Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
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Übertrug nun der Mensch die Entdeckung an sich auch auf die anderen Lebewesen und auf die ihm belebt scheinenden Gegenstände, so gewann er rings um sich Seelen, die er im allgemeinen seiner Seele ähnlich achten mußte. Und so wurden die Tiere wie er beseelt und füllten sich Sonne, Mond, Gestirne, Bäume, Berge, Felsen, Meer, Flüsse und Naturerscheinungen mit Seelen. Max Müller sagt zwar: „Ich kann nicht umhin, es vernunftwidrig zu nennen, wenn man uns weismachen will, daß zu irgendeiner Zeit in der Geschichte der Welt ein Mensch so einfältig gewesen sei, daß er nicht imstande war, zwischen leblosen und belebten Wesen zu unterscheiden, eine Unterscheidung, bei der selbst die höheren Tiere kaum jemals fehlgehen; oder gar, daß sich der Mensch darin gefiel, der Sonne und dem Mond, Bäumen und Flüssen Leben oder eine Seele zuzuschreiben, obwohl er sich dessen vollkommen bewußt war, daß sie weder Leben noch Seele besäßen.“ Aber gerade dieses letztere kann angesichts der außerordentlichen Zahl von Tatsachen nicht zugegeben werden. Der Mensch war sich eben nicht bewußt, daß die Gegenstände weder Leben noch Seele besäßen, er hat eben gerade das Gegenteil angenommen. Und man kann sagen, daß die Entdeckung der Seele als eines Sonderdinges ihm geholfen hat, die Schwierigkeiten, die sich aus der offensichtlichen Leblosigkeit vieler Gegenstände ergeben, zu verringern. Denn er sah an sich, daß er zu Zeiten — im Schlaf — gleichfalls wie leblos erscheint. Da konnten die Seelen der Gegenstände ähnlich sich in Schlummer oder Halbschlummer befinden. Er sah, daß Menschen leblos sind, sobald die Seele aus ihnen schwindet; das konnte auf die Gegenstände gleichfalls Anwendung finden, wo etwa der Augenschein gegen ein Leben allzusehr sprach.
Mit der Einführung der Seele als Sonderding und Lebensprinzip, was selbstverständlich nur sehr allmählich geschah, nahmen nun die Religionen eine neue Wendung. Sie geht nach verschiedenen Richtungen. Wir unterscheiden zunächst Fetischglaube, Seelenglaube, einschließlich Schamanismus, Ahnenglaube, einschließlich Totemismus, Geister- und Dämonenglaube, Götterglaube. Man darf nicht annehmen, daß es sich hier um nacheinander entstandene oder — wenigstens gegenwärtig — auch nur getrennte Religionsgebiete handelt. Alles geht durcheinander, und wir haben ein solches Gewirr von Angaben und Meinungen, daß es kaum möglich ist, zu sagen, was bei diesem oder jenem Volke das Wesentliche ist. Daher auch die sich oft widersprechenden Definitionen und Ergebnisse der einzelnen Forscher und die Verschiedenheiten in der Bedeutung, die sie, je nach Ansicht, den besonderen Anschauungsformen beimessen. Nur allgemeine Grundzüge lassen sich feststellen.
Es entspricht, wie schon bemerkt, der Natur des Menschen, daß ungewohnte, neue oder seltene Gegenstände seine besondere Aufmerksamkeit erregen. Tritt die Beseelung hinzu, so kann Furcht oder Erwartung an diese Gegenstände sich knüpfen. Sie werden als zauberkräftig im Schlimmen oder Guten angesehen, und der Mensch sucht sie durch Gaben zu versöhnen oder sich günstig zu stimmen. Darauf etwa beruht der Fetischismus, wie die Portugiesen ihn in Afrika zuerst kennen gelernt und aus ihrer Sprache (feitiço, Zauber) benannt haben. Hiernach kann alles Fetisch sein oder werden: Töpfe, Steine, Holz, Haar, Geflecht usf. Charakteristisch ist eine Erzählung aus Afrika. Es wurde ein Anker gefunden, ein jedenfalls ungewohntes oder gar unbekanntes Ding. Einer brach ein Stück davon ab und starb kurze Zeit darauf. Sofort heißt es, der Anker wäre ein Fetisch, und der Mann hätte sterben müssen, weil er durch Verletzung diesen Fetisch gekränkt hätte. In Ozeanien sollen chinesische Töpfe als Fetische verehrt werden. Tausende sind der Beispiele, die für den Fetischglauben aus allen Teilen der Welt beigebracht und Tausende auch die Fetische, die in unsere Museen und Sammlungen versetzt sind. Orte, wo üble Fetische sich befinden, werden gemieden und nur zu Kulthandlungen aufgesucht. Gute Fetische nimmt man nach Hause oder tut sie in besondere Hütten. Erfüllen solche Fetische die Erwartungen nicht, oder zeigen sie sich unwirksam, so werden sie mitunter wohl gezüchtigt, und wenn das nichts nützt, fortgeworfen, als gänzlich leblos erkannt. Fetische können von selbst wirken und ihrem Besitzer Glück und Gesundheit bringen und erhalten — solche haben wir ja in Unzahl ebenfalls z. B. in den Amuletten. Oder sie reagieren nur auf Anrufung durch einen Sachverständigen. Daraus ergibt sich nun der ganze Unfug des Zauberwesens und der Zauberer, der überall auf der Erde sich findet und überall die gleichen Züge trägt. Betrügende Betrüger und betrogene Betrüger spielen da ihre verhängnisvolle Rolle. Bei der Beurteilung darf man nicht vergessen, daß der Wilde so wenig Mittel gegen Krankheit, Hungersnot, Tiere usf. besitzt und darum naturgemäß zu allem greift, davon er irgend glauben kann, daß es ihm nützen möchte. Wir finden das gleiche auch bei uns, wo der Mensch von bessern Hilfsmitteln verlassen ist und irgendwelche Beispiele ihm bekannt sind, daß dieses oder jenes, wenn auch noch so Absurde, irgendwo und wann geholfen hat. Wir sehen aber, daß der Fetischglaube rein auf Furcht und Egoismus gebaut ist, und dementsprechend ist der Kult der Fetische eingerichtet. Mit dem guten Fetisch wird wie mit einem Liebling verkehrt; er erhält Gaben an Essen und Getränk, Sitz und Lager. Manche schaffen sich Hunderte und Tausende von Fetischen an; Steine, über die sie stolpern, Blätter, die zu ihren Füßen geweht werden, Holzstücke, die ihnen auffallen, Figuren usf. Und sie sitzen mitunter in der großen Masse von solchen Gegenständen und bitten sie schmeichelnd und verehrend, ihre Kraft ihnen zu weihen. Gefürchtete Fetische können zu furchtbaren Götzen sich auswachsen, die nur durch blutige Opfer zu versöhnen sind, wozu namentlich auch Menschenopfer gehören. Der Fetischismus wird vielfach, so von Comte, Lippert, Schultze u. a. in viel weiterem Sinne aufgefaßt, was später noch zur Sprache kommt. Ich habe die beschränktere Umgrenzung gewählt, um nicht bei einer allgemeinen