Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein
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Ganz abweichend davon, aber wiederum mit anderen weitverbreiteten Anschauungen über den Seelenaufenthalt in den großen Zügen in Einklang stehend, ist was Bastian von dem Jenseits der Maori erzählt, und was sich fast wie eine abgekürzte Dantische Höllenbeschreibung liest. Die Erde besteht, wie schon bemerkt, aus zehn Schichten. Die oberste Schicht ist die Erde selbst. Die folgende Schicht gehört dem Reiche der Wurzeln und Knollen. Mit der dritten Schicht, Reinga, wo auch die Nachtgöttin Hine-nui-te-po weilt, hebt das eigentliche Totenreich an. Bis dahin sind die Seelen noch lebens- und empfindungsfähig und können zur Erde zurück und dort noch viel Unheil anrichten. Aber nun beginnen die Kräfte mehr und mehr zu schwinden. In der fünften schon kann die Seele zu einem bleichen Schatten geworden sein, alsdann fällt sie der rachsüchtigen Göttin Rohe, ursprünglich Mauis Gemahlin, zur Beute und wird getötet. Kann sie noch entkommen, so gelangt die Seele mit immer weiter abnehmenden Kräften in die sechste, siebente Schicht. Wenige taumeln in die achte Schicht, wo sie zum Teil vom Gotte Meru vernichtet werden, noch weniger in die neunte, um von da in die letzte Schicht Meto = Verwesungsgestank zu stürzen, wo alles endet. „Das waren die Aussichten nach dem Tode, also noch trauriger als sie Odysseus bei seinen Waffengefährten im Hades fand“, sagt Bastian. Der Eingang zu dieser Unterwelt befand sich auf der Nordinsel von Neuseeland, im Nordkap, der Weg soll wieder westwärts führen. Freundlicher sehen selbst die Australier das Jenseits an, die Guten ziehen zu den guten Geistern, die Bösen zu den bösen. Oder die Seelen sitzen auf Bäumen oder weilen in einer Höhle. Bei den unkultivierten Malayen führt der Weg in das Jenseits über oder unter Meer, und sie müssen mit Waffen und Gefolge und mit Bestechungsmitteln ausgerüstet sein, um die Gefahren von Geistern und Höllenhunden besiegen zu können, ehe sie in das Paradies gelangen. Oder, die eines natürlichen Todes sterben, gehen nach Norden und bleiben dort in einem Walde, „dessen Bäume sich beim Einbruch der Dunkelheit in Hütten verwandeln.“ Dort leben sie „aus den unsichtbaren Bestandteilen der Tiere, aus Reis und den Opfergaben der Verwandten“, letzteres wie überall. Die eines unnatürlichen Todes, im Kampfe oder während der Entbindung Gestorbenen kommen zu den Göttern.
Fassen wir die Frage vom Schicksal der Seele nach dem Tode ethisch auf, so muß es auffallen, wie verschieden die Antworten sind. Dem absolut Hoffnungs- und Freudlosen der Maori steht das fast Vergnügliche der Indianer gegenüber. „Soviel scheint festzustehen,“ sagt Spieß in seinem umfangreichen Werke „Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode“, „daß alle Elemente von Schrecken oder Furcht vor der anderen Welt der ursprünglichen Religion der Indianer fremd waren. Nur einzelne Spuren einer notwendigen oder vermutlichen Reinigung und Vergeltung finden sich. Meist aber besteht der Unterschied zwischen Guten und Bösen nur darin, daß jene ohne alle Schwierigkeit über den See oder Fluß gelangen, welchen man vor dem Betreten der anderen Welt passieren muß, diese entweder in dem Wasser untergehen oder bis zum Kinn in das Wasser sinken, wo sie in alle Ewigkeit vergeblich das nahe lockende Gestade zu erreichen sich abquälen, oder aber, daß sie erst nach schwerem Ringen an das Gestade kommen.“ Also das Ausbleiben des Gewinnes ist die Strafe (Tantalusqual!). Im übrigen hat schon Schiller in Nadowessiers Totenlied treffend das indianische Jenseits geschildert. Dazwischen liegen vermittelnde Ansichten, wie bei den Eskimo, daß die Seelen der Guten in die warme Erde, die der Bösen in den eisigen Himmel gelangen. Eine höchst interessante Umkehrung unserer Ansichten, die aus der Natur des Landes sich erklärt, das die Eskimo bewohnen, und Carus Sternes (Ernst Krauses) Warnung durchaus bestätigt, Mythen ohne Rücksicht auf die Lebensverhältnisse zu erklären. Eine entsprechende Umkehrung hat man bei den früheren Negersklaven in Amerika beobachtet. Während der freie Neger in Afrika das frohe Jenseits im Westen sucht, besteht für den amerikanischen Negersklaven dieses Jenseits im Osten, in Afrika, und viele haben sich bei zu drückendem Joche getötet, um nach Afrika zurückzugelangen und dort frei als Seelen zu leben (S. 43). Es läßt sich nicht leugnen, daß manche Naturvölker strenge Bestrafung der Bösen im Jenseits oder auf dem Wege dahin allerdings annehmen, und Belohnung der Guten. Aber sie definieren Gut und Böse nach ihrer Art. Und das kommt, wenn es wohl geht, auf tapfer und feige heraus, wie bei den Germanen. Meist steht es mit dem „Gut“ nach unseren Begriffen sehr übel. Dazu rechne man noch die selbstverständliche Bevorzugung der Vornehmen auch im Jenseits, wovon eine Spur auch im Homer noch erhalten ist, wo Achill im Hades, wenn auch Schatten, doch Übergeordneter der Schatten ist, um Paradies und Hölle der Naturmenschen von denen der Kulturmenschen erheblich zu scheiden. Doch kommt es gedanklich darauf nicht an; die Idee entscheidet hier, nicht ihre Übereinstimmung mit dem, was wir meinen.
