Luisas Abenteuer. Carola Wegerle
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Jan gibt ihr Geld für die Karte.
„Ich überweise es dir gleich heute Abend“, sagt Luisa.
„Das hat Zeit.“ Er lächelt. „Bring es mit, wenn du uns in den Ferien besuchen kommst.“
„So lange warte ich bestimmt nicht.“
Sie öffnet die Beifahrertür. „Halt!“, ruft Jan. „Gib mir deine Telefonnummer.“ Luisa setzt sich noch einmal ins Auto. Sie blickt ihn fragend an. „Es muss ja nicht immer alles über deine Eltern laufen, nicht?“, meint er. „Wir werden sicher die eine oder andere Frage wegen Racker haben.“
Luisa ist erleichtert. Ja, das ist wichtig. Jan tippt ihre Nummer in sein iPhone. Es sieht fast so aus wie Luisas, nur ist es viermal so teuer. Das sieht Luisa gleich. Sie hat ja erst vor kurzem alle Smart- und iPhones verglichen, bevor sie ihr schönes schwarzes und nicht so teures kaufte. Von ihrem Theatergeld. Viele Vorstellungen hat sie gespielt, am Stadttheater, wie ein Profi. Noch immer fühlt es sich ein bisschen unwirklich an, dass ihr großer Wunsch, Theater zu spielen, in Erfüllung gegangen ist. Nach einem Vorsprechen, bei dem alles schiefging.
Dass sie die Rolle bekommen hatte! Verena hatte ihr Mut gemacht hinzugehen. Ihre Freundin wusste, wie gern sie spielen wollte. Und dass sie nie jemanden fand, der mit ihr spielte.
Luisa hat ihr ein dunkelgrünes Sweatshirt für ihr Training gekauft, natürlich Verenas Lieblingsmarke. Und sich von dem Geld auch selbst ein paar Wünsche erfüllt. Ein Tablet zum Beispiel. Mit Skype. Und sechs neue T-Shirts ganz ohne Aufdruck. Und eine richtig gut sitzende Jeans.
„Wenn ich jetzt Jan und Sören das Geld zurückzahle, ist mein Konto leer“, rechnet sie aus, als sie zwanzig Minuten später im Zug sitzt. „Egal, aber ich kann es bezahlen.“
Sie denkt an Racker, wie er sie angesehen hat, als sie die Box das erste Mal verließ. Und sie kann nichts dagegen tun, die Tränen laufen und laufen, als hätte jemand einen Hahn aufgedreht. Die Fahrgäste blicken sie verwirrt an. So viele, die einem gleich den Arm um die Schulter legen, gibt es aber nicht. Jedenfalls nicht in Zügen. Die Leute gucken lieber weg. Das ist Luisa recht. Sie hat zum Glück einen Fensterplatz. Da kann sie sich in die dicke silberne Jacke von Lena kuscheln und auch das Gesicht halb darin einwickeln. Wer ist eigentlich Lena?
Niemand spricht sie an. Draußen sind Wiesen und niedere Zäune, flache Backsteinhäuser, sehr vereinzelt, und – Pferde. Viele Pferde. Es ist ein flaches Land. Mit sehr grünen Wiesen, staunt Luisa. Und überall Pferde! Sie reckt den Hals und erinnert sich daran, wie sie als Kind hinten im Auto saß und „Ein Pferd! Ein Pferd!“, gebrüllt hat, wenn sie eines sah. Eines! Bei diesem Anblick hier wäre sie sicher vollkommen ausgerastet. Luisa muss lächeln. Mit dem Rest von Jans Taschentuch, also dem, der noch nicht ganz durchnässt ist, wischt sie sich die Tränen weg.
Es kommen schon wieder welche. Trotzdem hat sie das Gefühl, dass ein Sonnenstrahl durch graue Wolken bricht. In den Ferien Racker besuchen? Ja. Ja! Ja!!!! Ja, das will sie.
Aber wer wohnt denn dort außer Sören und Jan und, nein, die Frau, die für den Haushalt sorgt, wohnt vermutlich gar nicht dort, sonst hätte Luisa sie ja gesehen. Das werden ihre Eltern sicher nicht erlauben, denkt sie. Wenn da keine Familie ist ...
Sie lassen sie doch nicht zu zwei wildfremden Männern, allein. Aber - Racker! ...
Nein, anlügen wird sie Ihre Eltern nicht. Nie. Sie wird keine Familie erfinden. Sowas macht sie nur im Theater.
