Dr. Norden Extra 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Nur mühsam konnte Leonie ihre Tränen zurückhalten.
»Du armes Kleines«, flüsterte sie, »wenn du uns doch nur sagen könntest, was dir widerfahren ist«, aber Viola rührte sich nicht.
»Ich möchte bei Viola bleiben, vielleicht wacht sie doch auf«, sagte Leonie nach einem langen Schweigen.
»Dann könntest du mit dem Sanitätsflugzeug mitfliegen, und ich bringe den Wagen nach München«, erklärte Clemens.
»Und was wird mit deinem Wagen in Klosters?« fragte sie.
»Ich habe keinen Wagen dort. Ich wurde mit einem kleinen Flugzeug hergeflogen. Mach du dir um mich keine Gedanken. Wir sollten jetzt erst mal etwas essen gehen. Wir nützen niemand, wenn wir umfallen, und der Doktor muß schon genug rennen.«
Sie fuhren erst zur Gendarmerie. Dort wurden sie mißtrauisch und mit leichtem Unwillen gemustert, wohl in der Überzeugung, daß man mit Fremden immer Ärger hätte.
Aber schließlich waren die doch höflich und schnell bereit, ihnen den Bericht zu zeigen, der aufgenommen war. So erfuhren sie, daß es sich um zwei ehrbare Burschen aus dem Ort handelte, die auch beim Bergrettungsdienst tätig waren und so über jeden Verdacht erhaben. Sie hatten nichts anderes sagen können, als daß sie die bewußtlose Frau gefunden und sofort nach Landeck gebracht hatten, weil rasche Hilfe nötig war.
Das war es also. Nichts, was ihnen weiterhelfen konnte. »Jetzt muß Paolos Familie befragt werden«, sagte Clemens.
»Das soll die Polizei besorgen, ich mag nicht mit ihnen reden. Sie werden sich, was immer auch geschehen sein mag, bestimmt schützend vor Paolo stellen.«
»Waren sie nicht sehr angetan, daß Paolo eine so schöne und dazu reiche Frau heiratete?«
»Sicher waren sie das, aber die Begeisterung könnte umgeschlagen sein, als sie erfuhren, wie schwer man an das gesamte Vermögen herankommen konnte. Aber wir wollen uns nicht in Vermutungen ergehen.«
Sie suchten ein Restaurant auf, das einen soliden Eindruck machte. Sie hatten nun doch Appetit bekommen.
Auch Leonie ging es dann wieder besser, und sie beratschlagten, was sie nun unternehmen wollten. Sie wollten ganz diplomatisch vorgehen.
*
Am Montag vormittag wurde Viola nach München geholt. Leonie beglich die Rechnung und gab noch eine großzügige Spende für das Hospital. Sie flog mit dem Sanitätsflugzeug und konnte sehr zufrieden sein, wie gut Viola von dem noch jungen Arzt Dr. Montey betreut wurde. Er war Leonie sehr sympathisch in seiner zurückhaltenden Art. Mit dem Blick der Künstlerin stellte sie sofort fest, daß er wunderschöne schmale und ausdrucksvolle Hände hatte. Sein Gesicht mußte sie länger studieren, um festzustellen, was es eigentlich so anziehend machte, da er auf den ersten Blick unauffällig wirkte.
Es war ein schmales Gesicht mit hoher Stirn, warmen graublauen Augen, einer leicht gebogenen Nase und einem schön geschwungenen, sensiblen Mund. Bei näherer Betrachtung konnte Leonie jedoch bemerken, daß er ein willenstarkes Kinn hatte. Wenn er sie ansah, hatte sie das Gefühl, daß er bis in ihr Innerstes blicken konnte. Wie es schien, beschäftigte er sich auch sehr intensiv mit Violas Zustand.
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen, gnädige Frau?« fragte er mit einer warmen dunklen Stimme, die Leonie sehr gefiel, denn sie reagierte äußerst empfindlich auf harte und schrille Töne.
»Gern, wenn ich sie beantworten kann.«
»Versuchen wir es. Ich möchte gern eine Erklärung finden für dieses Koma, da eine Kopfverletzung, die eine Hirnschädigung hervorgerufen haben könnte, nicht vorliegt. Also könnte ein Schock der Auslöser gewesen sein.«
»Wir vermuten, daß sie überfallen und beraubt wurde, aber fliehen konnte. Beweise dafür haben wir allerdings nicht.«
»Die Patientin ist wohl verheiratet?«
»Ja«, erwiderte Leonie. Sie wunderte sich, daß ihr dieses Ja so schwer über die Lippen kam, denn sie hatte zum ersten Mal bemerkt, daß Viola überhaupt keinen Ring trug. »Ich verstehe das nicht«, murmelte sie.
»Was verstehen Sie nicht?« fragte Dr. Montey.
»Daß sie keine Ringe trägt, ihr Trauring und der Memory fehlen. Die hatte sie immer getragen.«
»Wartet der Ehemann in München?« fragte Dr. Montey weiter.
»Nein, das glaube ich nicht. Wir wissen nicht, wo er sich zur Zeit aufhält. Angeblich soll er in Südafrika sein.«
Aller Groll, den Leonie jetzt fühlte, drückte sich in ihrer Stimme aus.
»Es ist eine indiskrete Frage, aber sie könnte auch bedeutungsvoll werden. Gab es Differenzen zwischen den Eheleuten?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe Viola längere Zeit nicht gesprochen. Sie lebte mit ihrem Mann in Italien.«
»Haben sie Kinder?«
»Nein, sie hatte eine Fehlgeburt. Es könnte sein, daß sie darunter gelitten hat. Ich würde es gern besser wissen. Wir wollten uns in Klosters treffen, aber sie war nicht dort. Dann erfuhr ich durch Dr. Norden, daß sie in Landeck im Hospital liegt. Es sind sehr mysteriöse Umstände, die sicher einen Schock bei ihr ausgelöst haben könnten.«
»Ich kenne Dr. Norden und seine Frau, deshalb bat er mich, die Patientin zu holen. Ich bin Arzt und Psychologe. Mich beginnt dieser Fall sehr zu interessieren, da die Gehirnströme als normal bezeichnet werden könnten.«
»Und was schließen Sie daraus?«
»Psychologisch würde ich es so erklären, daß etwas geschehen ist, das sie nicht wahrhaben oder verdrängen wollte. Eine Blockade trat ein, und durch den Kälteschock, den sie erlitt, wurde diese vertieft. So denke ich es mir. Es kann natürlich falsch sein. Es ist auch möglich, daß sie unbewußt in dem Zustand des nicht Erwachenwollens verharren will.«
»Und daß sie nie mehr aus dem Koma aufwacht?« fragte Leonie mit zitternder Stimme.
»Das will ich nicht sagen, aber es könnte durchaus möglich sein, daß das Erinnerungsvermögen ausgeschaltet bleibt. Ich will das nicht mit einem Gedächtnisverlust vergleichen. Eine Amnesie wird meist durch eine schwere Verletzung hervorgerufen. Die Erinnerungsblockade ist psychisch bedingt.«
»Es erschreckt mich«, sagte Leonie leise. »Ich fühle mich so hilflos.«
»Aber wenn Ihre Nichte Ihnen viel bedeutet, sollten Sie nicht aufgeben, ihr zu helfen, in ein neues Leben zu finden, was aber auch bedeuten kann, daß sie das frühere Leben ganz hinter sich lassen müßte.«
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