Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

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Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein

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ausgewachsen haben, da mehrere Könige Hunderte von Menschen, die diesen Gewerben nachgingen, verbrennen ließen. Wälder, Berge, Wasser, Höhlen wimmelten von Geistern und Dämonen. Meist waren diese bösartiger Natur. Doch hatte jeder Skandinavier auch einen Schutzgeist (Vätten), einen „Führer“, Fylgior, dessen Bedeutung der des Mannes entsprach. Gleichwohl war das Volk auffallenderweise höchst fatalistisch gesonnen: „gegen sein Schicksal kann sich niemand bewahren“ wird in Liedern unzählig variiert. Das ist nicht naturmenschlich gedacht. Als naturmenschlich aber wiederum muß es bezeichnet werden, wenn die Götter, wie es so oft geschieht, kaum höher gestellt werden als machtvollere Menschen. Odin spricht von sich im Runenliede des eddischen Havamal im gleichen Tone, wie ein Runenzauberer reden würde. Er führt sich ein, wie er an einem Baume (wohl an der Weltesche Yggdrasil) neun Nächte hing, ohne Speise und Trank. Da lernte er Runen und fiel herab. Und dann zählt er alles auf, was er mittelst dieser Runen zu vollbringen weiß: Hilfe gegen Sorgen und Seuchen, feindliche Waffen stumpfen und weichen, Freiheit dem Gefesselten, Leben dem Getöteten usf. Und welch eine Fülle von menschlich Verkommenem unter den Asen und Asinnen enthält das Schmählied Lokis, die Lokasenna in der Edda. Da erscheinen die Götter und Göttinnen niedriger noch als im Nibelungenring; Wagner hat sie noch veredelt. Es scheint, als wenn die südlichen Germanen doch höhere Ideen von ihren Gottheiten besessen haben als ihre nordischen Brüder. Doch hat man oft Lieder wie die Lokasenna als bewußte Begründung zu der so hochtragischen Götterdämmerung angesehen.

      Von den Kelten ist nicht viel überliefert. Cäsar sagt, daß die Druiden das Volk lehren, die Seele gehe nicht unter, sondern fahre nach dem Tode des Menschen in einen anderen Körper. Diodor aus Sizilien erzählt das gleiche, fügt aber noch hinzu: „Daher kommt es, daß bei ihren Leichenbegängnissen einige Leute Briefe, die sie an ihre verstorbenen Väter, Mütter oder Verwandte geschrieben haben, in das Feuer werfen, in der Meinung, daß die Toten diese Briefe lesen würden.“ Cäsar erzählt auch, daß bei Leichenbegängnissen nicht bloß Gegenstände und Tiere, sondern auch Sklaven und Schutzbefohlene mitverbrannt wurden. Die Gallier liehen auch Geld, mit Bezahlung im Jenseits, wo sie also wie im Diesseits lebten. Lucanus, in der Pharsalia, spricht letzteres auch deutlich aus:

      ... Ihr lehret dawider, daß nimmer die Schatten

      Wollen zum schweigenden Erebus hin, auch sähen sie nimmer

      Plutos dämmerndes Land, es beherrsche die Glieder derselbe

      Geist noch in anderer Welt: es steht — wenn euer Gesang wahr —

      In eures Lebens Mitte der Tod. — —

      Das alles ist sicher rein naturmenschlich. Daß die Welt von drei Druiden geschaffen oder aus der Tiefe, auch aus dem Meere heraufgeholt sei, gehört ebenfalls hierher. Was es mit den Gottheiten Teutates, Hesus, Cermunus, Taranis, Belis oder Belenus, Ogmius, Andrate und vielen anderen für eine Bewandtnis hatte, können wir nicht sagen. Cäsar teilt mit, die Gallier verehrten Merkur, Apollo, Mars, Jupiter, Minerva. Damit ist für unsere Zwecke nichts anzufangen. Doch wissen wir, daß sie die Gottheiten aus der Materie hervorgegangen ansahen, und daß sie auch Flüssen, Quellen, Bergen, Bäumen opferten. Und ihr Götterdienst war von solchen Greueln erfüllt, daß Kaiser Claudius, nachdem alle Mittel, ihn zu mildern, gescheitert waren, ihn ganz unterdrücken mußte. Gleichwohl werden die Gallier wenigstens in der Kultur ziemlich hoch gestanden haben, da Cäsar und andere so viel von ihren Städten, Tempeln, Schulen und Kenntnissen mitteilen. Von dem, was die altgälischen Barden erzählen und was wir im Ossian lesen, hat, wegen der mindestens zweifelhaften Originalität, abgesehen werden müssen. Einiges ist übrigens von mir an anderer Stelle vorgetragen.

