Tausend Monde. Sebastian Barry

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Tausend Monde - Sebastian  Barry

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lag.

      »Bist du nicht der Bursche, der oben in Leavenworth war«, fragte Sheriff Flynn und schaute mit einem gewissen Maß an Freundlichkeit zu Thomas McNulty hinüber, als werde diese Frage tagtäglich im ganzen Land gestellt, als wisse er über Thomas McNulty etwas ganz Belangloses und spreche es einfach nur aus. Thomas McNulty musste entschieden haben, dass das Schweigen, mit der er die Frage bedachte, die klügste Antwort sei.

      »Er hat ’ne Entlassungsurkunde und all das bekommen«, sagte John Cole.

      »Hab nichts Gegenteiliges behauptet«, sagte Sheriff Flynn.

      Frank Parkman brach in Gelächter aus, und seine Pfeife blubberte vor Spucke.

      »Vermutlich seid ihr überrascht, zu hören, dass ich gekommen bin, euch allen zu helfen«, sagte Sheriff Flynn. »Vermutlich seid ihr überrascht, zu hören, dass mich der Anwalt Briscoe aufgesucht hat. Und vermutlich seid ihr überrascht, zu hören, dass die ältere Mrs Flynn mit Rosalee Bouguereau zusammen auf der Schule war und sie in guter Erinnerung hat.«

      »Ziemlich viele Überraschungen auf einmal«, sagte John Cole.

      »Denk ich auch«, sagte Sheriff Flynn. »Ich möchte herausfinden, wer Tennyson Bouguereau und wer Winona Cole Verletzungen zugefügt hat. Deshalb bin ich bei schönstem Sonnenschein die ganzen sieben Meilen hier herausgekommen.«

      Jetzt herrschte ein ganz anderes Schweigen. Ich war erstaunt, aber auch verängstigt. Den Gedanken, das Gewehr abzufeuern, hatte ich aufgegeben, doch wie konnte ich Antworten geben, wenn ich von dem wahren Hergang nichts wusste?

      »Um ’ne Indianerin scheren die Leut sich ’n Dreck«, sagte John Cole. Er klang wie ein Prediger, der aus der Bibel las. »Warum sind Sie hergekommen? Wir wissen selbst, wie damit umzugehn is’. Sobald Tennyson verrät, wer ihn zusammengeschlagen hat, satteln wir die Maultiere und töten die Männer, wer immer es getan hat.«

      »Der Plan gefällt mir nicht«, sagte Sheriff Flynn. »Es sind unruhige Zeiten. Man muss Salomos Richterhut aufsetzen.«

      »Uns gefällt er gut«, sagte John Cole. »Wir brauchen keine Abzeichen und keine Gesetzeshüter. Wir tun unsere Arbeit selbst. Und falls uns Winona irgendwann verrät, wer ihr wehgetan hat, satteln wir gleich wieder auf und töten den, der so viel Böses in sich hat, wer immer es is’.«

      »Ihr seid hier nicht im Westen«, sagte Sheriff Flynn. »Das hier ist die neue Welt der Farmen, der eingelegten Birnen und des Friedens, und dazu gehören Zurückhaltung und Sheriffs.«

      »Sehen Sie«, sagte John Cole, »genau da machen wir nich’ mit. Denn um ’ne Indianerin – oder ’nen Schwarzen – scheren die Leute sich ’n Dreck.«

      »Ihr tut, was du sagst, und ihr Jungs seid hier im Henry County erledigt«, sagte Sheriff Flynn.

      »Dass es im ganzen Land unruhig zugeht, stimmt, und ich weiß nich’, wie wir’s hier aushalten sollen, wenn wir die Unruhe noch vergrößern«, sagte Lige Magan, als wollte er ausprobieren, ob Salomos Richterhut ihm passte.

      »Und doch muss es Gerechtigkeit geben in diesen unruhigen Zeiten, und ich bin bestrebt, euch diese Gerechtigkeit widerfahren zu lassen«, sagte Sheriff Flynn.

      »Ich weiß nicht, warum Sie …«, setzte Frank Parkman in jähem Zorn an.

      »Parkman, ich hab dir gesagt, du sollst die Klappe halten«, sagte Sheriff Flynn. Aber Frank Parkman wollte nicht.

      »Dies Mädchen ist ein Nichts«, sagte er, und ein sonderbarer Quengelton schlich sich in seine Stimme. »Diese Leute sind Abschaum.«

      Sheriff Flynn trat auf ihn zu und schlug ihm so fest ins Gesicht, dass ihm der Hut wegflog. Eine Hand auf seinem Colt, wartete er darauf, dass Parkman noch ein Wort sagte. Doch der Hilfssheriff rieb sich nur die gerötete Wange.

      Jetzt herrschte ein eigentümlich beredtes Schweigen. Selbst unser Wintergast, die Nachtschwalbe, die geneigt gewesen war, ihr seltsames Lied anzustimmen, nun da das erste Abenddunkel hereinsickerte, hielt sich zurück. Ich hatte lange genug mit Thomas McNulty und John Cole gelebt, um zu wissen, dass sie Männer waren, die nachdachten, doch galten ihre Gedanken immer nur der Frage, wie man weiterlebt. Außerdem lebten und dachten Thomas McNulty und John Cole wie eine Person. Sollte einer von ihnen sterben, gäbe es für den anderen kein Leben mehr. Aber ihre wahren Gedanken waren in all dem enthalten, was sie mich als Tochter gelehrt hatten. Sie umgaben sich mit Leuten, die mich achteten, und wer es an Achtung fehlen ließ, den schnitten sie heraus wie ein Krebsgeschwür. Sheriff Flynn war ein Mann von etwa vierzig Jahren in einem Morast aus gewalttätigem Hass und einer Unzahl von Verstümmelungen – die ganze Geschichte des Krieges, die Geschichte all dessen, was der Krieg im tiefsten Inneren der Menschen anrichtet, und dann noch, was nach ihm kommt. Krieg macht den Menschen im Handumdrehen zu einem Gewalttäter, Verstümmler und Mörder, es sei denn, da ist ein Herz, das mäßigt, und die Bereitschaft, zu lieben. So war das bei Thomas McNulty, und bei John Cole auch. Und hier war ein halb rauer, halb rasierter Sheriff, der erstaunlich neue Dinge sagte und tat.

      Hätte ich vorhin mehr Mut besessen, dachte ich, hätte ich ihn mit dem Karabiner erschossen. Damit hätte die Sache ein Ende gehabt, und wir hätten dieses seltsame Gerede nie gehört. Der Fluss der Dinge strömt unaufhörlich voran, doch manchmal macht er eine Wendung, oder es bilden sich Strudel. Natürlich endet er trotz aller Schleifen, Untiefen und Stromschnellen schließlich im Meer. Auch die Geschichte eines Lebens führt immer nur an dieselbe Küste. Ich hätte Sheriff Flynn erschießen können, dann hätte es in meiner Geschichte eine jähe Wendung gegeben.

      Später aber kam, genau wie bei einem Fluss, alles auf das Gleiche hinaus.

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