Der Bergpfarrer Extra 3 – Heimatroman. Toni Waidacher
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»Da kommt ja unsere neue Praktikantin«, freute sich Irma Reisinger, die Herrin über die Küche im Hotel ›Zum Löwen‹. »Das ist aber ein fesches Madel.«
Sie und ihr Gatte Sepp standen am Fenster in der Küche des Hotels und beobachteten die zweiundzwanzigjährige Celine Fiedler, wie sie aus ihrem Kombi stieg und aus dem Kofferraum eine prallgefüllte Reisetasche hob.
»Sakra, Sakra«, murmelte Sepp beeindruckt, »die ist in der Tat ausgesprochen hübsch.« Für diese Schwärmerei erntete von seiner Gattin einen schrägen und zugleich strafenden Blick. »Die wird den Burschen hier im Ort ganz schön den Kopf verdrehen.« Er grinste schelmisch. »Das könnt’ sogar den Bierumsatz steigern.«
»Komm’, gehen wir hinaus und begrüßen wir das Madel«, sagte Irma, drehte sich um und ging zur Tür.
Sepp folgte ihr. Auf dem Korridor kam ihnen Susanne, ihre älteste Tochter, entgegen.
»Die Neue ist da«, sagte Irma. »Kannst gleich mit hinausgehen und sie begrüßen.«
Da betrat Celine auch schon das Hotel. »Hallo«, grüßte sie. »Mein Name ist Celine Fiedler und ich will hier eine Praktikumsstelle antreten. Sind Sie die Familie Reisinger?«
»Drei Fünftel der Familie«, erwiderte Sepp. »Meine beiden anderen Töchter sind irgendwo im Haus unterwegs. Aber die wirst du auch noch kennenlernen. Also, ich bin der Sepp.« Er wies mit einer knappen Handbewegung auf seine Gattin. »Das ist die Irma, meine Frau. Da du hauptsächlich in der Küche eingesetzt wirst, Madel, wirst du zu neunzig Prozent mit ihr zu tun haben. Und das ist Susanne, unsere älteste Tochter. Sie macht während der Saison die Rezeption und den Schreibkram.«
Irma trat vor und reichte Celine die Hand. »Grüaß di, Celine. Wir haben alles vorbereitet. Du kannst nachher gleich dein Zimmer beziehen und dich ein bissel frisch machen. Hinterher werd’ ich dir das Haus zeigen. Im Moment ist ja fast nix los. Du hast also viel Zeit, dich einzugewöhnen. Wenn ab Mai dann die Gäste kommen, wird sich das ändern. Dann geht’s an manchen Tagen hoch her!«
»Ich freu’ mich schon auf die Arbeit hier«, erklärte Celine. »Ihr Hotel hat einen erstklassigen Ruf, Ihre Küche ist weit über die Grenzen des Wachnertals hinaus bekannt. Ich denk’, ich werd’ bei Ihnen alles lernen, was ich brauch’, um bald das Restaurant von meinen Eltern übernehmen zu können.«
»Vorweg möcht’ ich gleich mal eines klarstellen, Madel«, versetzte Irma. »Wir sagen hier net Sie zueinander. Das ist ein Familienbetrieb, und es geht familiär bei uns zu. Also ich bin die Irma, das ist der Sepp und das ist die Susi. Ich hoff’, du bist damit einverstanden.«
»Natürlich. Vielen Dank. Das ist mir auch viel lieber, als das unpersönliche Sie.« Der Anflug eines Lächelns huschte über Celines gleichmäßige Züge, sie wandte sich Susi zu, hielt ihr die Hand hin und sagte: »Servus, Susi. Wir beide werden zwar net allzu viel miteinander zu tun kriegen, wenn ich in der Küche arbeit’ und du mehr administrativ tätig bist, dennoch kann ich mir vorstellen, dass wir recht gut harmonieren.«
Tatsächlich war Celine die älteste Haustochter ausgesprochen sympathisch. Das galt natürlich auch für Irma und Sepp, altersmäßig aber fühlte sie sich mehr zu Susi hingezogen. Umgekehrt war es genauso. Sowohl das Hotelierehepaar als auch ihre Tochter hatten Celine auf Anhieb in ihr Herz geschlossen.
»Das denk’ ich doch«, lächelte Susi. »Du wirst auch mit der Mama und dem Papa kein Problem haben, ebenso wenig mit der Heidi und der Gitti.«
Auf der Treppe waren Schritte zu hören und Susi drehte sich halb herum. »Da ist ja die Gitti schon«, sagte sie.