      Wir sind gezwungen, die Runde durch die Kulturvölker fortzusetzen. Die griechische Religionsanschauung ist nach allen Richtungen durchforscht. Merkmale des Seelen- und Ahnenglaubens, auch des Fetischismus, sind in ihr, namentlich in früherer Zeit und bei abgelegeneren Stämmen zweifellos vorhanden. Bei Homer führt die Seele ganz das Leben wie bei den Naturvölkern; sie entflieht eilig aus der klaffenden Wunde, sie zieht wie dampfender Hauch unter die Erde, sie erscheint im Traume, um für den Körper Begräbnis zu erflehen, damit sie selbst Ruhe finde, sie trinkt Blut und gewinnt dadurch irdisches Gedächtnis und Kraft, sie bekommt Gaben und Menschenopfer. Kleidung, Schmuck, Waffen wurden den Toten noch bis in die letzte Zeit ins Grab getan.

      Deinem Weibe trägt die Dienerschar

      Den Schmuck in Händen, dessen sich die Toten freun

      sagt der Chor in der Alkestis des Euripides zu Admetos. Und eine eingehende Schilderung aller Gaben teilt Atossa in den Persern des Aischylos mit. Lukianos noch spottet darüber, daß man den Toten soviel mitgebe oder mit ihnen soviel verbrenne, als ob sie sich dessen im Jenseits bedienen könnten. Und die überhaupt durch überwältigendes Unglück zweifelsüchtig gewordene Hekabe sagt in den Troerinnen des Euripides, da sie ihrem so grausam hingemordeten Enkel Astyanax die Totenfeier richtet, zu den Dienern:

      Geht, übergebt den Toten seinem düstern Grab;

      Denn Totenkränze hat er ja, wie’s ihm gebührt.

      Und wenig kümmert’s, mein’ ich, die dort unten sind,

      Ob einem hier ein reiches Totenopfer wird;

      Das ist nur eitler Übermut der Lebenden.

      Und doch glaubt dieselbe Hekabe, daß in der Unterwelt der Vater, Hektor, die Wunden des Sohnes heilen wird. Soviel Inkonsequenz herrscht bei einer ja ungewissen Sache.

      In Ausnahmefällen geschah auch den Gräbern Verehrung. Was der Chor in dem vorgenannten Drama Alkestis bei der ergreifenden Totenfeier noch spricht:

      Nicht wie das Grab anderer sei deiner Gemahlin Grab

      Angesehn; zu ihm wie zu den Göttern,

      Betend ehr’ es der Wanderer!

      Und mancher, die Pfade seitwärts wandelnd, redet das Wort:

      „Sie starb, den Gemahl zu retten;

      Nun ward sie selige Göttin.

      Heil, Holde, dir! Glück gewähr uns!“

      

      ist nicht bloß dichterische Empfindung. Der gleiche Chor ruft der toten Alkestis nach: Κούφα σοῖ χθὼν ἐπάνωθεν πέσοι, sit tibi terra levis, Leicht sei dir die Erde! wie wir noch jetzt sagen. Von dem Seelenphantom, dem εἴδωλον, und den Seelenvögeln habe ich bereits gesprochen (S. 73 f.). Daß die Griechen Seelen auch in Schlangen sahen und verehrten, wissen wir aus Pausanias. Daß auch Fetische bekannt waren, sehen wir aus den vielen Verwandlungen von Menschen in Bäume, Sträucher und Felsen. Außerdem ist es hinreichend bezeugt, wie in frühen und späten Zeiten Steine und Pfosten Sinnbilder von Göttern waren, denen auch Opfer gebracht wurden. Was aber den Ahnenkultus anbetrifft, so hat schon Euemeros den ganzen griechischen Götterglauben auf ihn zurückgeführt. Und das haben bekanntlich mehr oder weniger vollständig viele vor ihm und nach ihm gleichfalls getan. Zu solchen Übertreibungen haben die Griechen selbst beigetragen, indem jedes Fürstengeschlecht und jedes Völkchen möglichst von einer Gottheit, mindestens aber von einer Halbgottheit abstammen wollte, indem von den Göttern gar zu menschlich erzählt worden ist, und endlich, indem den Mächtigen auf Erden nicht selten göttliche Ehren erwiesen wurden. Dazu kommen die noch bis in sehr späte Zeit vorgefallenen Menschenopfer, die jeder wahrhaft höheren Gottheitsanschauung so sehr widerstreben. Und wenn ein Themistokles oder gar ein Cäsar solche Opfer vollziehen, so kann man sich das zwar dadurch erklären, daß sie dem Drängen des Volkes (oder Heeres) nachgegeben haben. Aber auf dem Volke bleibt es

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