Die Unwerten. Volker Dützer

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Die Unwerten - Volker Dützer

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prägte sich jeden Arbeitsschritt ein. Wer konnte schon wissen, ob sie nicht irgendwann selbst einen Pass oder vielleicht einen Meldebogen würde fälschen müssen?

      Am frühen Abend klappte Smith den zweiten Ausweis zu und reichte ihn Malisha.

      »Macht dreihundert Reichsmark. Dafür bringe ich Sie bis nach Calais und von dort mit der Fähre nach England.«

      »Das ist mehr als ich Ihnen geben kann.«

      »Geben Sie mir hundert«, sagte er grinsend. »Joschi hat den Rest bereits bezahlt.«

      Malisha fuhr zu dem Riesen herum. »Das kann ich nicht annehmen. Ich …«

      Joschis vernarbtes Gesicht verfinsterte sich. Er machte eine abwehrende Geste.

      Smith rieb sich die Hände. »Gut, das hätten wir geklärt. Zur Erinnerung: Wir befinden uns auf der Reise nach London und genießen diplomatische Immunität. Reden Sie möglichst wenig, wenn Sie gefragt werden. Und vermeiden Sie es unter allen Umständen, deutsch zu sprechen.«

      Im Hof des Klosters parkte eine schwarze Limousine mit der Aufschrift Packard. Auf den Kotflügeln waren kleine amerikanische Flaggen befestigt. Hannah verabschiedete sich von Joschi, der sie heftig an sich drückte. Die Mutter Oberin wünschte ihnen viel Glück.

      Der Wagen rollte vom Hof und tauchte in die Dämmerung ein. Smith saß am Steuer, Malisha auf dem Beifahrersitz und Hannah auf der breiten Rückbank.

      »Der deutsche Angriff auf Luxemburg und Belgien verkompliziert die Lage«, erklärte Smith. »Wir fahren die Mosel stromaufwärts nach Trier. Dann halten wir uns südwestwärts und überqueren die Grenze. Wenn wir nicht aufgehalten werden, nehmen wir ab Metz den Zug über Reims nach Calais.«

      »Aber Frankreich hat Deutschland schon im vergangenen Jahr den Krieg erklärt«, sagte Malisha. »Ich habe von Truppenbewegungen entlang der Grenze gehört.«

      »Noch ist in Frankreich alles ruhig. Aber mit dem heutigen Angriff auf die Niederlande und Belgien wird sich das ändern. Die Franzosen können ihren Drôle de guerre – den seltsamen Krieg – so nicht weiterführen. Wir müssen uns beeilen, bevor die Fahrt nach Calais unmöglich wird.

      »Die Grenzübergänge werden doch sicher bewacht.«

      »Natürlich. Aber Sie vergessen, wir genießen diplomatische Immunität. Schließlich arbeite ich im Konsulat der Vereinigten Staaten in Frankfurt und werde im Auftrag meiner Regierung nach London beordert.«

      »Sie werden uns kontrollieren. Man wird feststellen, dass es dort keinen Mister Smith gibt«, warnte Malisha.

      »Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie Ihre Rolle gut spielen, winken sie uns schnell durch. Und falls sie nachfragen werden: In Frankfurt gibt es einen Mister Smith, sogar zwei davon. Bis die Deutschen rauskriegen, dass es sich dabei nicht um mich handelt, sind wir längst über alle Berge. Sie werden unsere Geschichte schlucken, ich mache das nicht zum ersten Mal. Halten Sie sich an das, was wir abgesprochen haben, dann kann nichts passieren.« Er runzelte die Stirn. »Was mir mehr Sorgen bereitet, ist der schnelle Vormarsch in Holland und Belgien. Wenn die Wehrmacht weiter in diesem Tempo vorrückt, stehen deutsche Landser in ein paar Tagen vor Dünkirchen. Von dort ist es nur ein Katzensprung nach Calais. Hitler will die Atlantikhäfen unter seine Kontrolle bringen. Diese Fahrt wird die letzte sein, mir wird in Deutschland der Boden unter den Füßen zu heiß. Es wird Zeit für eine Luftveränderung.«

      »Hitler wird nicht vor dem Kanal Halt machen«, prophezeite Malisha.

      Smith lachte. »Sie meinen, er plant eine Invasion Englands? Das wagt er nicht. Haben Sie nichts davon gehört?«

      »Wovon?«

      »Chamberlain ist heute zurückgetreten. Churchill ist jetzt Premierminister. Er gilt als harter Hund und erbitterter Gegner Hitlers, der sich auf keine Verhandlungen einlassen wird.«

      »Ich hoffe, Sie irren sich nicht«, antwortete Malisha. »Ich traue den Nazis alles zu.«

      Ja, dachte Hannah fröstelnd. Ich auch. »Ist mein Vater wirklich Pilot?«, fragte sie.

      Malisha drehte sich um. »Ja, das ist er.«

      »Ob er sich freut, dass wir kommen?«

      »Er weiß es nicht. Ich hoffe, dass er uns wenigstens so lange unterstützt, bis wir auf eigenen Füßen stehen können.«

      »Warum können wir nicht bei ihm leben?«

      »Das ist … kompliziert. Versuch zu schlafen, die Fahrt dauert lange.«

      Hannah machte es sich auf der Rückbank bequem. Bald wich die Dämmerung einer mondlosen, pechschwarzen Nacht. Wenn sie durch eine Ortschaft oder eine größere Stadt fuhren, zogen vor den Wagenfenstern kleine Lichtpunkte vorbei. Links von ihnen glitzerte die Mosel im Schein der Straßenlampen und floss träge dem Rhein entgegen. Hannah schloss die Augen und dachte an den blauen Himmel über den Hügeln oberhalb des Klosters. Sie träumte davon, dass ihr Vater sie in seinem Flugzeug mitnahm, und dass er ihr beibrachte, wie man es steuerte. Sie würden gemeinsam um die Welt fliegen.

      Der Packard wurde langsamer, Smith bremste ab und riss Hannah unsanft aus ihren Träumereien. Der Wagen stoppte, das grelle Licht eines Scheinwerfers huschte über die Frontscheibe.

      »Malisha, Sie verstehen kein Deutsch und antworten nur auf Englisch. Hannah, stell dich schlafend.«

      Sie blinzelte zwischen den Augenlidern hindurch. Ein Mann beugte sich zu Smith herunter und leuchtete mit einer Taschenlampe ins Wageninnere. Er trug eine Wehrmachtsuniform mit den Rangabzeichen eines Oberleutnants. Joschi hatte ihr die Dienstgrade erklärt. Eine Maschinenpistole hing an einem Riemen vor der Brust des Offiziers.

      Smith kurbelte das Seitenfenster herunter. »What’s going on?«, fragte er, als würde er Kaugummi kauen.

      »Fahrzeugkontrolle. Ihre Ausweispapiere! Papers please!«

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