Der kleine Fürst 262 – Adelsroman. Viola Maybach
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Constanzes Gehirn weigerte sich zu glauben, was ihre Augen sahen: Der Sturm hatte ein richtiges Loch in das ohnehin schadhafte Dach des Schlösschens gerissen und infolgedessen war ein Teil davon eingestürzt. Durch das Loch konnte sie direkt in den Himmel sehen, an dem die Blitze jetzt immer schneller zuckten. Noch immer regnete es nicht sehr stark, aber es war eine Frage von Minuten, wenn nicht Sekunden, bis sich die Schleusen richtig öffnen und vermutlich wahre Sturzfluten auf die Erde niedergehen würden.
Sie erwachte aus ihrer Erstarrung, als Clemens ihren Arm ergriff und sie heftig schüttelt. »Los!«, brüllte er, um den Donner zu übertönen. »Wir müssen versuchen, das Loch irgendwie abzudecken, bevor es richtig zu schütten beginnt.«
Sie hatte ihn vergessen. Clemens von Renthofen, der mit ihrer Großmutter befreundet gewesen war und dem sie bei seinem ersten Besuch die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte, weil ihr sein Name unbekannt gewesen war. Aber dafür konnte sie sich später entschuldigen – falls sie das überhaupt tat. Trotz des angefangenen Briefs an ihn, den sie im Sekretär ihrer Oma gefunden hatte, war sie noch nicht sicher, ob sie ihm trauen konnte. Aber damit konnte sie sich später beschäftigen. Jetzt galt es erst einmal, das Schlösschen vor noch größeren Schäden zu bewahren.
Sie folgte ihm. Verständigen konnten sie sich nur noch schreiend, da das Donnergrollen zunahm und die Donnerschläge in immer kürzeren Abständen ertönten. Aber Worte waren auch nicht nötig. Er war bereits dabei, eine der Planen, die er mitgebracht hatte, auseinanderzufalten. Sie half ihm, anschließend legten sie sie direkt unter dem großen Loch im Dach aus. Jetzt erst bemerkte Constanze, wie vorausschauend ihre Arbeit am Nachmittag gewesen war: Die Planen, die sie so mühselig allein ausgelegt hatte, standen voller Wasser, das sonst direkt in die Decke des darunterliegenden Stockwerks gesickert wäre.
Clemens hatte bereits die nächste Plane in der Hand, er deutete auf das Loch im Dach. Sie begriff, dass er tun wollte, was sie vor dem Ausbruch des Unwetters an etlichen schadhaften Stellen des Daches bereits getan hatte, und so reichte sie ihm eine große Schere und suchte nach der Schachtel mit den Nägeln und nach dem Hammer. Es würde ihnen nicht gelingen, das Loch vollständig zu verschließen, aber vielleicht gelang es ihnen immerhin, das Schlimmste abzuhalten.
Er suchte sich zwei Eimer, leerte sie draußen über dem Dach aus und stieg hinauf.
»Von außen!«, schrie er ihr zu.
Das war natürlich besser, würde aber auch mehr Zeit kosten, und Zeit hatten sie eben nicht. Constanze hätte ihn gern von seinem Vorhaben abgehalten, ließ es aber, da er bereits begonnen hatte, die Plane von außen aufs Dach zu nageln. Der Regen wurde stärker, der Wind nahm zu. Clemens kam so langsam voran, dass Constanze immer nervöser wurde, dabei wusste sie, wie anstrengend es für ihn sein musste, auf den beiden Eimern auch nur die Balance zu halten, während ihm Wind und Regen gleichermaßen zusetzten. Sie selbst hatte ja schon genug Mühe, sich die Plane nicht einfach aus den Händen reißen zu lassen.
Sie wurde etwas ruhiger, als er eine Seite der Plane hatte befestigen können. Von nun wurde ihre Arbeit leichter. Doch er war noch nicht einmal halb fertig, als aus dem bisher eher dünnen Regenfall eine regelrechte Sintflut wurde. Sie waren im Nu von oben bis unten nass, und Constanze musste gegen die Versuchung ankämpfen, zur Seite zu springen, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber Clemens konnte die Plane ohne sie auf keinen Fall befestigen, sie musste ihm, jetzt erst recht, helfen, sie festzuhalten und ihm die Nägel anzureichen, damit Regen und Sturm sie ihnen nicht einfach aus den Händen rissen.
Verbissen jagte er Nagel um Nagel in die Dachbalken, bis die Plane befestigt war. Natürlich kam an den Seiten trotzdem Wasser durch, aber eine Katastrophe hatten sie erst einmal verhindert. Was an Wasser durchkam, landete, vorerst zumindest, auf der Plane am Boden. Constanze fragte sich allerdings, ob es dem Sturm und den Wassermassen, die jetzt vom Himmel stürzten, nicht über kurz oder lang gelingen würde, sämtliche Planen über den Löchern im Dach zu zerreißen, so dass sie wieder von vorn anfangen mussten.
