Mordsklamm. Mia C. Brunner
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Ihr Gesprächspartner lachte erneut. »Wenigstens hast du noch diesen süßen Hamburger Schlag in deiner Stimme und bist noch nicht total bayrisch. Ich bin’s, Malte Lübke, seines Zeichens der erfolgreichste und gut aussehendste Hauptkommissar Hamburgs!«
»Na, darüber lässt sich streiten«, bemerkte Jessica amüsiert. »Malte Lübke. Du hast deine Prüfung also doch noch bestanden?«
»Beim zweiten Versuch … mit Auszeichnung«, betonte er nicht ohne Stolz. »Beim ersten Mal hast du mich zu sehr abgelenkt.«
»Natürlich. Einer muss ja schuld sein.« Jessica stand auf und begann, in ihrem und Kerns Büro im obersten Stockwerk des Polizeipräsidiums umherzugehen. Ihr Kollege war diese Woche krankgeschrieben. »Du rufst an, um mir etwas zu meinem Fall zu sagen, oder?«
»Ja, aber zuerst will ich wissen, was dich nach Bayern verschlägt. Verstehst du deine Kollegen überhaupt, wenn die nur bayrisch sprechen?«
»Hier spricht niemand bayrisch. Ich bin im Allgäu!«, erklärte Jessica und erinnerte sich schmunzelnd daran, wie ihr Florian am Anfang ihrer Beziehung ausführlich die Unterschiede zwischen den Dialekten in Süddeutschland unterbreitet hatte und nebenbei erwähnte, dass es für einen Allgäuer das Schlimmste war, als Bayer betitelt zu werden. Umgekehrt war es vermutlich genauso. »Was ist jetzt mit den Finanzauskünften? Und wie kommt es, dass meine Anfrage heute so schnell bearbeitet wird?« Diesen Seitenhieb konnte sie sich nicht verkneifen.
»Meine Kollegen hatten Angst, dass du sonst wieder alle paar Minuten anrufst. Du warst ganz schön nervig. Aber das warst du schon immer.«
»Wie bitte? Ich habe hier einen Mordfall aufzuklären, da kann ich erwarten, dass man mir wichtige Informationen nicht vorenthält.«
Erneut hörte sie den Hamburger Hauptkommissar lachen.
»Dann wollen wir dir bei deinem Mordfall natürlich umgehend helfen«, sagte Malte Lübke und klang nun nüchtern und professionell ernsthaft. »Ich schicke dir nachher die Kontoauszüge von Hans und Renate Guggenmoos per Fax. Vorab ein paar Infos zum Familienhintergrund. Hast du etwas zu schreiben parat?«
*
Das Ehepaar Guggenmoos war weder sehr wohlhabend noch hatte es reiche Verwandtschaft. Scheinbar lebte nur noch eine kinderlose verwitwete Tante von Renate Guggenmoos. Eine 95-jährige Dame, die seit Jahren in einem schlichten Altenheim wohnte und an fortgeschrittener Demenz litt. Laut Malte Lübke erkannte sie nicht einmal mehr ihre Pfleger, die sie täglich betreuten, geschweige denn ihre Nichte Renate, die sie regelmäßig besuchte.
Die Kontoauszüge der Eheleute wiesen zwar monatliche Rentenbezüge auf und einen kleinen Betrag, der sich als Mieteinnahme einer Wohnung in Fuhlsbüttel entpuppte, aber alles in allem war das Ehepaar nicht reich. Bis auf ihre Eigentumswohnung in Blankenese und die kleine vermietete Wohnung hatten die beiden keinerlei Ersparnisse. Auch der Urlaub war nicht zufällig. Herr Guggenmoos war gebürtiger Allgäuer und besuchte einmal im Jahr das Grab seiner Eltern in Missen. Er hatte einen Bruder, eine Schwägerin und zwei Neffen, die sein Elternhaus in Börlas bewohnten.
Der Hamburger Hauptkommissar Lübke hatte gute Arbeit geleistet und Jessica sämtliche Erkenntnisse, Adressen und Bankdaten im Anschluss an ihr Telefonat sofort gefaxt.
»Mein aktueller Fall macht mich fertig«, begann Jessica beim gemeinsamen Abendessen mit Florian. »Wir haben überhaupt keine Anhaltspunkte. Der Täter hat keine Spuren hinterlassen und die Ehefrau ist nach wie vor verschwunden.« Sie schob ihren halb vollen Teller beiseite, verschränkte die Arme über dem Kopf und lehnte sich zurück.
