Chefarzt Dr. Norden 1162 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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Chefarzt Dr. Norden 1162 – Arztroman - Patricia Vandenberg Chefarzt Dr. Norden

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die Aufzeichnungen der letzten Tage.

      »Haben Sie nicht Urlaub?«, fragte sie eisig, statt einer Begrüßung.

      »Ja, und?«, gab Berger genauso frostig zurück. »Was ich in meinem Urlaub mache, sollte Ihnen egal sein.«

      »Solange Sie mir nicht in die Quere kommen und dabei meine Arbeit behindern, tut es das auch.«

      Christina blieb unschlüssig im Raum stehen. So wie es aussah, war ihr Arbeitsplatz besetzt. Was sollte sie machen? Ihn wegscheuchen? So mutig war sie leider nicht. In einer Ecke neben der Tür gab es einen kleinen Tisch, der als Ablagefläche für alte Akten genutzt wurde. Dort stellte sie ihre Tasche ab und verließ dann das Büro. Draußen atmete sie tief durch und entschied, kein Drama aus Bergers Anwesenheit zu machen. Es kam gar nicht selten vor, dass sich Kollegen auch während ihrer freien Tage in der Klinik blicken ließen, um Sachen aufzuarbeiten. Wahrscheinlich war er bald wieder verschwunden. Kurz dachte sie daran, was ihr Anna von Dr. Körner erzählt hatte. Eine kleine, mahnende Stimme meldete sich in ihr zu Wort, die sie jedoch schnell fortjagte. Auf sie wartete eine volle Notaufnahme. Ihre Aufmerksamkeit musste den Patienten gelten und nicht Dr. Erik Berger.

      Bald war Christina so in ihre Arbeit vertieft, dass sie ihn vergaß. Während sie sich um verrenkte Gliedmaßen, entzündete Wunden, einen Jungen mit Bauchschmerzen, vereiterte Mandeln und einen Schlaganfallpatienten kümmerte, verschwendete sie keinen Gedanken mehr an Erik Berger. Jeder einzelne Patient war wichtiger als er. So, wie die Frau vor ihr auf der Untersuchungsliege, die akute Kreislaufprobleme hergeführt hatten. Christina sah auf das aufgezeichnete EKG. Es war völlig unauffällig und passte zu den anderen Befunden, die ihr inzwischen vorlagen. Als sie das mit Irene Kreft besprach, öffnete sich hinter ihr die Tür des Behandlungszimmers. In der Annahme, dass eine der Schwestern hereingekommen war, redete sie ruhig weiter:

      »Ich kann Entwarnung geben, Frau Kreft. Es war kein Infarkt. Ihr EKG sieht gut aus, und die Blutwerte liegen im Normbereich. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Ihnen Ihr Herz ernsthafte Probleme bereitet. Um ganz sicher zu sein, werden wir in einigen Stunden noch einmal Blut abnehmen und kontrollieren, ob es Veränderungen bei den Herzenzymen gibt.«

      »Herzenzyme?«, wagte Irene Kreft, schüchtern nachzufragen. Die junge, nette Ärztin war nicht so wie andere, denen sie in ihrem Leben begegnet war. Meistens verstand Irene nur einen Bruchteil von dem, was die Ärzte von sich gaben. Schweigend nahm sie das dann hin, wusste sie doch, dass der Ärzteschaft die Zeit und die Geduld fehlten, um Laien wie ihr alles bis ins kleinste Detail zu erklären. Bei der freundlichen Frau Dr. Rohde war das ganz anders.

      »Enzyme sind bestimmte organische Verbindungen im Blut«, erklärte Christina. »Einige von ihnen können Schäden am Herzmuskel, wie sie nach einem Infarkt auftreten, sicher anzeigen. Allerdings kann es bis zu acht Stunden dauern, bis die Werte ansteigen. Deshalb werden wir später noch einmal Blut abnehmen. Bis dahin bleiben Sie hier unter Beobachtung. Sollten die Enzyme bei der zweiten Messung auch im Normbereich liegen, können Sie wieder nach Hause gehen. Die Weiterbehandlung kann dann von Ihrem Hausarzt oder einem Kardiologen übernommen werden.«

      Christina sah, wie glücklich ihre Patientin bei diesen Worten war. Sicher hatte sie sich schon das Schlimmste ausgemalt und war froh über die Aussicht, bald wieder daheim zu sein.

      »Oder wir nehmen Sie hier erst mal stationär zu einer umfassenden Diagnostik auf«, ertönte es hinter Christina. Sie drehte sich um und sah Dr. Berger mit verschränktem Armen im Türrahmen stehen.

