Agnes Grey. Anne Bronte
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Welch glückliche Stunden verbrachten Mary und ich damit – ob wir nun mit unserer Arbeit am Feuer saßen, über die mit Heidekraut bedeckten Hügel wanderten oder unter der Hängebirke faulenzten (dem einzig bemerkenswerten Baum im Garten übrigens) –, über unser zukünftiges Glück und das unserer Eltern zu sprechen, darüber, was wir tun, sehen und besitzen würden; dabei hatten wir keine solidere Grundlage für unsere großartigen Gedankengebäude als die Reichtümer, die die erfolgreichen Spekulationen des ehrenwerten Kaufmanns uns hoffentlich bescheren würden. Unserem Vater ging es nicht viel besser als uns, nur gab er vor, die Sache nicht so ernst zu nehmen. Seine strahlenden Hoffnungen und überschwänglichen Erwartungen drückten sich in Späßen und witzigen Einfällen aus, die ich stets ausgesprochen geistreich und lustig fand. Unsere Mutter lachte vergnügt, wenn sie ihn so hoffnungsfroh und glücklich sah, aber sie fürchtete noch immer, dass sein Herz zu sehr an dieser Angelegenheit hing, und einmal hörte ich sie beim Verlassen des Zimmers murmeln: »Gebe Gott, dass er nicht enttäuscht wird! Ich weiß nicht, wie er das ertragen würde.«
Aber er wurde enttäuscht, und zwar bitterlich. Wie ein Donnerschlag traf uns die Nachricht, dass der Segler, an dessen Bord sich unser Vermögen befand, Schiffbruch erlitten habe und mit der ganzen Ladung, einem Teil der Mannschaft und dem unglücklichen Kaufmann gesunken sei. Ich grämte mich um ihn, ich grämte mich um den Einsturz all unserer Luftschlösser, aber mit der Schwungkraft der Jugend erholte ich mich bald wieder von dem Schock.
Mochte der Reichtum seine Reize haben, die Armut besaß jedenfalls keinerlei Schrecken für ein unerfahrenes Mädchen wie mich. Ja, um ehrlich zu sein, hatte der Gedanke, dass wir in die Enge getrieben und auf unsere eigene Findigkeit angewiesen waren, etwas Anregendes für mich. Ich hätte nur gewünscht, Papa, Mama und Mary wären der gleichen Ansicht gewesen; dann hätten wir alle, statt vergangenes Unheil zu beklagen, frohen Mutes darangehen können, es wiedergutzumachen, und je mehr Schwierigkeiten es gab, umso stärker würden wir dagegen kämpfen; je härter unsere derzeitigen Entbehrungen waren, umso lieber wollten wir sie ertragen.
Mary beklagte sich nicht, aber sie dachte unaufhörlich über das Unglück nach und geriet in einen Zustand der Niedergeschlagenheit, aus dem ich sie trotz all meiner Anstrengungen nicht aufrütteln konnte. Ich vermochte sie jedenfalls nicht dazu zu bringen, die Angelegenheit so wie ich von ihrer positiven Seite zu sehen; und ich fürchtete sogar, dass sie mir kindischen Leichtsinn oder blanke Gefühllosigkeit vorwerfen würde, und behielt die meisten meiner glänzenden Einfälle und aufmunternden Bemerkungen sorgsam für mich, wohl wissend, dass sie sie nicht schätzen würde.
Meine Mutter dachte nur daran, meinen Vater zu trösten, unsere Schulden zu bezahlen und unsere Ausgaben mit allen zu Gebote stehenden Mitteln einzuschränken. Meinen Vater aber hatte das Unglück vollkommen überwältigt: Gesundheit, Kraft und geistige Verfassung verschlechterten sich aufgrund des Schicksalsschlages, und er sollte sich nie wieder völlig davon erholen. Vergebens bemühte sich meine Mutter, ihn aufzumuntern, indem sie an seine Frömmigkeit, seinen Mut und seine Liebe zu ihr und uns appellierte. Gerade diese Liebe war seine größte Qual: Um unsertwillen hatte er so sehnlichst gewünscht, sein Vermögen zu vermehren, der Gedanke an uns hatte seine Hoffnungen so überstrahlt und trug nun so viel Bitterkeit zu seinem gegenwärtigen Kummer bei. Es quälten ihn Gewissensbisse, weil er den Rat meiner Mutter nicht befolgt hatte, der ihm wenigstens die zusätzliche Schuldenlast erspart hätte; vergebens machte er sich Vorwürfe, sie aus der Würde, der Behaglichkeit, dem Luxus ihres früheren Standes herausgelöst zu haben, während sie sich stattdessen an seiner Seite mit den Sorgen und Mühen der Armut abplagen musste. Es lag ihm bitter auf der Seele, diese prächtige, hochgebildete, einst so sehr hofierte und bewunderte Frau in eine emsig wirtschaftende Hausfrau verwandelt zu sehen, die sich mit Kopf und Händen unablässig alltäglichen Haushalts- und Wirtschaftsfragen widmen musste. Die Bereitschaft, mit der sie diesen Pflichten nachkam, die Heiterkeit, mit der sie den Rückschlag ertrug, die Güte, die sie davon abhielt, ihm auch nur die geringste Schuld zuzuweisen: All dies führte bei seinem selbstquälerischen Talent zu einer zusätzlichen Verschlimmerung seiner Leiden. So zehrte der Geist am Körper und brachte das Nervensystem in Unordnung, die Nerven wiederum verstärkten die geistigen Beschwerden, bis schließlich durch Wirkung und Gegenwirkung seine Gesundheit ernstlich beeinträchtigt war; und keiner von uns vermochte ihn davon zu überzeugen, dass unsere Zukunftsaussichten nicht halb so düster, so gänzlich hoffnungslos waren, wie er es sich in seiner krankhaften Phantasie vorstellte.