Die Kinder waren zusammen mit ihrem Vater seit zwei Tagen in Hamburg. Florians Mutter Maria, die bei ihnen im Haus lebte, machte zusammen mit ihrer Freundin eine mehrwöchige Kreuzfahrt. Sie hatten sie heute gemeinsam zum Münchener Flughafen gebracht. Nun waren sie in dem alten Stadthaus für die nächsten Wochen allein.
»Mir geht es ähnlich. Isst du das nicht mehr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Florian nach Jessicas Teller und schob die Reste mit der Gabel auf seinen eigenen hinüber. »Ein gutes Rumpsteak darf man nicht verkommen lassen.«
»Ich bin kurz davor, den Suchradius auszuweiten. Die nähere Umgebung des Hotels in Missen haben wir bereits abgesucht, aber von der Frau fehlt jede Spur.« Sie seufzte erneut. »Ich hasse es, wenn ich keine Ideen mehr habe.«
»Glaubst du, die Frau ist auch tot?«
Jessica zuckte mit den Schultern.
Florian schob sich das letzte Stück Fleisch in den Mund, legte sein Besteck auf dem Teller ab und wischte sich wenig galant den Mund mit dem Handrücken ab. »Und wenn sie doch die Täterin ist?«
»Vielleicht. Aber warum? Ich finde einfach kein Motiv.«
»Eifersucht? Die beiden waren lange verheiratet. Eventuell hat er sie mit der Zeit so genervt, dass sie es nicht mehr ausgehalten hat. Oder er hat sie schlichtweg betrogen. Oder sie ihn«, tippte Florian, doch er verstand zu gut, wie ärgerlich es war, wenn man kein Motiv fand und nur spekulierte, was der Grund für einen Mord sein konnte.
»Wie sieht es denn bei dir aus?«, wollte Jessica wissen. »Habt ihr den Mann aus dem Sudkessel identifizieren können?«
»Nein, aber Ewe ist es tatsächlich gelungen, die DNA zu bestimmen.« Florian klang begeistert, als er ausführlich berichtete, was er inzwischen wusste. »Der tote Körper des Mannes hat mehrere Stunden in warmer Maische gelegen. Im Anschluss wurde er über zwei Stunden bei etwa 80 Grad gekocht und danach sorgte die Reinigungslauge endgültig dafür, dass die Knochen blitzblank waren und die Haut und die Organe sich fast komplett aufgelöst haben. Und trotz alldem haben Ewe und die Labortechniker im Rückenmark noch intakte DNA gefunden. Faszinierend, oder?«
»Aber ihr habt keine Vergleichsprobe, nicht wahr? Wird denn jemand vermisst, auf den die Angaben passen?« Jessica stand auf und begann die Geschirrspülmaschine einzuräumen.
»Das ist mein Problem«, gestand Florian. »Keine passenden vermissten Personen, die DNA nicht im System, nirgends Fingerabdrücke. Die ganze Brauerei war klinisch rein. Außer von Markus gab es keine Spuren. Fingerabdrücke von Herrn Lenz haben sie dagegen nur im Büro gefunden.«
»Meinst du, es war Markus?« Jessica drehte sich zu ihrem Freund um und sah ihn durchdringend an.
»Nein, nicht Markus. Sein Entsetzen war nicht gespielt, als er die Leiche gefunden hat. Aber ich habe noch ein weiteres Problem.« Er stand auf und griff nach der Pfanne, die noch auf dem Herd stand. Dann legte er sie in die Spüle und goss eine große Portion Spülmittel darauf.
»Was für ein Problem?« Jessica schloss die Klappe der Spülmaschine und schaltete das Gerät an.
»Ewe sagt, er habe nicht alle Körperteile gefunden. Es fehlen zwei Finger und ein kompletter Fuß. Wir haben alles abgesucht.«
»Oh je. Vielleicht hatte der Mann schon vor seinem Tod nur noch drei Finger«, sagte Jessica. »Könnte doch sein.«
»Nein, laut Ewe nicht. Die Finger sind eindeutig post mortem abgetrennt worden, wie der Fuß. Vermutlich durch das Mahlwerk im Kessel. Wann genau, also in welchem Prozess der Bierherstellung, kann man kaum sagen. Deshalb ist es schwierig zu bestimmen, ob die Teile im Treber, im Tank oder im Kanal gelandet sind. Ewe vermutet, dass es bereits