Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

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Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein

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gedachten Wesen tun. Wann der Mensch „seine Seele entdeckt“ hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Den Unterschied zwischen einem lebenden Tiere und einem getöteten kennen anscheinend auch Tiere selbst. Der Mensch aber muß zu irgendeiner Zeit diesen Unterschied tiefer aufgefaßt haben und so zu einer Zweiteilung seines Ich gekommen sein. Gegenwärtig scheint kein Volk zu existieren, das den Begriff der Seele nicht kennt. Und man möchte auch glauben, daß, sobald der Mensch die Ursächlichkeit hinreichend bewußt anzuwenden gelernt hat, er durch den Anblick des Toten neben dem Lebenden zu der Ansicht gezwungen werden mußte, jenem fehle etwas, das dieser besitzt und was, eben weil körperlich der Tote zunächst sich vom Lebenden noch gar nicht unterscheidet, das Leben bedingen muß. Der Tote hat also etwas verloren, das Leben in ihm, wir sagen die Seele. Der Naturmensch faßt die Seele als körperlich auf, namentlich als Atem. Das tut er ja mit dem Menschen überhaupt, man denke an ψυχή, anima, bei den Griechen und Römern, die ein „Wehen“ bedeuten, an ruach, nephesch bei den Hebräern, die das gleiche aussagen. Das deutsche „Seele“ soll auch mit einer derartigen Auffassung zusammenhängen, mit seîvan = sich bewegen, seivs = das Meer, in Verbindung stehen. Mitunter wird die Seele auch als „Schatten“ bezeichnet und zwar nicht metaphorisch, sondern konkret, denn der Naturmensch sieht den Schatten für ein Körperliches an, etwa wie die Luft, und wir haben ja selbst Sagen, die von dem gleichen Gesichtspunkt ausgehen. Der Teufel, erzählt Jakob Grimm, unterhielt in einer Gruft zu Salamanca sieben Schüler mit der Bedingung, daß der siebente nach Beendigung des Studiums das Gelag zahlen sollte. Als er seine Schule entließ, wollte er den letzten Schüler zurückbehalten. Dieser aber wies auf seinen Schatten, der wäre der letzte. Da mußte der Teufel den Schatten nehmen, und der Schüler blieb ohne Schatten, wie — Peter Schlemihl. Sonst also ist die Seele etwas Luftartiges, und darum kann sie auch den ganzen Körper durchdringen und überall in ihm sein, während sie andererseits wie Luft nicht gesehen wird. Mitunter freilich wird die Seele unmittelbar als ein Lebewesen betrachtet, entweder als ein dem Menschen gleichendes Bild — weshalb die Griechen sie auch bildlich als εἴδωλον, kleines, den Verstorbenen, zuweilen sogar in der Tracht, nachahmendes Menschlein darstellten —, oder noch derber als Schmetterling, Wiesel, Vogel, am meisten als Schlange aufgefaßt. Auf anderen Stufen wird die Seele auch als Pflanze betrachtet; Jakob Grimm scheint in seiner deutschen Mythologie damit die Metamorphosen verfolgter Menschen, namentlich Mädchen, wie Daphne und Syrinx, in Verbindung zu bringen. „Ursprünglich,“ sagt er, „mag aber die Idee eines unmittelbaren schnellen Übertritts der Seele in die Gestalt der Blume (wofür er einige Beispiele aus deutschen, romanischen und slawischen Sagen beiträgt) zugrunde liegen, wie aus bloßen Blutstropfen, die nur einen kleinen Teil des Lebens enthalten, eine Blume entspringt, im Blut hat die Seele Sitz, mit seinem Verströmen flieht sie hin.“ Die Tschechen nennen die auf Sandgrabhügeln wachsende Quendelblume „Mutterseelchen“. Aber da die Seele dem Körper Leben verliehen hat, schreibt der Mensch ihr höhere Eigenschaften zu als der Mensch als solcher besitzt.

      Übertrug nun der Mensch die Entdeckung an sich auch auf die anderen Lebewesen und auf die ihm belebt scheinenden Gegenstände, so gewann er rings um sich Seelen, die er im allgemeinen seiner Seele ähnlich achten mußte. Und so wurden die Tiere wie er beseelt und füllten sich Sonne, Mond, Gestirne, Bäume, Berge, Felsen, Meer, Flüsse und Naturerscheinungen mit Seelen. Max Müller sagt zwar: „Ich kann nicht umhin, es vernunftwidrig zu nennen, wenn man uns weismachen will, daß zu irgendeiner Zeit in der Geschichte der Welt ein Mensch so einfältig gewesen sei, daß er nicht imstande war, zwischen leblosen und belebten Wesen zu unterscheiden, eine Unterscheidung, bei der selbst die höheren Tiere kaum jemals fehlgehen; oder gar, daß sich der Mensch darin gefiel, der Sonne und dem Mond, Bäumen und Flüssen Leben oder eine Seele zuzuschreiben, obwohl er sich dessen vollkommen bewußt war, daß sie weder Leben noch Seele besäßen.“ Aber gerade dieses letztere kann angesichts der außerordentlichen Zahl von Tatsachen nicht zugegeben werden. Der Mensch war sich eben nicht bewußt, daß die Gegenstände weder Leben noch Seele besäßen, er hat eben gerade das Gegenteil angenommen. Und man kann sagen, daß die Entdeckung der Seele als eines Sonderdinges ihm geholfen hat, die Schwierigkeiten, die sich aus der offensichtlichen Leblosigkeit vieler Gegenstände ergeben, zu verringern. Denn er sah an sich, daß er zu Zeiten — im Schlaf — gleichfalls wie leblos erscheint. Da konnten die Seelen der Gegenstände ähnlich sich in Schlummer oder Halbschlummer befinden. Er sah, daß Menschen leblos sind, sobald die Seele aus ihnen schwindet; das konnte auf die Gegenstände gleichfalls Anwendung finden, wo etwa der Augenschein gegen ein Leben allzusehr sprach.

