Die Unwerten. Volker Dützer
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Читать онлайн книгу Die Unwerten - Volker Dützer страница 25
Nervös zupfte er Joschi am Ärmel. »Können wir jetzt mit der Arbeit beginnen? Ich muss noch heute Abend nach England zurück.«
»Nach England?«, rief Hannah.
»Wir werden deinen Vater um Hilfe bitten«, erklärte Malisha.
Die Aussicht, ihn endlich kennenzulernen, ließ Hannahs Herz schneller schlagen.
»Hier entlang.«
Die Oberin führte sie in einen Raum im Kellergeschoss. Es gab einen Tisch, zwei Stühle und einen stockfleckigen Sisalteppich. Eine nackte Glühbirne unter der Decke spendete trübes Licht.
Joschi stellte eine große Reisetasche auf den Tisch. Er zog den Reißverschluss auf und begann, ein Stativ aufzubauen. Hannah schaute zu, wie er einen elektrischen Scheinwerfer daran befestigte und das Kabel in eine Steckdose steckte. Grelles Licht flammte auf. Auf einem zweiten Stativ befestigte er eine Kamera und richtete sie auf die weiß getünchte Längswand des Kellers aus.
»Wir brauchen neue Papiere«, erklärte Malisha. »Mister Smith wird sie uns verschaffen.«
Joschi beschrieb in seiner Gebärdensprache, was geschehen würde.
»Natürlich heißt er nicht wirklich Smith«, fuhr Malisha fort. »Aber er besitzt einen Diplomatenpass auf diesen Namen. Wir werden als seine Familie mit ihm reisen. Setz dich jetzt.«
Smith stellte einen Stuhl vor die Wand. Hannah nahm darauf Platz und sah in das Objektiv der Kamera. Joschi korrigierte ihre Haltung, bis er zufrieden war, und drückte auf den Auslöser. Als Nächstes nahm Malisha Platz, die er ebenfalls fotografierte.
»Wie werdet ihr den Film entwickeln?«, fragte Malisha.
»Wir besitzen alles Nötige«, entgegnete die Oberin. »Offiziell nutzen wir die Gerätschaften für das Ablichten alter Dokumente unserer Bibliothek. Wir haben eine Dunkelkammer und einen Vergrößerer, um Abzüge herzustellen. Schwester Katharina wird sich darum kümmern.«
Sie nahm die Kamera mit und kehrte eine Stunde später mit den entwickelten Fotografien zurück.
Der Mann, den Malisha Mister Smith nannte, rieb sich die Hände. »Gut, fangen wir an. Meine Arbeit wird einige Zeit in Anspruch nehmen.«
»Ich will zusehen«, bat Hannah.
»Habe nichts dagegen«, entgegnete Smith. »Wenn du geschickte Hände hast, kannst du mir helfen.«
»Was soll ich tun?«
»Mir Kaffee besorgen. Am besten eine ganze Kanne.«
Die Schwester Oberin entfernte sich mit Malisha. Hannah lief in die Küche und kochte Kaffee. Kurz darauf verfolgte sie neugierig, wie Mister Smith den kleinen Koffer öffnete und merkwürdige Utensilien auf den Tisch legte, darunter ein Federmesser, eine Art Schusterahle, feine Pinsel und eine Pinzette. Das Wichtigste präsentierte er zum Schluss: ein Dutzend amerikanische Pässe.
»Wozu brauchen Sie die elektrische Heizplatte?«, fragte Hannah.
»Alles der Reihe nach.«
»Woher stammen diese Ausweise?«
»Sagen wir, ich habe sie gefunden.«
»Gefunden? Wo denn?«, löcherte sie ihn.
Mister Smith grinste. Es ließ seinen Schnurrbart noch breiter erscheinen. »Du bist ja ganz schön neugierig. Auf einem Dachboden. Mehr brauchst du nicht zu wissen.
