O du fröhliche, o du grausige. Friederike Schmöe
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Читать онлайн книгу O du fröhliche, o du grausige - Friederike Schmöe страница 12
»Ich will sie doch nicht als Krankenschwester anstellen. Josef ist ihr Großvater, zum Henker, wer weiß, wie lange sie ihn noch hat! Ein paar Stunden die Woche könnte sie sich durchaus mit ihm zusammensetzen. Schach spielen. Das haben die beiden früher oft gemacht.«
Diethard seufzte. »Lass sie ihr Leben erproben. Sie hat einen Freund, alles ist noch neu, sie will nichts verpassen. Als wir in ihrem Alter waren, da schien alles möglich. Weißt du nicht mehr?«
»Sie ist immer dein Augenstern gewesen«, sagte Bella müde. Diethard hatte von jeher seine Tochter verteidigt, am vehementesten gegen Bella. Die vielen Streitereien hatte sie beinahe vergessen, erst jetzt, wo es ihrem Vater schlecht ging und sie permanent mit einem schlechten Gewissen herumlief, kamen die Konflikte wieder hoch. Melanie, die von der Mutter nicht bekam, was sie wollte, vom Vater aber schon. Anders als Bellas Bruder Rolf, den der Vater am langen Arm hatte zappeln lassen. Josef Blum, der Strenge, der Allmächtige.
»Unsinn. Aber ich kann sie verstehen. Sie braucht ihre Freiheit. Josefs Zustand ist ihr nicht anzulasten.«
Was nichts daran ändert, dass sie mir ab und zu helfen könnte.
»Ich dachte immer, eine Familie sei ein Team. Wo man füreinander einsteht.« Ihr Magen knurrte heftig. Plötzlich war ihr ganz schwindelig. Pizza wäre das Mittel der Wahl. Ein Käsebrot mit Gurke täte es auch. Vorerst. Sofern Ketchup im Haus war.
»Wir stehen ja füreinander ein, oder nicht?«, fragte Diethard treuherzig.
»Darf ich lachen? An mir hängt alles! Ich presse meine Arbeitstermine in den Alltag. Mehr schlecht als recht. Ich sehe nach Josef, ich schmeiße den Haushalt.« Sie fuhr den PC herunter. Ihr war beinahe schlecht vor Hunger und Zorn. »Es wird wirklich Zeit, dass Emmy einspringt.«
Wenigstens eine Person, auf die ich mich verlassen kann.
»Eine Dauerlösung ist das nicht.«
Meine Fresse, du reitest wirklich auf allem herum, bis es platt und zäh wie Leder ist, dachte Bella genervt. Sie stand auf.
»Ich muss was essen.«
»Vielleicht kannst du Josef noch etwas Appetit machen. Hast du eigentlich auch diese Nachricht von Hilde bekommen? Nachbarschaft?«
»Ach, das!« Bella schnappte sich ihr Handy. »Mamma mia! Sieben Nachrichten?«
»Erklär mir bitte, wie man das abschaltet.«
»Du kannst die Gruppe nicht abschalten, nur auf stumm stellen. Oder austreten. Das allerdings würde Hilde dir nicht verzeihen.«
Diethard klickte gereizt auf seinem Smartphone herum. »Was soll das bloß für eine alberne Aktion sein?«
»Die Maffelders sehen SUVs, die nicht hierhergehören, und kolportieren, das wären Einbrecher, die die Gegend ausspionieren.«
»Sag mir, dass das nicht wahr ist.«
Bella ging zur Tür. »Jedenfalls wollen die Maffelders und die Kaminskys per Gruppe austauschen, wer wann welches verdächtige Auto gesehen hat. Kommst du mit runter?«
Diethard antwortete nicht. Er war in das Nachrichtenmenü seines Handys vertieft und mühte sich damit ab, die Gruppe »Nachbarschaft« stummzuschalten.
12
Bella wachte auf, als sie das Knattern des Mülllasters hörte. Kerzengerade im Bett sitzend, lauschte sie kurz auf Diethards leises Schnarchen. Irgendwas stimmte nicht.