      Berger tat, als wäre Christina gar nicht da. »Bis Sie einen Termin beim Kardiologen haben, können Wochen vergehen. Wenn Sie hierbleiben, hätten wir schon in wenigen Tagen alle Befunde zusammen.«

      »Meinen Sie?«, fragte die Patientin verunsichert nach. »Ich wäre ja lieber zu Hause als hier …«

      »Es spricht überhaupt nichts dagegen, dass sie heimgehen, sofern auch die zweite Blutentnahme ohne Befund ist«, schaltete sich Christina schnell ein. »Wenn ich der Meinung wäre, dass Ihre stationäre Aufnahme unerlässlich sei, würde ich Sie nicht so einfach gehen lassen. Es kann auch ambulant nach der Ursache Ihrer kleinen Unpässlichkeit gesucht werden.«

      »Ja, aber Ihr Kollege meinte eben­ …«

      »Mein Kollege kennt sicher noch nicht Ihre aktuellen Befunde, Frau Kreft«, versuchte sie, Bergers Einmischung diplomatisch zu erklären. Dabei warf sie ihm einen bitterbösen Blick zu und verhinderte so, dass er ihr widersprach. »Ich werde mich natürlich mit ihm besprechen und ihn über alle wichtigen Punkte aufklären.« Christina schaffte es, ihrer Patientin ein strahlendes Lächeln zu schenken, bevor sie sich auf den verdutzten Berger stürzte und ihn am Arm mit sich fortzog.

      »Was fällt Ihnen ein, sich in mein Patientengespräch zu mischen?«, zischte sie ihm auf dem Flur aufgebracht zu.

      Berger schüttelte Christinas Hand ab, mit der sie ihn immer noch festhielt. »Wenn Ihnen offensichtliche Fehler unterlaufen, ist es meine Pflicht einzuschreiten«, knurrte er sie an.

      »Fehler? Mir ist kein Fehler unterlaufen! Das ist die übliche Vorgehensweise in diesem Fall!«

      »Ach ja? Wären Sie davon immer noch überzeugt, wenn Ihre Patientin an einen Infarkt stirbt, während sie endlos lange auf einen Termin beim Kardiologen warten muss?«

      »Es gibt überhaupt keinen Hinweis darauf, dass das passieren könnte! Alle Befunde waren in Ordnung! Bei dieser Ausgangslage kann ich sie unmöglich stationär aufnehmen. Unsere wenigen freien Betten sollten die Menschen bekommen, die sie wirklich brauchen.« Christina funkelte ihn wütend an. »Und dass Sie meine Entscheidung vor der Patientin angezweifelt haben, war taktlos und äußerst unkollegial!«

      Berger lachte höhnisch auf. »In Ihren Augen zählt Kollegialität und gutes Benehmen also mehr als die Gesundheit und das Überleben Ihrer Patientin?«

      »Hören Sie gefälligst auf, mir jedes Wort im Munde umzudrehen! Sehen Sie zu, dass Sie nach Hause kommen! Wenn Sie sich weiterhin in meine Arbeit einmischen, werde ich mich bei Dr. Norden über Sie beschweren!«

      »So eine sind Sie also? Sobald Probleme auftauchen, rennen Sie zum Chef?«

      Christina nickte tapfer. »Ja, wenn mich dieses Problem bei meiner Arbeit behindert, werde ich das machen. Ich bin mir nicht zu fein, den Chef um Hilfe zu bitten. Außerdem ist es ja wohl seine Aufgabe, Sie an der kurzen Leine zu halten, wenn Sie hier mal wieder durchdrehen.«

      Bevor Berger ihr darauf antworten konnte, hatte sich Christina umgedreht und war im nächsten Behandlungsraum verschwunden, in dem ein neuer Patient auf sie wartete. Schwester Inga, die die Auseinandersetzung auf dem Flur mitbekommen hatte, folgte ihr.

      »Gut gemacht, Frau Doktor!«, meinte sie grinsend zu ihr.

      »Danke«, gab Christina leise zurück. Dann griff sie nach der Patientenakte, die Inga in ihren Händen hielt. Sie wollte diesen dummen Streit mit Berger vergessen und sich dem widmen, was ihr am meisten Spaß machte: kranken Menschen helfen.

      Der Rest des Tages verlief ruhig. Erik Berger bekam sie nicht mehr zu Gesicht. Er hielt sich nur in seinem Büro auf, um weiter Patien­tenakten zu studieren, und verschwand schließlich nach Hause. Christina hoffte nur, dass er dort bleiben würde, bis sein Urlaub vorbei war. Doch so recht dran glauben konnte sie nicht.

      *

      Dr. Fred Steinbach rutschte auf dem Beifahrersitz nach vorn und sah angestrengt die Häuserreihe entlang. Hier musste irgendwo ihr Ziel sein. Normalerweise fuhr er nicht im Rettungswagen mit. Es war üblich, dass die Rettungssanitäter

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