Dr. Brinkmeier Classic 7 – Arztroman. Sissi Merz

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Dr. Brinkmeier Classic 7 – Arztroman - Sissi Merz Dr. Brinkmeier Classic

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der schönsten Heiligenfiguren beigewohnt hatten. Schon damals war es ihm wie ein Wunder erschienen, daß einer mit bloßen Händen und einem einfachen Schnitzmesser solche ausgeprägten Gesichtszüge ins Holz zaubern konnte. Die Figuren vom alten Filsmeier waren etwas ganz Besonderes. Und je älter er wurde, desto kunstfertiger ging er mit dem groben Rohstoff um. Schutzpatrone, Heilige und auch die Heilige Familie von seiner Hand fanden sich im ganzen Landkreis in Kirchen und Herrgottswinkeln. Sogar bis in die Schweiz hatte er seine Meisterwerke verkauft, war dabei aber immer bescheiden und gottesfürchtig geblieben.

      Dr. Brinkmeier zog am Klingelstrang und fragte sich, warum der alte Georg ausgerechnet mit seiner Gesundheit so sorglos, ja, fahrlässig umging. Bedeutete ihm sein Leben denn nichts? Das konnte der junge Landarzt sich eigentlich nicht vorstellen. Denn er wußte, daß einer mit einem besonderen Talent es dadurch meist leichter hatte, einen Sinn im Leben zu sehen. Und er wußte auch, daß der Filsmeier ein gläubiger Mensch war.

      Es dauerte eine Weile, bis sich schlurfende Schritte der Tür näherten, diese schließlich mit einem deutlich vernehmbaren Quietschen geöffnet wurde.

      Seit Georg Filsmeier verwitwet war, gab er nichts mehr auf sein Äußeres. Das schmale Gesicht mit den wachen, hellen Augen wurde von einem ausladenden, weißen Bart zur Hälfte verdeckt, das schlohweiße Haar stand dem Herrgottsschnitzer wirr vom Kopf ab. Er trug ein altes, geflicktes Hemd und Hosen, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Unwillig blinzelte er den Besucher an und murrte: »Doktor, was willst? Ich hab dich net gerufen und mag auch nicht untersucht werden. Mir geht es gut.«

      »Aber, Schorsch, ich muß mich wundern! Für einen gottesfürchtigen Mann gehen dir die Lügen recht leicht über die Lippen. Oder willst mir am End im Ernst erzählen, daß du keine Beschwerden hast? Sollte das vielleicht ein Wunder sein?«

      »Über Wunder scherzt man net, das ist lästerlich«, mahnte der Alte und gab die Tür frei. »Von mir aus kannst reinkommen, aber brauchen tu ich dich net. Und was meine Beschwerden angeht, die hat der liebe Herrgott mir auferlegt als Buße. Und ich weiß sie zu tragen.«

      Max folgte dem Alten in seine Werkstatt, wo ein kleiner Ofen aus Gußeisen wohlige Wärme verbreitete. Der Boden war mit einer dicken Schicht von Holzspänen bedeckt, es roch sehr aromatisch.

      »Mach es mir nicht so schwer, Filsmeier«, bat der junge Landarzt freundlich, während sein Patient sich wieder an seiner Werkbank niedergelassen hatte und fortfuhr, einen Heiligen Florian zu bearbeiten. »Du mußt für eine Weile ins Spital. Nach einem kleinen Eingriff wirst dich besser fühlen und wieder ganz auf dem Posten sein. Mit deiner Konstitution kannst hundert Jahre alt werden. Aber dein Herz ist dafür zu schwach...«

      »Ich mag net hundert werde. Die sechsundachtzig Jahr, die ich auf dem Buckel hab, reichen mir längst aus. Und ins Spital geh ich gleich gar net. Da käme ich gewiß nimmer lebend raus.«

      »Jetzt redest aber einen Schmarrn. Die Kollegen dort können dir helfen. Ich hab’ ja hier nicht die Möglichkeit dazu. Die Tabletten, die ich dir verschreibe, hast gewiß net genommen.«

      »Überflüssig«, murmelte der Alte. »Ganz überflüssig.«

      »Das seh ich anders. Meine Patienten liegen mir nämlich am Herzen, einer wie der andere. Und ich werde net lockerlassen, bis du endlich vernünftig wirst, Schorsch. Schau, ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es hier ausgeschaut hat, als ich ein Bub gewesen bin. Der Garten war gepflegt, die Obstbäume haben reich getragen. Und überall hat es geblüht.«

      »Ja, mei, damals hatte ich auch noch meine Christel, die Seele vom Ganzen. Ohne sie ist mein

      Leben nur noch ein Jammertal.«

      »Wenn es dir wieder besser geht, könntest auch im Garten was tun, die Arbeit an der frischen Luft ist gesund.«

