Sophienlust Extra 13 – Familienroman. Gert Rothberg

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Sophienlust Extra 13 – Familienroman - Gert Rothberg Sophienlust Extra

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war Jost anzumerken, wie sehr ihn Elisabeth nun in Verlegenheit gebracht hatte. »Ja, meine Mutter sagt, das Kind sei dir nur im Weg gewesen. Du hättest dich von Marietta zu sehr beobachtet gefühlt. Gerade auch am Abend, wenn du vielleicht noch mit Klaus Rauscher beisammen sein kannst.« Jost hielt Elisabeth ganz fest. »Ich muss dir doch die Wahrheit sagen, Elisabeth. Es hat keinen Sinn, dass ich dir etwas verschweige. Mich quält es ja selbst am meisten, dass diese Gerüchte umgehen.«

      »Welche Gerüchte?«, fragte Elisabeth mit tonloser Stimme.

      »Dass du deinen Hoteldirektor gern magst. Die Leute würden nicht viel dabei finden, wenn du ihn heiraten würdest. Er kann dir ja am besten beistehen, das Hotel zu halten.«

      »Dass gerade du mir so etwas sagen musst, Jost!« Elisabeth schüttelte den Kopf. »Muss ich diese Enttäuschung jetzt auch noch schlucken? Du warst der einzige, an den ich mich gehalten habe. Auch wenn wir nicht oft beisammen sein konnten, waren unsere abgestohlenen Stunden doch mein ganzes Glück.«

      Jost war sehr betroffen. »Sei mir nicht mehr böse, Elisabeth. Ich habe dir von diesen Gerüchten ja nur erzählt, weil sie mich selbst so sehr ärgern. Und das weiß Mutter. So dumm ist sie nicht, dass sie nicht längst gemerkt hätte, wie ich zu dir stehe. Ich glaube, davor hatte sie immer Angst. Aber ich werde in Zukunft den Unsinn, den man sich erzählt, nicht mehr nachreden, Elisabeth. Das verspreche ich dir. Komm, sei nicht mehr so traurig.«

      Jost küsste das Mädchen. Immer wieder, bis es ruhiger wurde. Doch er spürte genauso wie Elisabeth, dass ihre junge Liebe an diesem Abend einen Riss bekommen hatte.

      Keiner von beiden konnte wissen, dass Klaus Rauscher hinter den Gerüchten steckte, die sie so beunruhigten. Er war sehr geschickt, wenn es darum ging, seine Pläne durchzusetzen. So ließ er da eine Bemerkung fallen, die keinem besonders auffiel, und brachte dort eine kleine Geschichte an, über die geschmunzelt wurde. Aber immer hatten seine Gespräche etwas mit Elisabeth zu tun. Er tat, als müsste er das Geheimnis noch wahren und verspreche sich nur gelegentlich, wenn er sich selbst mit Elisabeth in Zusammenhang brachte.

      Klaus Rauscher wusste, als erstes musste er Jost Balthoff ausschalten. Elisabeth durfte niemanden haben, bei dem sie sich Hilfe holen konnte. Sie musste allein auf ihn, Klaus Rauscher, angewiesen sein. Er musste für sie unentbehrlich sein, aber gleichzeitig ihre Liebe zu Jost zerstören. Dass er bei dieser Intrige in Josts Mutter eine gute Komplizin haben würde, wusste er. Also sorgte er dafür, dass sie alles zu hören bekam, was sie gegen Elisabeth noch mehr erbosen konnte.

      *

      Die Kinder von Sophienlust hatten sich sehr über die Ankunft von Marietta Winkler gefreut. Aber von Tag zu Tag merkten sie stärker, dass hier kein Mädchen nach Sophienlust gekommen war, das spielen und lustig sein wollte.

      Marietta stand allen Annäherungsversuchen der Kinder skeptisch gegenüber. Sie hatte es auch nicht gern, wenn sich jemand für ihr Eichhörnchen interessierte. Gerade Tuck aber war doch für die Kinder von Sophienlust eine Sensation. Eichhörnchen konnten sie oft im Park beobachten. Sie kamen manchmal sogar bis auf die Fensterbretter, um sich eine Nuss zu holen, schwangen sich aber meistens gleich wieder auf einen Ast zurück. Auch das Freigehege im Tierheim »Waldi & Co.« wurde oft von Eichhörnchen besucht, aber noch nie hatte sich eines fangen lassen. Deshalb bestaunten die Kinder Mariettas Tuck. Sie wollten, dass er sich auch ihnen gegenüber zutraulich zeigte. Sicher hätte Tuck selbst nichts dagegen gehabt, aber Marietta wusste das zu verhindern. Sie benahm sich so, als müsste sie diesen kostbaren Schatz ganz besonders hüten.

      Henrik von Schoenecker, der sich schnell ärgerte, wenn jemand nicht das tat, was er wollte, sagte deshalb auch mit dem Trotz seiner sieben Jahre: »Soll sich Marietta doch ihr Eichhörnchen auf den Hut stecken oder in einen Schrank einschließen.«

      Wenn Marietta so etwas hörte, entgegnete sie kein Wort. Ihre großen blauen Augen sahen dann nur wieder sehr traurig drein. Meistens verzog sich der kleine forsche Henrik dann schnell, denn er schien Mariettas traurigen Blick auch nicht ertragen zu können.