Celine schaute ebenfalls zur Treppe und sah die jüngste der Haustöchter nach unten eilen. Lächelnd kam Gitti heran und streckte Celine die Hand hin. »Grüaß di, Celine, willkommen im Hotel ›Zum Löwen‹.«
Celine schüttelte ihre Hand. »Danke. Ihr seid alle so nett.«
»Du wirst in St. Johann nur nette Leut’ treffen«, erwiderte Gitti. »Allerdings gilt auch bei uns: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Du weißt sicher, was ich mein’. Aber ich denk’, deswegen brachen wir uns keine Gedanken machen. Du schaust recht umgänglich aus, und wir sind auch ziemlich unkompliziert.«
»Den Eindruck hab’ ich schon im ersten Moment gewonnen«, antwortete Celine. Sie fühlte sich tatsächlich von der ersten Sekunde an wohl und gut aufgehoben hier.
»Zeigst du der Celine das Zimmer, Susi?«, fragte Irma.
»Natürlich.« Susi holte einen Schlüssel aus der Rezeption. »Soll ich dir mit der Tasche helfen?«
»Nein, danke. Es geht schon.« Celine hob die Reisetasche auf, die sie abgestellt hatte, und folgte Susi zur Treppe.
»Vielleicht kannst in einer halben Stund’ etwa runterkommen, Celine«, rief Irma hinterher. »Dann zeig’ ich dir alles.«
»Das werd’ ich sicher schaffen. Ich war ja nur etwas über eine Stunde von Innsbruck herauf unterwegs. Da muss ich mich net groß frisch machen. Ich räum’ meine Tasche aus, und dann komm’ ich runter. Eine Frage hab’ ich noch. Ich hab’ meine Langlaufski mitgebracht. Sie liegen draußen im Auto. Kann ich sie hier im Haus irgendwo abstellen? Im Keller vielleicht.«
»Natürlich«, sagte Sepp. »Die Ski holen wir nachher herein. Jetzt geh’ erst mal auf dein Zimmer und pack’ deine Sachen aus.«
»Okay. Bis dann!« Celine folgte Susi die Treppe zum Obergeschoss empor.
Gitti verschwand in der Gaststube, Irma kehrte in die Küche zurück. Es war kurz vor elf Uhr und einige Mittagessengäste hatten sich angesagt. Der Hotelbetrieb lief auf Sparflamme, denn es war März, und im Winter bot das Wachnertal den Touristen so gut wie nichts. Es gab keine Pisten und Lifte. Dass das Wachnertal in eine Wintersporthochburg verwandelt wurde, hatte vor langer Zeit schon Pfarrer Trenker verhindert. Weitere Versuche, es dennoch dem Wintersport zu erschließen, waren erst gar nicht mehr unternommen worden. Ab und zu kamen vereinzelte Skitourengeher oder Skilangläufer in eine der drei Gemeinden, aber die taten der Natur nicht weh und waren willkommen.
Sepp kam ebenfalls in die Küche. »Was sagst zu dem Madel?«, fragte er. »Ich glaub’, es war kein Fehler, ihr die Praktikantenstelle zu geben. Die Celine scheint mir ein offenes, ehrliches Wesen zu besitzen.«
»Ja, man muss sie mögen«, erwiderte Irma. »Irgendwie aber hab’ ich mich des Eindrucks net erwehren können, dass das Madel ein bissel traurig ist.«
»Meinst du? Mir ist nix aufgefallen.«
»Du bist ja auch bei Weitem net so einfühlsam wie ich. Empathie nennt man das, Sepp. Hast du das Wort schon einmal gehört? Ein empathischer Mensch kann sich in einen anderen einfühlen. Ich bin ein solcher Mensch. Drum ist mir aufgefallen, dass das Madel irgendwas bedrückt.«
Sepp zuckte mit den Achseln. »Mag schon sein. Jeder von uns hat irgendein Packerl mit sich herumzuschleppen. Warum net auch das Madel. Aber nachdem du so einfühlsam bist, wirst du sicher auch sehr bald wissen, was der Celine zu schaffen macht. Und dann kannst du ja versuchen, ihr Mut zu machen und ihr zu helfen, die Schwermut abzuschütteln.«
»Spott’ du nur, Sepp. Empathie ist eine Gabe, über die net jeder verfügt. Das kann man auch net lernen. Man hat’s, oder man hat’s net. Ich …«, Irma legte die Hand an ihr Herz, »… hab’s. Du …«, jetzt stach ihr Zeigefinger auf Sepp zu, »… hast es net. Drum ist dir auch net aufgefallen, dass das Madel ein bissel traurig schaut.«
»Ja, ja, ist schon gut, Irma. Du hast