      Es entspricht, wie schon bemerkt, der Natur des Menschen, daß ungewohnte, neue oder seltene Gegenstände seine besondere Aufmerksamkeit erregen. Tritt die Beseelung hinzu, so kann Furcht oder Erwartung an diese Gegenstände sich knüpfen. Sie werden als zauberkräftig im Schlimmen oder Guten angesehen, und der Mensch sucht sie durch Gaben zu versöhnen oder sich günstig zu stimmen. Darauf etwa beruht der Fetischismus, wie die Portugiesen ihn in Afrika zuerst kennen gelernt und aus ihrer Sprache (feitiço, Zauber) benannt haben. Hiernach kann alles Fetisch sein oder werden: Töpfe, Steine, Holz, Haar, Geflecht usf. Charakteristisch ist eine Erzählung aus Afrika. Es wurde ein Anker gefunden, ein jedenfalls ungewohntes oder gar unbekanntes Ding. Einer brach ein Stück davon ab und starb kurze Zeit darauf. Sofort heißt es, der Anker wäre ein Fetisch, und der Mann hätte sterben müssen, weil er durch Verletzung diesen Fetisch gekränkt hätte. In Ozeanien sollen chinesische Töpfe als Fetische verehrt werden. Tausende sind der Beispiele, die für den Fetischglauben aus allen Teilen der Welt beigebracht und Tausende auch die Fetische, die in unsere Museen und Sammlungen versetzt sind. Orte, wo üble Fetische sich befinden, werden gemieden und nur zu Kulthandlungen aufgesucht. Gute Fetische nimmt man nach Hause oder tut sie in besondere Hütten. Erfüllen solche Fetische die Erwartungen nicht, oder zeigen sie sich unwirksam, so werden sie mitunter wohl gezüchtigt, und wenn das nichts nützt, fortgeworfen, als gänzlich leblos erkannt. Fetische können von selbst wirken und ihrem Besitzer Glück und Gesundheit bringen und erhalten — solche haben wir ja in Unzahl ebenfalls z. B. in den Amuletten. Oder sie reagieren nur auf Anrufung durch einen Sachverständigen. Daraus ergibt sich nun der ganze Unfug des Zauberwesens und der Zauberer, der überall auf der Erde sich findet und überall die gleichen Züge trägt. Betrügende Betrüger und betrogene Betrüger spielen da ihre verhängnisvolle Rolle. Bei der Beurteilung darf man nicht vergessen, daß der Wilde so wenig Mittel gegen Krankheit, Hungersnot, Tiere usf. besitzt und darum naturgemäß zu allem greift, davon er irgend glauben kann, daß es ihm nützen möchte. Wir finden das gleiche auch bei uns, wo der Mensch von bessern Hilfsmitteln verlassen ist und irgendwelche Beispiele ihm bekannt sind, daß dieses oder jenes, wenn auch noch so Absurde, irgendwo und wann geholfen hat. Wir sehen aber, daß der Fetischglaube rein auf Furcht und Egoismus gebaut ist, und dementsprechend ist der Kult der Fetische eingerichtet. Mit dem guten Fetisch wird wie mit einem Liebling verkehrt; er erhält Gaben an Essen und Getränk, Sitz und Lager. Manche schaffen sich Hunderte und Tausende von Fetischen an; Steine, über die sie stolpern, Blätter, die zu ihren Füßen geweht werden, Holzstücke, die ihnen auffallen, Figuren usf. Und sie sitzen mitunter in der großen Masse von solchen Gegenständen und bitten sie schmeichelnd und verehrend, ihre Kraft ihnen zu weihen. Gefürchtete Fetische können zu furchtbaren Götzen sich auswachsen, die nur durch blutige Opfer zu versöhnen sind, wozu namentlich auch Menschenopfer gehören. Der Fetischismus wird vielfach, so von Comte, Lippert, Schultze u. a. in viel weiterem Sinne aufgefaßt, was später noch zur Sprache kommt. Ich habe die beschränktere Umgrenzung gewählt, um nicht bei einer allgemeinen

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