      So ging es vielen Kindern. Sie wussten mit Marietta nichts anzufangen. Es wäre ihnen lieber gewesen, wenn sie sich herausfordernd benommen hätte. Im Streit ließ sich schließlich auch manches schlichten.

      Wurde Marietta gefragt, ob es ihr in Sophienlust gefalle, dann sagte sie brav: »Ja.« Und doch hatten alle das Gefühl, dass sie nicht gern hier sei. Die einen entrüstete das, die anderen fühlten Mitleid mit Marietta. Besonders die Erwachsenen. Sie bemühten sich täglich von neuem um dieses Kind. Unaufdringlich, aber mit viel Liebe.

      Marietta hatte sich wie die anderen Kinder angewöhnt, zu Denise von Schoenecker »Tante Isi« zu sagen, aber sie sprach auch diesen Kosenamen gleichgültig aus.

      Da es in Sophienlust nur Zimmer mit zwei Betten gab, hatte auch Marietta eine Zimmergenossin. Es war die kleine Karin. Zwar hielten sich die Kinder meistens nur zum Schlafen in ihren Zimmern auf, denn tagsüber waren sie in den schönen Aufenthaltsräumen des Kinderheims, aber auch zu Karin fand Marietta keinen Kontakt. Während die anderen Kinder am Abend in den Betten noch lange miteinander sprachen, schwieg Marietta fast immer. Dabei wusste Karin genau, dass Marietta dann noch nicht schlief. Meistens starrte sie mit offenen Augen zur Decke, oder sie legte die Hand auf den Beutel, in dem Tuck vor ihrem Bett schlief. Wurde das Eichhörnchen unruhig, dann sprach sie ihm gut zu. Manchmal turnte es auch noch im Zimmer umher. Dann entschuldigte sich Marietta bei Karin so, wie es Erwachsene zu tun pflegten.

      Nein, Marietta schien einfach nicht mehr Kind sein zu können.

      Auch Dr. Anja Frey, die Ärztin der Sophienluster Kinder, nahm sich Mariettas an. Sie holte sie zu ihrem Töchterchen Felicitas. Aber auch diesem lebhaften Mädchen gelang es nicht, Marietta aus ihrer Reserve herauszulocken. Anja Frey war überzeugt, dass Marietta bei dem plötzlichen Tod der Eltern einen zu großen Schock bekommen hatte. Zu Denise von Schoenecker sagte die Ärztin: »So schlimm das klingt, aber wir müssten Marietta wünschen, dass sie neues Leid erfährt. Irgendeinen großen Schrecken, der sie aus dieser Erstarrung löst. So bin ich zum Beispiel davon überzeugt, dass sie ihre Schwester Elisabeth sehr liebt, aber Marietta merkt das nicht. Würde sie plötzlich erfahren, dass Elisabeth etwas geschehen sei …« Anja Frey schüttelte den Kopf. »Aber wer kann sich so etwas wünschen?«

      Auch Denise von Schoenecker war ratlos. Wie oft hatte sie schon mit der Heimleiterin, Frau Rennert, und mit Schwester Regine überlegt, wie sie Marietta helfen könnten, aber sie waren keinen Schritt weitergekommen. Trotz der Erfahrung, die sie alle im Umgang mit seelisch kranken Kindern hatten.

      Die großen Mädchen – Vicky, Angelika und Pünktchen – bemühten sich jeden Tag von neuem um Marietta. Besonders Pünktchen konnte Mariettas trauriges Gesicht kaum noch ertragen. Zu gut wusste sie, wie Marietta zumute sein mochte, denn auch sie war einmal ein so verstörtes Kind gewesen. Damals, als Dominik, der Sohn Denise von Schoeneckers, sie nach Sophienlust gebracht hatte. Er hatte sie umherirrend gefunden, nachdem ihre Eltern bei einem Zirkusbrand ums Leben gekommen waren. So gut sich Pünktchen in all den vielen Jahren in Sophienlust eingelebt hatte, die Schatten jener tragischen Zeit erreichten sie trotzdem noch oft. Besonders dann, wenn wieder einmal ein vom Schicksal so schwer geschlagenes Kind nach Sophienlust kam. Deshalb hörte Pünktchen auch nicht auf, sich um Marietta zu bemühen. Oft schmiedete sie zusammen mit Dominik Pläne, wie sie Marietta helfen könnten.

      So saßen die beiden auch an diesem Tag am Rand des Springbrunnens im Park und hielten großen Rat. Keiner störte sie. Zum einen wussten die anderen Kinder, worüber Nick und Pünktchen sprachen, zum anderen waren die Kinder daran gewöhnt, dass die beiden Großen oft beisammensteckten.

      »Vielleicht sollte deine Mutti Marietta für einige Tage zu Andrea geben, Nick«, schlug Pünktchen jetzt vor.

      Dominik

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