Theater? Luisa schlägt sich die Hand vor den Mund: Morgen ist ihre letzte Vorstellung! Sie glaubt, sie bekommt keine Luft mehr. Die hätte sie ja beinahe vergessen. Vor lauter Sorge um Racker. Die letzte! Und überhaupt. Sie hat noch nie bei einer Vorstellung gefehlt, sogar mit einem Gipsbein hat sie gespielt, die Vorstellung muss stattfinden, das ist, wenn man am Theater arbeitet, das Wichtigste. Es ist wichtiger als alles andere für Theaterleute. Und wenn sie mitspielt, ist sie eben auch ein Theatermensch. Die letzte Vorstellung!
Das letzte Mal Viola sehen? Und Tobias? Und Ursula und Sandra und alle anderen, die am Theater arbeiten, und zum letzten Mal das altmodische Hängerchen tragen, mit der kleinen Fahne wedeln und das schöne Lied singen. Und Federball spielen mit Leonard ... Sie wird ihn vermissen. Er war ja nur Gast am Theater, ist für den verletzten Konstantin eingesprungen, und wohnt weit weg. Und wie er ihr stolz erzählte, hat er bereits ein Engagement in Osnabrück, das ist wohl ein Sprung weiter für ihn. Hoffentlich lernt er rechtzeitig seinen Text, denkt Luisa. Sonst wird das kein Sprung, sondern ein Bauchplatscher. Aber trotzdem: Er war ihr Bruder, einige Monate lang, und er hat sie Abend für Abend im Arm gehalten. Sie wird ihn vermissen. Vielleicht kann sie ihn auch besuchen? Irgendwann. Nein, sie möchte bei Racker sein, in jeder Minute ihrer Ferien.
Die letzte Vorstellung. Es tut weh. Sie hat die Rolle gern gespielt. Es war ein Stück Leben, das sie leben durfte. Geliehenes, aber auch von ihr selbst erschaffenes Leben. Ein Stück von ihr eigentlich.
Oh, wie kann ich denn jetzt Geld verdienen, um Racker zu besuchen, im Sommer – wie lange ist es noch bis zum Sommer!
Und wie kann ich meine Eltern dazu überreden, mich dorthin zu lassen? Wenn sie vielleicht ihren Urlaub auch dort machen könnten, also in einer Pension in der Nähe, das wäre die Lösung. Aber Papa will ja immer ans Mittelmeer, er braucht Wärme, und Olli freut sich auch schon auf den Strand. Mama! Sie muss sie dazu bringen, dass sie Deiche und flaches Land mit vielen Pferden ganz toll findet und Papa überredet, einmal Urlaub im Norden zu machen.
Das Gästezimmer lasse ich mir aber nicht nehmen, da können sie machen, was sie wollen. Außerdem sparen sie dann das Hotelzimmer für mich. Ist das nicht ein wirklich cooles Argument?
Daniel wird sich hoffentlich freuen, dass Racker doch nicht bei einem Schnösel gelandet ist. Könnte Daniel nicht mitkommen? Aber er hat im Sommer ein Praktikum in Amerika, gleich nach seinen College-Prüfungen. Jetzt erst wird ihr klar, dass auch er im Pferdeland sein wird. Durch die Zeitverschiebung skypen sie immer nur zu Zeiten, an denen einer von beiden todmüde ist. Mensch, Luisa, sagt sie sich, ich habe ein Tablet, ich habe ein iPhone, ich kann ja wohl mal googeln, wie es da aussieht, wo Daniel studiert. Ein Collegejahr mit Spezialisierung auf Pferdezucht und Landwirtschaft. Seine Schule hat ihn dafür ein Jahr freigestellt, weil dieses Stipendium ganz selten vergeben wird und nur total begabten jungen Pferdewirten vorbehalten ist. Angehenden Pferdewirten.
Der muss ja sehr intelligent sein, der Daniel, denkt sie, wieso habe ich das noch gar nicht gemerkt? Ich finde ihn nur einfach, also da ist etwas, wo mein Herz immer zu tanzen anfängt, wenn ich an ihn denke. Und wenn ich ihn sehe, dann kann ich eigentlich gar nicht mehr denken. Ich sehe einfach so gern, wie er mit Pferden umgeht. So liebevoll und sicher. Und dann - liebe ich ihn. Liebe ich ihn?
5
Bei diesem Gedanken schläft sie ein. Und wird erst wieder wach, als der Zug hält. Koblenz! Ihr Bahnhof! Gott sei Dank hat sie kein Gepäck. Die Türen werden schon geschlossen, als sie sich hindurchzwängt und auf den Bahnsteig springt.
Ihre Mutter steht da! Luisa fühlt eine heiße Welle des Glücks aus ihrem Herzen rollen. Sie stürmt auf die zierliche Frau in der dicken Jacke zu und fällt ihr in die Arme.
„Luisa!“, sagt ihre Mutter nur und drückt sie ganz fest.
„Tut mir leid, Mama“, schnieft sie, „ich