      Der Filsmeier hob den Blick und schaute sein Gegenüber mit seinen hellen Augen durchdringend an. »Sag einmal, Max Brinkmeier, stört dich hier was? Ist dir der Garten nimmer schön, das Haus nimmer ordentlich genug? Wenn das so ist, dann kann ich dir nur einen Rat geben: Komm halt nimmer her. Hernach mußt dich auch nicht über das alles hier ärgern.«

      »So habe ich es nicht gemeint.« Max untersuchte den Alten oberflächlich. »Mein Bruder Lukas und ich, wir haben dich schon bewundert, als wir noch Buben waren. Es tut mir weh zu sehen, daß du offenbar keinen Lebenswillen mehr hast.«

      Der alte Herrgottsschnitzer schwieg eine Weile, schließlich bekannte er leise: »Wenn man so lange auf der Welt ist wie ich, dann tut man Dinge, die net gut und net richtig sind. Hinterher bereut man es, aber dann ist es oft zu spät, noch etwas zu ändern. Mit manchem muß man leben, obwohl es einen bedrückt. Und irgendwann wird man dann müde. Ich wünsche mir, daß ich mich zu meiner Christel legen und ausruhen kann. Das verstehst net, Doktor, dazu bist noch zu jung.«

      »Aber du hast doch noch eine Aufgabe. Das Schnitzmesser liegt dir ebenso gut in der Hand wie vor dreißig Jahren. Warum willst dann nimmer? Hast keine Freude mehr an deiner Arbeit?«

      »Das ist es nicht.« Georg seufzte leise. »Aber es ist auch nicht so wichtig, ich mag net dauernd über mich reden. Lieber tu ich schnitzen. Wennst zuschauen magst, bist mir jederzeit willkommen, Doktor. Aber ins Spital geh ich nicht.«

      Dr. Brinkmeier erhob sich. »Es tut mir leid, Schorsch, aber ich bin kein kleiner Bub mehr, dem es nicht auf eine Stunde ankommt. Ich muß zum nächsten Patienten. Bitte, überlege es dir noch einmal gründlich. Ich schau in den nächsten Tagen wieder bei dir vorbei. Vielleicht siehst ja doch ein, daß ein kurzer Aufenthalt im Spital gar nicht so schlimm wäre...«

      Der Alte lächelte milde. »Ja, geh nur, die Jugend hat nie Zeit und es immer eilig. Die Ruhe kommt mit dem Alter. Aber man muß auch etwas tun, um sie zu bewahren. Und das ist mir wichtig.«

      Unverrichteter Dinge mußte Max Brinkmeier das kleine Häuschen des Herrgottsschnitzers von Wildenberg wieder verlassen. Er hatte sich fest vorgenommen, Georg Filsmeier endlich zur Vernunft zu bringen. Doch leider schien dies unmöglich.

      *

      »Der Filsmeier ist ein alter, sturer Bock. Den müßte man ganz einfach mit Gewalt in den Krankenwagen verfrachten und ins Spital bringen. Manche Menschen wollen halt zu ihrem Glück gezwungen werden«, meinte Afra, als Max und Josef am Abend noch bei einem Glas Wein zusammensaßen. Die alte Hauserin brachte etwas von ihrem selbst gebackenen Früchtebrot, das gerade in der kalten Jahreszeit besonders gut mundete.

      »Man kann niemanden zwingen, vernünftig zu sein«, hielt Max der Hauserin entgegen. »Der Georg sagt, er ist mit seinem Leben zufrieden und braucht keine Hilfe.«

      »Aber wie kann man denn zufrieden sein, wenn es einem schlecht geht?« Afra schüttelte verständnislos den Kopf. »Das sagt er nur, weil er Angst vor dem Spital hat. Und in seinem Alter finde ich das fei recht kindisch.«

      Brinkmeier senior wollte eben etwas erwidern, als das Telefon anschlug. Sein Sohn nahm den Anruf entgegen und erklärte dann knapp: »Ich muß auf der Stelle zum Filsmeier. Gerade haben wir noch von ihm geredet; jetzt hatte er einen Zusammenbruch.«

      »Einen Zusammenbruch? Das Herz?«

      »Vermutlich. Der Strohmüller hat ihn gefunden, als er nach dem Rechten sehen wollte, weil die Tür zur Werkstatt bei der Kälte offen gestanden hat.« Max verließ die Wohnung und lief die Treppe hinunter. Er schnappte sich seinen Notfallkoffer, Josef folgte ihm und fragte: »Soll ich vielleicht mitkommen? Mich kennt der Schorsch schon länger als dich. Und wenn er nun ins Spital muß...«

      Der junge Landarzt

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