Clemens hatte offenbar die gleichen Befürchtungen, denn er schnitt bereits ein neues Stück Plane zu und schrie: »Wir nageln noch zwei von innen drauf, um die Lücken zu überdecken, und dann sichern wir die anderen undichten Stellen ab.«
Sie harrte also aus, bis sie schließlich zwei weitere Planen unter dem großen Loch angebracht hatten und jeweils eine weitere unter den kleineren Löchern, die sie nachmittags schon versucht hatte abzudichten. Währenddessen tobten Sturm und Regen mit unverminderter Kraft.
Aber wenn sie geglaubt hatte, jetzt könnten sie sich eine Pause gönnen, so sah sie sich getäuscht. Clemens eilte rastlos zu einer entfernten Ecke des Dachbodens, wo ein schmales, aber stetiges Rinnsal auf den Boden tropfte – und als sie sich umsah, erkannte sie, dass es im Grunde überall tropfte. Dort, wo sie am Nachmittag die Planen ausgelegt oder an die Dachsparren oder Balken genagelt hatte, blieben die Pfützen stehen, aber an ungeschützten Stellen sickerte die Nässe ungehindert in den Boden – und damit in die Decke des darunterliegenden Stockwerks.
Sie dachte voller Schrecken an die großen feuchten Stellen, die sie dort bereits in mehreren Zimmern entdeckt hatte – und an die feuchten Wände, von denen sich die schweren alten Tapeten in großen Stücken lösten. Ein solches Unwetter hatte es sicherlich lange nicht gegeben, aber wenn schon seit Jahren immer wieder Feuchtigkeit über das schadhafte Dach ins Schlösschen gelangt war, konnte sie sich die Folgen lebhaft vorstellen, die das Wasser im Mauerwerk angerichtet haben musste.
Sie hasteten von einer Stelle zur nächsten, versuchten, abzudichten, was sich abdichten ließ, aber es war ein Fass ohne Boden. Dennoch arbeiteten sie weiter, ohne sich eine Pause zu gönnen, bis ihnen irgendwann auffiel, dass sie nicht länger schreien oder gestikulieren mussten, um sich zu verständigen, sondern wieder in normaler Lautstärke miteinander reden konnten.
Sie hielten beide gleichzeitig inne und lauschten. Es regnete noch, aber was jetzt vom Himmel kam, klang eher wie ein ruhiger, sanfter Landregen. Das Gewitter hatte sich verzogen, von ferne war noch ab und zu ein Donnergrollen zu hören, aber das Schlimmste war vorüber.
Auf dem Dachboden des Ziehenthal-Schlösschens freilich war ein stetiges Glucksen und Tropfen zu hören. Auch jetzt noch drang Regen durchs Dach ins Innere des Gebäudes. Sie konnten nur hoffen, dass die Planen das Schlimmste abhielten.
»Ich muss unten nachsehen«, sagte Constanze mit schwacher Stimme, »ich meine, im Stockwerk unter dem Dach. Die Decken und Wände sahen vorher schon nicht gut aus. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es jetzt ist.«
»Die Decken sind mit Sicherheit feucht«, erwiderte Clemens, »aber die lassen sich auch wieder trocknen. Das ist gutes altes Mauerwerk, das hält eine Menge aus. Das ändert aber nichts daran, dass das Dach gemacht werden muss.«
»Wem sagen Sie das«, murmelte Constanze.
»Haben Sie die Planen ausgelegt, die hier schon lagen?«
»Ja, heute Nachmittag, als ich hörte, dass ein Sturmtief mit Regen erwartet wird. Ich hatte mir das Dach vorher schon mal angesehen. Überall Eimer und Wannen unter den schadhaften Stellen. Ich konnte meine Oma nicht mehr fragen, warum das Schlösschen in diesem Zustand ist – und Franzi will mir auch nichts sagen.«
»Ihre Haushälterin und gute Freundin?«
»Ja. Sie hatte einen Schlaganfall und erholt sich nur langsam. Sie soll möglichst wenig Aufregung haben, sagen ihre Ärzte.«
Er nickte nur und fragte nicht weiter, was sie ihm hoch anrechnete. Sie sahen sich noch einmal prüfend um, verrutschten hier eine Plane, dort einen Eimer, aber alles in allem sah es so aus, als hätten sie getan, was getan werden konnte, und so verließen sie den Dachboden.
Im Stockwerk darunter hatten sich