Viel weniger als um das Schicksal der Seele nach dem Tode ist der Naturmensch bekümmert um ihr Weilen vor dem Leben. Was mit der Seelenwanderung zusammenhängt, werden wir später besprechen, da eine solche bei den Naturvölkern nur so weit vorhanden ist, als die Seelen an sich beliebig sich von einem Körper in einen anderen begeben können. Aber selbst das genügt schon, um zu überzeugen, daß sie schon früher auf Erden gewesen sind und nun zurückgekehrt seien. Darum erzählen viele Sagen von Menschen, die im Jenseits geweilt haben, und dann wieder zur Erde gelangt, eine vollständige Beschreibung des Jenseits geben konnten. Manche solcher Beschreibungen verlaufen wie die von Orpheus und Eurydike; so eine sehr anmutige Geschichte von einem Indianer, der, da seine Geliebte starb, ihr in das Jenseits folgte, aber durch den großen Geist wieder auf die Erde geschickt wurde. Und irgendwo habe ich gelesen, daß es einem Europäer, der ein Negermädchen zur Frau nahm, auf keine Weise gelang, ihr auszureden, sie sei nicht schon früher unter gleichem Namen und unter gleichen Verhältnissen auf der Erde gewesen. Das ist nicht die bekannte Metempsychose, sondern eine dem Naturmenschen mehr passende Resurrektion. Indessen kommen die Seelen auch in anderer Weise zur Erde. Und zwar nach dem, was Frobenius das Gesetz der Umkehrung nennt. Dieselben Mittel, die die Seele ins Jenseits befördern, bringen sie auch auf die Erde. Also sind namentlich Vögel zugleich Seelenbringer. Bei den Tonganern und Samoanern bringt Tuli als Vogel die Seelen in die Menschenkörper, ja sogar in Würmer. Die Neuseeländer erzählen, daß einst ein gewaltiger Vogel sich auf das Meer senkte und dabei ein Ei fallen ließ; aus dem kamen „ein alter Mann und eine alte Frau, ein Knabe und ein Mägdlein mit Hund und Schwein in einem alten Kanoe hervor und landeten an der Küste Neuseelands.“ Soviel lebende Kraft wohnt den Vögeln inne, daß aus einem Vogel die ganze Erde samt allem Lebenden auf ihr hergestellt wurde, erzählen Malaien auf Sumatra. Hierher gehört auch eine Sage bei den Australiern, daß die Sonne ursprünglich ein Emuei gewesen sei. Ein kleiner Vogel richtete es her und warf es in die Luft, da wurde es hell. Darum dienen Vögel und ihr Blut zu Opfern und symbolischen Handlungen, wo es sich um Belebung und Befruchtung handelt, so daß sogar Fetischbilder, durch Versenken eines Huhnes in ihr Inneres, oder durch Bestreichen mit Vogelblut — man erinnere sich, daß im Blut die Seele wohnt — oder selbst durch Umwinden mit Vogelfedern belebt werden. Brautleute werden in Afrika mit Vogelblut bestrichen, um sie fruchtbar zu machen, und in Felder werden Vogeleier versenkt, daß sie möglichst ertragfähig werden. Und an unseren Freund Storch darf nur erinnert werden.
ZWEITES KAPITEL.
Religiöse Welt- und Lebenanschauungen der Kulturvölker.
15. Die Kulturvölker als Naturvölker.
Daß die gegenwärtigen und vergangenen Kulturvölker einst auf dem Standpunkte der Naturvölker sich befunden haben, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Freilich treten uns die meisten Kulturvölker, sobald ihre Geschichte beginnt, schon wie kulturfertig entgegen. Es gehört zu den großen Rätseln der Menschenentwicklung, daß zum Beispiel die Ägypter mit einem Schlage als das Volk dastehen, als welches sie dann mehrere Jahrtausende die Geschichte kennt. Brugsch hat dieses für ihr ganzes Religions- und Mythensystem nachgewiesen. Wir wissen es in gleicher Weise für ihre Kunstfertigkeit, für staatliches und soziales Leben. Und in