Der Landdoktor Classic 40 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Classic 40 – Arztroman - Christine von Bergen Der Landdoktor Classic

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waren die Spuren der Müdigkeit auf dem blassen, ebenmäßig geschnittenen Gesicht der Künstlerin zu sehen. Erholt und gesund sah anders aus, sagte sie sich.

      »Sie sind sehr berühmt und singen schon lange«, begann sie in vorsichtigem Ton. »Haben Sie nach dem Burnout daran gedacht, mit dem Singen aufzuhören? Ich meine …« Sie verstummte, suchte nach den richtigen Worten.

      Sibylle lächelte sie vertrauensvoll an. »Sie meinen, ich habe genug verdient, dass ich mich mit Mitte Zwanzig schon zur Ruhe setzen kann, gelt?«

      »Ja, das meinte ich.«

      »Ohne arrogant oder angeberisch wirken zu wollen, das könnte ich auch. Leute wie ich verdienen viel Geld. Das kann man überall lesen. Ich habe mein Geld zudem einem guten Verwalter in die Hände gegeben, der es arbeiten lässt, aber es geht ja nicht nur ums Geld. Was sollte ich ohne meinen Beruf machen?«

      »Ein schönes Leben, irgendwo auf der Welt, wo Leute wie Sie sich zur Ruhe setzen und ihren Reichtum genießen.«

      »Nein.« Sibylle schüttelte den Kopf so energisch, dass ihr hellblonder Pferdeschwanz, der ihr etwas Mädchenhaftes gab, hin und her schaukelte. »Das wäre nichts für mich. Ich stamme aus einfachen Verhältnissen. Nach der ­Trennung von meinem Vater musste meine Mutter hart arbeiten, um für mich und sich den Lebens­unterhalt zu verdienen. Ich habe früh gelernt mitzuhelfen. Ein Leben in Müßiggang ist für mich nichts.«

      »Sie könnten heiraten und eine Familie gründen«, schlug Ulrike ihr vor, um gleich darauf dafür ein hartes kurzes Lachen zu ernten.

      »Wen denn? Männer aus meinem Umfeld will ich nicht.« Sibylle beugte sich nach vorn und vertraute ihr mit treuherzigem Blick an: »Künstler sind merkwürdige Typen. Selbstgefällig, in sich selbst verliebt. Zumindest die meisten. Ausnahmen gibt es natürlich immer«, fügte sie mit schelmischem Lächeln hinzu. »Und normale Männer lerne ich heute nicht mehr kennen. Ich kann mich doch nicht mehr in einer Stadt in der Öffentlichkeit zeigen. Jeder erkennt mich. Das ist eine der vielen Schattenseiten meines Berufes.« Sie seufzte.

      Die Landarztfrau spürte, dass ihr Gegenüber nicht nur erschöpft aussah, sondern sich auch so fühlte. Jetzt griff sich der Star sogar mit schmerzverzogener Miene an die Brust.

      »Geht es Ihnen schlecht?«, erkundigte sie sich besorgt.

      Wie aus einem Traum aufwachend sah Sibylle sie an. »Ach, nichts Schlimmes. Manchmal tut es hier nur weh. Alles Erschöpfung«, tat sie ihre Beschwerden betont munter ab.

      »Vielleicht sollten Sie sich noch einmal untersuchen lassen, bevor Sie in Baden-Baden auftreten. Das sage ich nicht, weil mein Mann Arzt ist«, fügte sie rasch hinzu.

      Die junge Frau lachte. »Falls ich mich in den Tagen hier schlechter fühlen sollte, suche ich Ihren Mann selbstverständlich auf. Nicht, weil er der einzige Mediziner vorort ist, sondern vielmehr, weil ich ihn sehr sympathisch finde. Anders als die Ärzte in den Großstädten, für die die Kranken nur eine Nummer sind, falls sie weder Geld noch Namen haben.«

      *

      Das kleine restaurierte Bauernhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert lag wie ein Schmuckstein im grünen Tannengrund, etwa zweihundert Meter entfernt vom Hotel. Ein in allen Farben blühender Garten, den ein weißer Zaun von dem übrigen Gelände abgrenzte, gab dem Häuschen seinen ganz besonderen Charme. Die Inneneinrichtung, die aus Bauernantiquitäten bestand, erzählte vom guten Geschmack seines Eigentümers, der – wie Sibylle Bachmann vom Hotelmanager erfuhr – auch der des Hotels war. Die heimelige Atmosphäre des Hauses unterschied sich für die berühmte Schlagersängerin wohltuend von den vielen luxuriös eingerichteten Hotelsuiten, in denen sie auf ihren Tourneen wohnte. Es überraschte sie selbst, aber sie fühlte sich hier von der ersten Minute an wie zu Hause.

