Fürstenkrone Classic 39 – Adelsroman. Silva Werneburg
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»Wer immer du auch bist, wenn du mich duschen möchtest, hättest du wenigstens ein Handtuch mitbringen sollen, damit ich mich anschließend abtrocknen kann. Was hast du eigentlich vor? Willst du mit mir eine Spritztour unternehmen? Wenn das so ist, hat dir wahrscheinlich noch nie jemand gesagt, dass der Begriff Spritztour nichts mit dem Versprühen von Wasser zu tun hat.«
Kaum hatte Graf Valentin diese kleine Ansprache gehalten, als Charlotte auch schon zur Stelle war und den Hund energisch aus dem Auto zog. Peinlich berührt blickte sie den Mann an.
»Es tut mir so leid! Ich war eben mit Odin im Park. Er ist dort im Teich geschwommen, und dann hat er die geöffnete Wagentür gesehen. Es ist eine Unart von ihm, in jedes Auto einzusteigen. Das habe ich ihm bis heute nicht abgewöhnen können. Jetzt sind die Sitze Ihres Wagens nass und schmutzig. Ich komme natürlich für den Schaden auf.«
»Ich bitte Sie. Ein bisschen Wasser verursacht doch keinen Schaden. Das trocknet von allein wieder, und gereinigt wird das Auto ohnehin regelmäßig.«
Der Graf lächelte Charlotte an. Was war das für ein bezauberndes Geschöpf, das dort vor ihm stand. Charlotte wirkte auf ihn wie ein Wesen aus einer anderen Welt, fast wie eine wunderschöne Fee, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war.
»Es ist meine Schuld gewesen, dass ihr Odin in meinen Wagen springen konnte. Ich hatte beide Türen geöffnet.«
»Ach was! Sie konnten doch nicht mit dem Auftauchen eines etwas unerzogenen Hundes rechnen«, widersprach Charlotte. »Es ist also meine Pflicht, den entstandenen Schaden auszugleichen. Darauf bestehe ich.«
»Gut, dann opfern Sie mir ein paar Stunden für ein gemeinsames Abendessen«, hörte Graf Valentin sich zu seinem eigenen Erstaunen sagen. Es war nicht seine Art, so direkt auf fremde Menschen zuzugehen. Aber diese junge Frau durfte nicht einfach so aus seinem Leben verschwinden. Sie war etwas ganz Besonderes, das er festhalten wollte.
»Ein Abendessen?« Charlotte schüttelte verwirrt den Kopf. »Die Einladung zu einem Abendessen wäre keine Strafe, sondern eine Belohnung, und die habe ich für Odins Missetaten nicht verdient.«
»Wenn Sie meine Einladung als Belohnung empfinden, fällt es Ihnen sicher nicht schwer, sie anzunehmen. Ich darf Ihre Äußerung demnach als Zustimmung werten. Allerdings sollten Sie nicht mit einem wildfremden Mann ausgehen. Mein Name ist Valentin von Ahlenburg.«
Charlotte ergriff die ausgestreckte Hand, die der Graf ihr bot. »Ich heiße Charlotte, Charlotte Legrell. Aber ich kann doch nicht einfach …«
»Warum nicht?«, unterbrach Valentin die junge Frau. »Haben Sie heute Abend vielleicht schon andere Pläne?«
»Nein, das nicht. Nach der Arbeit fahre ich mit Odin gleich nach Hause.«
»Dann gibt es doch keine Probleme. Sagen Sie mir nur, wann und wo ich Sie abholen soll. Odin kann Sie selbstverständlich gern begleiten. Das Restaurant, in das ich Sie führen möchte, akzeptiert auch Hunde, und es gibt in den Räumlichkeiten weder Teiche noch Autos, die Ihren Hund zu irgendwelchen Dummheiten veranlassen könnten.«
Charlotte fühlte sich regelrecht überrumpelt und nahm die Einladung an. Graf Ahlenburg bedankte sich bei ihr, fuhr Odin beim Abschied noch einmal mit der Hand durch das noch immer feuchte Fell und versprach, Charlotte pünktlich abzuholen.