Er blätterte die Pässe durch. »Ah, dieser passt am besten. Je weniger ich verändern muss, desto leichter wird die Angelegenheit.«
Hannah beugte sich vor. Der Pass war am 08.01.1933 ausgestellt worden und am 07.01.1938 abgelaufen. Er enthielt das Bild einer jungen Frau, die ihr entfernt ähnelte. Sie hatte das gleiche dunkle Haar und war den Angaben zufolge genauso groß. Ihr Name lautete Susan Smith.
»Smith ist einer der häufigsten Namen in Amerika«, erklärte er, »ich habe gleich vier Pässe mit diesem Namen herausgesucht. Dieser hier passt am besten.«
»Dann heiße ich jetzt Susan Smith?«
»Ja. Der Name muss dir in Fleisch und Blut übergehen. Du bist Susan und hast niemals anders geheißen. Ist das klar?«
Hannah nickte stumm. Fasziniert beobachtete sie, wie er die konische Ahle durch die Öse des Passbilds steckte. Vorsichtig bog er mit dem Federmesser die Dornen auf. Dann legte er ein Stück Pappe auf die Heizplatte, und darauf den Ausweis.
»Er muss gut durchwärmen. Das Papier wird weicher und nimmt die Tinte besser auf. Ich werde einige Einträge ändern müssen.«
Er sprach von seiner Arbeit wie ein Koch, der ein Rezept erklärt, rauchte eine Zigarette und trank tassenweise Kaffee.
»Wenn wir in eine Kontrolle geraten, denk daran, dass ich dein Vater bin«, schärfte er ihr ein, »und deine Mutter ist meine Ehefrau. Wir sind eine Familie, hast du das verstanden?«
Hannah nickte. Smith zählte weitere Einzelheiten auf. Sie lebten in Pittsburgh im Osten der USA und wurden nun nach London versetzt. John Smith war amerikanischer Diplomat mit deutschen Wurzeln.
»Ich nehme an, du sprichst kein Englisch?«
»Ein bisschen. Meine Mutter kann es besser.«
»Gut. Du wirst eine Halsentzündung haben – gefährliche, ansteckende Sache. Du darfst nicht sprechen, kannst nur krächzen. Du bringst kein Wort heraus, bis wir in England sind.«
Smith nahm den Pass von der Heizplatte und begann, mit der Pinzette vorsichtig das Bild abzulösen. Nach und nach trug er mit einem Pinsel eine ätzend riechende Flüssigkeit auf die Rückseite des Fotos, bis er es entfernt hatte.
Smith hatte Pässe ausgesucht, in denen nicht nur die körperlichen Merkmale möglichst mit denen von Hannah und ihrer Mutter übereinstimmten, sondern auch das Alter. Sie prägte sich ihr neues Geburtsdatum ein. Dem Pass zufolge war sie schon sechzehn.
Malisha hieß Marlene Smith, ihr Geburtsname musste noch ergänzt werden. Smith wählte den Namen Jones – wie Smith einer der häufigsten Namen in den Vereinigten Staaten und dadurch am schwierigsten zu überprüfen.
Smith schnitt die neuen Passfotos zurecht, etwas größer als das Originalbild. Er legte hauchdünnes Seidenpapier über das alte Foto und zog mit einem Achatstift die Konturen des Stempels nach, die er dann mittels Stift und Kohlepapier in der passenden Farbe auf Hannahs Bild übertrug. Schließlich fixierte er die Fälschung mit Malerfixativ. Danach brauchte er nur noch das gelochte Bild im Pass zu befestigen. Er bördelte die Metallzähne um die Öse zurück und betrachtete seine Arbeit. Die Konturen des Stempels deckten sich genau mit denen des Passes. Er nickte zufrieden und machte sich an den Pass für Malisha.
»Pässe fälschen erfordert eine ruhige Hand und viel Geduld«, erklärte er, »einen Stempel nachmachen ist dagegen ein Kinderspiel.«
»Wie macht man das?«, fragte Hannah.
Smith lachte. »Da die Deutschen so viele Kartoffeln essen, ist es in diesem schönen Land besonders einfach. Man nimmt eine