Die Erleuchtung der Welt. Johanna von Wild
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Читать онлайн книгу Die Erleuchtung der Welt - Johanna von Wild страница 16
»Hooooh, Galen, brrr!«, beruhigte der junge Reiter seinen dunkelbraunen Wallach und tätschelte den schweißnassen Hals des Pferdes. »Wohin so eilig?«
Helena blickte in freundliche, haselnussbraune Augen. Der Reiter mochte nur wenig älter sein als sie. Seine gelockten Haare, die fast dieselbe Farbe wie das Fell seines Pferdes besaßen, trug er halblang, seine Wangen waren gerötet vom schnellen Ritt. Ein grünes Barrett saß keck auf seinem Kopf, unter dem schwarzen Wams trug er ein helles Hemd, dazu eine braune, enge Hose, und seine Füße steckten in Stulpenstiefeln.
Helena wurde sich ihrer offen zur Schau getragenen Haare bewusst. Verlegen nestelte sie den weißen Schleier hinter ihrem Gürtel hervor und bedeckte ihre dunkelrote Haarpracht.
»Verzeiht, junger Herr, die Hitze …«, murmelte sie.
»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, erwiderte er belustigt. »Ihr seid gerannt, als wäre buchstäblich der Teufel hinter Euch her.«
»Nur ein paar Wildschweine«, lächelte sie scheu. »Ich muss zurück in die Stadt. Ein schwerkrankes Mädchen benötigt meine Hilfe.«
»Toman Ostheim«, stellte sich der Reiter vor, »Ihr seid schneller, wenn ich Euch mit auf mein treues Pferd nehme«, bot er ihr an.
Ein verlockendes Angebot, doch Helena schlug es aus. »Habt Dank, aber es schickt sich nicht für eine Laienschwester, zu einem Fremden aufs Pferd zu steigen. Ich gehe zu Fuß. Gehabt Euch wohl, Toman Ostheim.«
Festen Schrittes folgte sie dem Weg bergauf. Toman ritt neben ihr her.
»Es schickt sich auch nicht, den Schleier abzunehmen«, stichelte er gutmütig. »Kommt schon, niemand wird Euch bemerken. Denkt an das kranke Kind. Ich setze Euch in der Nähe des Stadttores ab, dann könnt Ihr den Rest des Weges zu Fuß gehen«, erneuerte er sein Angebot und starrte unverwandt auf ihren Schleier, als könne er diesen mit seinen Blicken durchdringen, um ihr Haar noch einmal zu bewundern.
Helena ging weiter, sah stur auf den Weg, der immer steiler und anstrengender wurde. Ihre Beine wurden müde, vielleicht sollte sie das Angebot doch annehmen. Er schien ein ehrlicher Kerl zu sein.
»Nun gut, Ihr habt mich überzeugt.«
Toman Ostheim grinste, hielt sein Pferd an, reichte ihr seine rechte Hand, fasste mit der linken beherzt unter Helenas Achsel und hob sie vor sich in den Sattel. Helena hielt die Luft an, als Toman seinen Arm um sie schlang. Dann ließ er sein Pferd in einen leichten Galopp fallen.
Toman genoss das Gefühl, wie sein Arm die schmale Körpermitte des Mädchens umfing und dachte mit Bedauern daran, dass sie ihr Leben Gott widmen wollte.
Auch Helena gestand sich ein, sich in Tomans Nähe wohl zu fühlen. Seltsam, es störte sie ganz und gar nicht, wie er sie umschlungen hielt und ihren Rücken an seine Brust presste. Im ersten Augenblick, als er ihr so nahe gekommen war, war die Erinnerung an Cuntz zurückgekehrt und hatte ihr Angst eingeflößt. Doch diese war schnell einem neuen Gefühl gewichen. Fast fühlte sie sich geborgen.
Zu schnell erreichte Galen, Tomans Pferd, die Hügelkuppe, und abseits des Stadttores ließ der junge Mann Helena aus dem Sattel gleiten.
»Habt Dank, Toman Ostheim«, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln, das dessen Herz schneller schlagen ließ.
»Verrätst du mir deinen Namen und welchem Kloster du angehörst?«, schlug er einen vertraulichen Ton an.