Die junge Frau war noch immer verwirrt, als sie wenig später mit Odin zum Hintereingang des Geschäftes wanderte. Wieso hatte sie sich gerade von einem völlig fremden Mann einladen lassen und ihm sogar ihre Adresse genannt? Irgendwie konnte sie sich selbst nicht begreifen. Aber dieser Valentin von Ahlenburg hatte etwas in ihr berührt. Er machte nicht nur einen seriösen und sympathischen Eindruck. Da war noch mehr, ein seltsames Gefühl, das Charlotte selbst nicht genau deuten konnte. Plötzlich erschien vor ihren Augen das Bild aus längst vergangenen Kindertagen. Sie sah ihn wieder, diesen Prinzen in kostbarer Kleidung auf einem weißen Pferd. Ungehalten über diese Vision schüttelte sie den Kopf und rief sich selbst zur Ordnung. Valentin von Ahlenburg fuhr zwar ein Auto der Luxusklasse, aber er besaß kein weißes Pferd, und ein Prinz war er auch nicht. Wo und wie er wohnte, konnte Charlotte nicht sagen. Doch ein weißes Schloss war ganz sicher nicht sein Zuhause. Obwohl sie sich überrumpelt fühlte und eigentlich gar nichts über Valentin von Ahlenburg wusste, freute sie sich auf die Verabredung.
Bevor sie das Schmuckgeschäft betrat, überlegte Charlotte, ob sie Flora etwas von ihrem Erlebnis erzählen sollte. Sie entschied sich allerdings dagegen. Was war denn auch schon passiert? Jemand hatte sie zum Abendessen eingeladen. Das war nichts Besonderes, und wahrscheinlich würde es bei dieser einmaligen Verabredung bleiben. Charlotte konnte sich nicht erklären, warum sie bei diesem Gedanken mit einer spürbaren Traurigkeit erfüllt wurde. Was war nur mit ihr geschehen? Der Begriff der Liebe auf den ersten Blick war Charlotte nicht fremd. Aber dabei handelte es sich doch nur um eine Redensart. In Wirklichkeit gab es dergleichen nicht, oder vielleicht doch?
*
Zunächst hatte Charlotte Bedenken gehabt, Odin in das von Valentin gewählte Restaurant mitzunehmen. Schließlich hatte sie die Erfahrung gemacht, dass man bei diesem Hund nie genau wissen konnte, welche Dummheiten ihm gerade einfielen. Doch an diesem Tag erwiesen sich alle Bedenken als unbegründet. Odin lag brav unter dem Tisch und rührte sich nicht. Er stand nur einmal kurz auf, als die Bedienung erschien und ihm eine Schale Wasser reichte. Anschließend nahm er zufrieden wieder Platz.
Graf Valentin und Charlotte saßen sich gegenüber und hatten beide das Gefühl, als würden sie sich schon seit vielen Jahren kennen. Es geschah fast wie von selbst, dass sie sich schon bald gegenseitig beim Vornamen nannten.
Charlotte hatte keine Hemmungen, Valentin von dem frühen Tod ihrer Eltern zu berichten. »Für mich war das nicht so dramatisch, wie man vielleicht denken könnte«, erzählte sie. »Ganz kleine Kinder sind sich der Tragweite der Geschehnisse noch nicht so recht bewußt. Allerdings muss ich auch zugeben, dass mir das Leben im Kinderheim nicht besonders gut gefallen hat. Ein Elternhaus kann eben trotz aller Mühe, die sich Kinderheime geben, nicht ersetzt werden. Ich war froh, als ich schließlich meine Ausbildung beginnen konnte und dann auf eigenen Füßen stand.«
»Dein Leben ist zunächst wirklich nicht in idealen Bahnen verlaufen«, stellte Graf Valentin fest. »Aber du hast deinen Weg gefunden und bist heute ein glücklicher Mensch. Das allein zählt.«
»Ja, ich bin wirklich zufrieden. Und wenn Odin mir nicht gerade wieder einen seiner Streiche spielt, gibt es für mich keine Probleme. Aber jetzt haben wir so viel über mich gesprochen. Von dir weiß ich noch gar nichts. Möchtest du mir nicht auch etwas über dich verraten?«
»Da gibt es eigentlich nicht viel zu berichten. Mit mir ist das Schicksal zum Glück nicht so hart umgesprungen wie mit dir. Ich bin in einer intakten Familie aufgewachsen. Mein Vater hat seine Geschäfte mit Kaffee gemacht und mir geraten, Wirtschaftswissenschaften zu studieren, damit ich eines Tages in seine Fußstapfen treten kann. Das habe ich dann auch getan und festgestellt, dass mich mein Vater richtig beraten hat. Vor drei Jahren ist er an Krebs erkrankt. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Vor etwa zwei Jahren ist mein Vater gestorben. Seitdem lebe ich mit meiner Mutter allein im Haus und führe die Geschäfte meines Vaters weiter.«
Graf Valentin wusste selbst nicht, warum er nicht erwähnte, dass es sich bei den Geschäften um riesige Plantagen handelte, die ihren Besitzern ein Leben in Wohlstand und Luxus ermöglichten. Es widerstrebte ihm, vor Charlotte glänzen zu wollen. Vielleicht sagte er ihr deshalb nicht die volle Wahrheit und hatte das Wasserschloss, in dem er mit seiner Mutter residierte, auch einfach nur als Haus bezeichnet.