Fuck!
Sie hatte vergessen, die Mülltonne rauszustellen. Panisch fuhr sie aus dem Bett. Seit Josef hier wohnte, nahm der Müll überhand. Keinesfalls konnten sie es sich leisten, den Abfall zwei Wochen länger in der Tonne modern zu haben. Sie griff nach dem übergroßen grünen Pulli, der ihr als Morgenmantel diente, schlüpfte in ihre Schlappen und hastete die Treppe hinunter. Vor den Augen sah sie grüne Sternchen. Kurz hielt sie sich an der Haustür fest. Wartete, bis ihr inneres Notaggregat ansprang. Funktionieren trotz seelischem Chaos.
Draußen war es noch stockdunkel, Schnee fiel, ganz zarte Flöckchen. Die Müllleute waren bei den Kaminskys fertig. Der Laster kam in ihre Richtung. Bella rannte zum Gartentor und winkte wie wild.
»Warten Sie! Bitte!«
Der Laster hielt.
»Ich hole rasch die Tonne!« Meine Güte, wie peinlich. Traum ihrer schlaflosen Nächte, vor der Müllabfuhr im Schlafanzug und in Schlappen herumzuturnen.
Sie rannte zurück zu dem Unterstand für die diversen Tonnen, den sie im Sommer hatten zimmern lassen. In ihren profillosen Schuhen fand sie kaum Halt im Schnee. Sie riss an der schwarzen Tonne, zerrte sie aus dem Unterstand. Mühevoll stemmte sie das Teil zur Straße. Die Müllleute warteten geduldig. Da war ein saftiges Trinkgeld zu Weihnachten fällig.
»Danke!«, keuchte Bella.
Sie fischte die Zeitung aus dem Postkasten, bevor sie sich ins Haus zurückschleppte. Ihr war kalt. Der Bewegungsmelder war noch immer kaputt. Sie hatte vergessen, Diethard darauf aufmerksam zu machen. Vielleicht funktionierte nur die Glühbirne nicht.
Josef stand in der Tür, angezogen, als wollte er zur Arbeit.
»Morgen, Melanie.«
»Morgen, Papa!«, erwiderte sie, ohne ihn auf seinen Fehler hinzuweisen. »Wie wäre es mit Kaffee?«
»Gern«, antwortete er.
Sein höflicher Ton brachte sie zum Lachen.
»Na, dann los.«
»Was hast du denn draußen gemacht?«
»Die Mülltonne rausgestellt.«
Weil ich die Einzige bin, die das hier macht. Weil keiner dran denkt. Weil mein Gehirn für alle taugen muss.
Er blickte auf seine Armschiene. »Ich würde dir ja gern helfen. Sollte ich vielleicht sogar. Nur mit diesem Arm …«
»Lass mal, Papa.« Sie mahlte Kaffeebohnen. Ein verführerischer Geruch zog durch die Küche. »Hast du gut geschlafen?«
»In meinem Alter schläft man nicht immer gut«, gab er zum Besten.
»Geht mir auch so.« Sie lächelte ihn an, stellte Tassen auf den Tisch. Tatsächlich hatte sie schlecht geschlafen. Hunderte Gedanken waren ihr durch den Kopf geschlichen, hatten sich festgesetzt und um Aufmerksamkeit gebuhlt.
Wenn Peter Kessler recht hatte und nichts über die Medikamente wusste, die Mariella nahm, konnte es dann sein, dass sie sich diese Mittel heimlich besorgt hatte – illegal? Und falls dies der Fall war: Wo hätte sie sich eingedeckt? In Silldorf? Aber wo?
Sie schlug die Zeitung auf, während der Wasserkocher zu rauschen begann. »Schau, mein Artikel über den Unfall drüben Richtung Siedlung.«
Der Text war rechts unten platziert. Das Foto von Mariella und Lüneburg prangte daneben.
»Unfall? Tatsache?«
Sie