»Helena. Ich gehöre den Zisterzienserinnen des Klosters Lobenfeld an. Nun muss ich mich eilen, lebt wohl.«
»Leb wohl, Helena. Du solltest dir gut überlegen, ob du wirklich Nonne werden willst«, meinte er frech und ließ sein Pferd in einen flotten Trab fallen. »Du bist viel zu hübsch, um dich unter Habit und Schleier zu verstecken«, rief er ihr über die Schulter hinweg zu.
Helena errötete und sah ihm hinterher, bis er durch das Stadttor verschwunden war.
»Wo hast du denn so lange gesteckt?«, fragte Schwester Katharina vorwurfsvoll.
»Ich musste den Berg hinunter bis zu den Wiesen, um Spitzwegerich zu finden«, erwiderte Helena. »Und am Waldrand habe ich Schlehen entdeckt und davon etwas mitgebracht.«
Von ihrer Begegnung mit dem jungen Toman erzählte sie nichts.
»Eil dich und bereite einen Sud aus Spitzwegerich und Weidenrinde«, wies die Nonne sie an, die in der Zwischenzeit das Bein des kleinen Jacob geschient und Annas Augen mit einem Umschlag aus Augentrost bedeckt hatte. Schwester Katharina hoffte, dass sich nicht schon andere Kinder angesteckt hatten. Aber sehr wahrscheinlich war es bereits zu spät.
Helena tat wie ihr geheißen und kehrte nach kurzer Zeit mit dem dampfenden Sud zurück. Als er etwas abgekühlt war, hob sie vorsichtig Annas Kopf und flößte dem Kind die Arznei ein. Während sie anschließend gemeinsam mit Katharina nach weiteren Kindern sah, die der Hilfe der heilkundigen Schwestern bedurften, dachte sie an den gut aussehenden Reiter und schämte sich beinahe des Gefühls, das sich ihrer dabei bemächtigte. Sie hätte ewig so weiterreiten können.
»Helena! Was machst du denn da?«, riss Schwester Katharina sie aus ihren Gedanken.
Anstatt die Johanniskrautsalbe nur auf die einzelnen, entzündeten Hautstellen am Rumpf eines Jungen aufzutragen, hatte sie nahezu den gesamten Oberkörper eingesalbt. Sie murmelte eine Entschuldigung, zog dem Jungen das Hemdchen wieder über den Körper und widmete sich einem anderen Kind, das eine eitrige Wunde am Arm hatte.
Zwei Stunden vor Anbruch der Dämmerung machten sie sich auf den Rückweg nach Lobenfeld. Schwester Innocentia war am späteren Nachmittag mit den gewünschten Waren zurückgekehrt und hatte mitgeholfen, die Kinder zu versorgen. Kunibert, der in einer nahen Schänke auf die drei Schwestern gewartet hatte, erzählte während der Heimfahrt, was er dort aufgeschnappt hatte.
»Der Kurfürst ist unheilbar krank, heißt es. Und um sein Augenlicht ist es wohl auch nicht gut bestellt. Er soll kaum noch etwas sehen können. Seit er vor zwei Jahren von seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land zurückgekehrt ist, geht es ihm wohl immer schlechter. Wer weiß, wie lange er noch zu leben hat.«
»Er ist auch an der Seele erkrankt«, seufzte Schwester Katharina, »den Tod seines Sohnes Ruprecht vor drei Jahren hat er nie verwunden.«
Kunibert nickte bedächtig, dann erzählte er, was ihm im Wirtshaus sonst noch zu Ohren gekommen war. Er mochte schreckliche Geschichten und war Klatsch und Tratsch nicht abgeneigt.
»Die Leute erzählen, letzten Monat sei ein toter Junge aus dem Neckar gefischt worden …«
»Bestimmt hat er den Fluss unterschätzt«, unterbrach ihn Schwester Innocentia, »das passiert immer wieder.«
»Niemand weiß, wessen Kind das war. Bedenkt man die Strömung, kann es von überallher stammen. Vielleicht hat es jemand von Bord eines Schiffes geworfen, wer weiß. Und die Aale sind hungrig …«
»Schweig still, Kunibert«, herrschte Schwester Katharina den Bauern an, der die grünliche Gesichtsfarbe ihrer Mitschwester bei Erwähnung der Aale nicht entgangen war.
Der Bauer zog eine beleidigte Miene und hieb den Ochsen mit seiner Fuhrpeitsche auf die breiten Rücken, damit sie schneller gingen. Doch die Tiere waren erschöpft von der Hitze des Tages, und so kamen sie