Der nützliche Ponywagen wurde verkauft, zusammen mit dem kräftigen, wohlgenährten Pony, unserem alten Lieblingstier, das laut einhelligem Beschluss seine Tage friedlich bei uns beenden sollte und von dem wir uns niemals hatten trennen wollen. Der kleine Wagenschuppen und der Stall wurden vermietet, der Dienstbursche und das tüchtigere der beiden Dienstmädchen (welches das kostspieligere war) wurden entlassen. Unsere Kleider wurden ausgebessert, gewendet und bis an die Grenzen der Schicklichkeit geflickt; unsere Mahlzeiten, auch bisher schon bescheiden, wurden nun in einem nie gekannten Ausmaß vereinfacht – mit Ausnahme der Lieblingsgerichte meines Vaters; Kohlen und Kerzen wurden peinlich genau eingeteilt: die zwei Kerzen auf eine einzige reduziert und auch diese nur sparsam gebraucht; auch mit den Kohlen im halbvollen Kamin gingen wir haushälterisch um; vor allem, wenn mein Vater wegen seiner Gemeindepflichten unterwegs oder krank ans Bett gefesselt war, saßen wir da, die Füße auf dem Ofenschirm, schoben von Zeit zu Zeit die verglimmenden Kohlen zusammen und schütteten gelegentlich etwas von den verstreuten Kohlestückchen und Kohlenstaub darüber, um die Glut nicht verlöschen zu lassen. Was unsere Teppiche anging, so waren sie mit der Zeit abgenützt und noch weitaus mehr geflickt und gestopft als unsere Kleider. Um die Ausgaben für einen Gärtner zu sparen, übernahmen Mary und ich es, den Garten in Ordnung zu halten; alle Küchen- und Hausarbeit, die von einem einzigen Hausmädchen nicht leicht zu bewältigen war, wurde von meiner Mutter und meiner Schwester erledigt, wobei ich sie gelegentlich ein wenig unterstützte: ich betonte ein wenig, denn obwohl ich meiner Ansicht nach bereits eine Frau war, in ihren Augen war ich noch immer ein Kind. Wie die meisten tatkräftigen, rührigen Frauen war meine Mutter nicht mit ebenso tatkräftigen Töchtern gesegnet, und zwar aus folgendem Grund: Da sie selber so klug und fleißig war, geriet sie nie in die Versuchung, ihre Angelegenheiten jemand anderem anzuvertrauen, sondern war im Gegenteil stets dazu bereit, für andere zu handeln und zu denken wie für sich selbst; und was es auch war, sie neigte stets zu der Ansicht, niemand könne es so gut erledigen wie sie selbst. Wann immer ich anbot, ihr zu helfen, erhielt ich eine Antwort wie: »Nein, Liebes, das kannst du nicht, es gibt hier wirklich nichts zu tun für dich. Geh und hilf deiner Schwester oder sieh zu, dass sie mit dir spazieren geht; sag ihr, sie soll nicht so viel herumsitzen und sich ständig im Haus aufhalten – sie wird sonst noch ganz mager und erbärmlich aussehen.«
»Mary, Mama sagt, ich soll dir helfen oder dich zu einem Spaziergang überreden; sie sagt, du wirst ganz mager und erbärmlich aussehen, wenn du ständig im Haus herumsitzt.«
»Du kannst mir nicht helfen, Agnes, und ich kann nicht mit dir nach draußen gehen – ich habe zu viel zu tun.«
»Dann lass mich dir doch helfen.«
»Das kannst du wirklich nicht, liebes Kind. Übe ein bisschen Klavier oder spiel mit dem Kätzchen.«
Es war immer genug Näharbeit vorhanden, aber ich hatte nicht gelernt, ohne fremde Hilfe ein Kleid zuzuschneiden, und so gab es außer einfachem Säumen und Zusammennähen auch auf diesem Gebiet wenig für mich