den Superintendent, der ihm nachschaute.
Butler Parker war ein etwas über mittelgroßer Mann undefinierbaren Alters. Er besaß das ausdruckslose Gesicht eines Pokerspielers und verfügte über erstklassige Manieren. Darüber hinaus war er ein sehr phantasievoller und begabter Amateurkriminalist. McWarden hätte solch einen Mann liebend gern in seiner Abteilung gehabt, doch Parker hatte bisher allen Versuchungen widerstanden, seinen Arbeitsplatz aufzugeben. Er war mit Leib und Seele Butler und dachte nicht daran, diesen Zustand zu ändern.
Gemessen und würdevoll stieg Josuah Parker über die Treppe hinauf ins Obergeschoß und erreichte über eine Seitendiele den Trakt des Hauses, in dem seine Herrin wohnte. Nach diskretem Anklopfen und der grimmigen Aufforderung, gefälligst hereinzukommen, stand Josuah Parker Lady Agatha gegenüber.
Sie hatte sich einen kleinen Salon als Arbeitszimmer herrichten lassen. Auf einem soliden Tisch stand eine elektrische Schreibmaschine. Links vom Tisch, auf einem Aktenblock, stapelte sich Manuskriptpapier.
»Gerade wollte ich anfangen«, beschwerte sich Lady Simpson unwillig. Sie wandte sich ihrem Butler zu, der natürlich mit einem Blick sah, daß das eingespannte Papier noch keinen einzigen Buchstaben trug.
»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit hier untröstlich«, entschuldigte sich Parker. »Superintendent McWarden bittet um eine Unterredung. Es scheint sich um einen Fall höchster Dringlichkeit zu handeln.«
»Warum sagen Sie das nicht gleich?« Die ältere Dame, die seit einigen Jahren beschlossen hatte, nicht älter als sechzig Jahre zu sein, stand sofort schwungvoll auf. Man sah ihr an, wie sehr sie sich jetzt über die Störung freute.
Sie war groß, stattlich und erinnerte an die Walküre aus einer Wagneroper. Mylady verfügte über eine Stimme, die vom Klang her an eine Mischung aus Baß und Bariton erinnerte. Sie war eine sehr dynamische Frau, immens reich und mit dem Blut- und Geldadel Englands eng verschwägert und verschwistert. Darüber hinaus hielt sie sich für eine erstklassige Kriminalistin, die keiner Möglichkeit aus dem Weg ging, sich mit Ganoven und Gangstern aller Kaliber anzulegen.
Lady Agatha trug einen wallenden Hausmantel, den sie energisch zuschnürte. Dann rauschte sie aus ihrem Arbeitszimmer, begierig darauf, Superintendent McWarden wieder mal fachlich zu beraten.
»Keine unnötigen Floskeln«, raunzte sie, als sie den Wohnraum betrat. »Kommen sie zur Sache, McWarden! Ohne mich scheint es also wieder mal nicht zu gehen, wie?«
»Wir wären an einer Zusammenarbeit wirklich recht interessiert«, räumte der Superintendent widerwillig ein. »Man riet mir von höchster Stelle dazu, Mylady. Guten Abend, übrigens!«
»Welche Kastanien soll ich Ihnen aus dem Feuer holen?« Die energische Dame genoß dieses Einverständnis und ließ sich in einem der bequemen Ledersessel nieder. »Wo drückt der Schuh, McWarden? Reden Sie endlich!«
»Fatty Hitcham ist ausgebrochen«, sagte McWarden.
»Okay. Und wer ist das?«
»Der ehemalige Chef einer Gangsterorganisation«, erklärte der Superintendent. »Mylady erinnern sich bestimmt. Hitchams Bande erpreßte Reedereien. Er wurde zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.«
»Wie lange hat er davon abgesessen?« erkundigte Agatha Simpson sich fast beglückt, denn sie hatte den Eindruck, daß es ein recht aufregender Fall werden könnte.
»Knapp ein Jahr, Mylady«, lautete McWardens Antwort. »Vor anderthalb Stunden ist er auf geheimnisvolle Art und Weise entkommen. Die näheren Umstände werden zur Zeit noch erforscht.«
»Was das schon bringt«, sagte sie verächtlich. »Mr. Parker, es dürfte klar sein, daß ich diesen Fall übernehmen werde.«
»Selbstverständlich, Mylady«, erwiderte Parker würdevoll. »Mylady dürfen meiner bescheidenen Mithilfe versichert sein.«
*
»Bescheidene Mithilfe«, grollte die Detektivin, als McWarden gegangen war. »Ich hab mich wohl verhört, Mr. Parker?«
»Wie darf, soll und muß ich Myladys Worte interpretieren?« antwortete Josuah Parker gemessen.
»Ich will doch sehr hoffen, daß Sie sich gründlich einsetzen«, forderte Agatha Simpson energisch. »Es geht schließlich um Ihren Ruf, Mr. Parker.«
»Mylady wissen, wie wenig meiner bescheidenen Person daran gelegen ist.«
»Es geht um meinen Ruf.« Lady Agatha wurde nun deutlich. »Zudem habe ich keine Ahnung, wie wir an dieses Subjekt je herankommen wollen. Sie haben hoffentlich bereits eine Idee!«
»Mylady sehen mich untröstlich.« Parker sprach die Wahrheit. »Zur Zeit sehe ich mich außerstande, brauchbare Vorschläge unterbreiten zu können.«
»Genau das habe ich erwartet,« Sie sah ihn grimmig an. »Alles muß man allein machen. Wir werden dieses Subjekt aus dem Schlupfwinkel locken.«
»Gewiß, Mylady.« Josuah Parker sah Lady Agatha fragend an.
»Mehr haben Sie dazu wieder nicht zu sagen?«
»Fatty Hitcham, Mylady, wird sich nicht so leicht provozieren lassen, wie ich vermute.«
»Jeder Mensch hat seinen ganz bestimmten schwachen Punkt, Mr. Parker, oder wollen sie das etwa abstreiten?«
»Keineswegs, Mylady. Falls es erlaubt ist, werde ich mich bemühen, einige Informationen über Fatty Hitcham zu sammeln. Er hat, wie Superintendent McWarden ja schon sagte, nicht nur Freunde. Zudem vermutet man bei ihm eine beträchtliche Beute in der Größenordnung von fast siebenhundertfünfzigtausend Pfund.«
»Sie glauben, daß gewisse Individuen der Unterwelt hinter Hitcham her sind?«
»Mit letzter Sicherheit, Mylady. Solch eine Summe aktiviert, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Sie wissen ja, daß ich mich mit Kleinigkeiten nicht abgebe, Mr. Parker. Tun sie, was ich für richtig halte! Sie haben völlig freie Hand. Aber ich erwarte selbstverständlich Resultate.«
Geschickterweise