      Am Abend ihrer Ankunft konnte sie von der beschaulichen Ruhe und der guten Luft um sich herum nicht genug bekommen. Während sie beobachtete, wie die Dämmerung aus dem Tal hinauf über die bewaldeten Höhen schlich, überhauchte die untergehende Sonne die Tannenspitzen mit dunklem Purpurrot. Hinter den Schwarzwaldhügeln, am weiten Horizont, sah man noch einzelne lang gezogene Wolkenstreifen, mit lichtem Gold gesäumt. Keine Hochhäuser, keine Telegrafenmasten, kein Flugzeuglärm, der die Stille der Natur gestört hätte. Fasziniert beobachtete sie, wie die Farben um sie herum verblassten. Dann tauchte im Osten der Mond auf. Das vielstimmige Geläut der Kuhglocken verklang, und die Steinache, die hinter dem Haus vorbei plätscherte, schien leiser zu fließen als noch am Spätnachmittag.

      Die Sängerin lächelte versonnen vor sich hin.

      Wie gut tat diese Idylle ihrem ausgebrannten Körper. Selbst während ihres mehrwöchigen Sanatoriumsaufenthalts hatte sie sich nicht so wohl gefühlt wie an diesem Abend im Ruhweiler Tal.

      *

      Am nächsten Morgen wurde Sibylle von dem vielstimmigen Konzert der Vögel geweckt. Auf ihrem Gesicht lagen warme Sonnenstrahlen. Mit geschlossenen Augen blieb sie noch einige Minuten liegen, um den gefiederten Sängern zu lauschen. Die süße Melodie drang tief in ihr Herz. Sie konnte sich nicht erinnern, in letzter Zeit jemals so gut geschlafen zu haben wie in diesem breiten weichen Bauernbett, über das sich ein zartblauer Baldachin spannte, so zartblau wie der Himmel an diesem Morgen.

      Nach einem deftigen Frühstück, das der Hotelmanager ihr höchstpersönlich servierte, beschloss sie, ihre erste Wanderung zu machen. In Jeans, Wanderschuhen und einem Rucksack auf dem Rücken marschierte sie los. Wie in Schulzeiten, wenn sie am Wochenende mit anderen Jugendlichen auf Freizeit in den österreichischen Bergen unterwegs gewesen war. Da sie sich im Ruhweiler Tal nicht auskannte, schlug sie einfach eine beliebige Richtung ein.

      Mal sehen, wohin mich dieser Weg führen wird, sagte sie sich voller Neugier und Unternehmungsgeist. Wie ungewohnt war es, seit Jahren wieder einmal ganz allein unterwegs zu sein. Wenn sie auf Tournee war und Ausflüge in der jeweiligen Gegend machte, wurde sie stets von mindestens zwei Bodyguards begleitet. So wollte es ihr Agent haben.

      Sibylle atmete tief durch. Nur kurz verspürte sie wieder den Schmerz in der Mitte ihrer Brust. Das dieser kein Anzeichen für einen Herzinfarkt sein konnte, beruhigte sie. Für einen Infarkt war sie noch zu jung, so hatte ihr der Arzt in der Rehaklinik gesagt.

      Die Luft duftete nach frisch gemähtem Gras und den Blumen, die am Wegesrand standen. Brunellen, Seidelbast und Frauenschuh, Sibylle kannte sie alle. Sie blieb stehen, um die kunstvoll gestalteten Blüten, diese bunten Wunder der Natur, zu betrachten. Von hier oben aus hatte sie auch einen traumhaften Blick auf die Bauernhäuser im Tal, den goldenen Wetterhahn auf dem Kirchturm, der ihr wie zum Gruß entgegen blinkte, und all die Hügelketten des südlichen Schwarzwaldes, die sich bis zum Horizont hintereinander aufstellten.

      Flotten Schrittes wanderte sie trotz ihrer Schmerzen in den Tannenwald hinein, in dem eine angenehme Kühle herrschte. Über ihr fächelten die Äste im lauen Wind. Vögel sangen auch hier um die Wette. Dazwischen erklang immer wieder das Gekrächze eines Eichelhähers, des Wächters des Waldes, der dessen Bewohner auf die einsame Wanderin aufmerksam machte.

      Sibylle schritt zwischen den hohen, gerade aufragenden Tannen dahin. Dabei ließ sie den Blick über den Boden gleiten, immer auf der Suche nach besonderen Pflanzen. Moos wuchs zu ihrer Linken und lud zum Sitzen ein. Dieser Versuchung konnte sie nicht widerstehen, zumal sie sich schon wieder erschöpft fühlte. Sie setzte sich, legte die Handflächen auf den samtweichen Boden und schließlich legte sie sich ganz hin. Mit hinterm Kopf verschränkten Armen blickte sie nach oben in das dunkle Grün der Tannen, zwischen dem hier und da der Himmel durchblitzte. Wenn die Äste im Wind schaukelten, drang auch ein vorwitziger Sonnenstrahl zu ihr herunter, der sie zwang, die Augen zu schließen. Irgendwann

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