Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?. Mirjam Mous

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Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous Data Leaks

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      »He.« Mo legt seine Hand auf mein Bein.

      »He«, antworte ich.

      Was für ein toller Text. Ich wünschte, wir könnten solche Situationen im Sozialunterricht üben. Das wäre so viel nützlicher, als zu lernen, wie man Gesichtsausdrücke interpretiert oder dass man jemanden anschauen soll, wenn man mit ihm spricht.

      »Können wir uns noch einmal verabreden?«, fragt Mo.

      Mein Herz hüpft wie ein Flummi. »Okay. Wenn du versprichst, mich nicht mehr auszuspionieren.«

      »Okay ist dein Lieblingswort, was?«

      Ab jetzt nicht mehr. Ich nehme mir vor, es nie wieder zu verwenden.

      »Vielen Dank für …« Ich öffne die Autotür. »Du weißt schon.«

      Es passiert, bevor ich ausgestiegen bin. Über meinem Kopf ertönt ein lauter Knall wie in einem Baller-Game. Ich ducke mich, dicht am Auto, die Hände gegen die Ohren. Mo ist plötzlich bei mir, fängt mich in seinen Armen auf und schaut nach oben.

      »Keine Angst«, flüstert er.

      Aber die habe ich.

      Holden

      Alle schauen zu den zerplatzenden Lichtblumen auf den Monitoren. Die jährliche Feuerwerksshow, entworfen von einem Computerprogramm. Ohne Gestank und das Knallen von Schießpulver, denn unseren Führenden zufolge geht Sicherheit über alles.

      Gähn.

      Kategorie schlimmere Todesarten: vor Langeweile sterben. Aber nicht heute.

      Ich ziehe das Kunststoffröhrchen heraus, das ich zu Hause gedruckt habe.

      Die virtuellen Lichtblumen verwandeln sich in sprühende Fontänen. Sie wechseln immer wieder die Farbe, worauf das Publikum mit einem lang gezogenen »Aaah« reagiert.

      Ich finde ihre Begeisterung schwer übertrieben. Als würde ein Luftgitarrist denselben Applaus verdienen wie ein echter Musiker. Wartet nur, denke ich.

      Ich brauche es nicht einmal heimlich zu tun. Alle Augen sind auf das künstliche Feuerwerk gerichtet.

      Mein Herz schaltet einen Gang höher, als ich die erste Leuchtrakete aus dem Rucksack ziehe. Ich entferne den Schutz von der Lunte und stecke den Stock der Rakete in das Kunststoffröhrchen, während ich bete, dass das Schießpulver nach der langen Zeit noch funktioniert.

      Die Feuerfontänen auf dem Bildschirm werden zu Sternen. Sternschnuppen …

      Jetzt darfst du dir was wünschen, würde Prissy sagen, denn sie glaubt hoch und heilig an solchen Unsinn. Na, dann lass Pa mal vom Tode auferstehen, haha.

      Ich drehe am Zündrädchen und halte das Feuerzeug an die Lunte. Funken kriechen hoch. Dann schießt die Rakete mit einem Zischen dem Himmel entgegen und zerplatzt mit einem Knall.

      Yes! Ein Regen roter Schlieren funkelt über den Häusern. Irgendwo ertönt ein Schrei und eine Menge Köpfe bewegen sich. Die Menschen schauen von den Monitoren zum Himmel und dann wieder auf die Monitore. Sie glauben wahrscheinlich, dass es eine 3-D-Projektion ist, kein echtes Feuerwerk, sondern ein Spezialeffekt mit den passenden Pulverdämpfen.

      Hastig stecke ich eine zweite Feuerwerksrakete in das Ausstoßröhrchen und entzünde sie. Ein paar Jungs, die in der Nähe stehen, haben es kapiert und machen ein erschrockenes Gesicht. Ich grinse hinter meiner Maske.

      Noch während die blauen Funken der zweiten Rakete verglühen, schieße ich die dritte ab. Sie steigt dreißig Meter hoch. Mindestens. Der Knall und der Rauch sind wie Adrenalin. Ich fühle mich wie ein Held, aber nicht wie so ein Trottel mit Flugcape oder einem magischen Schwert, sondern ein echter. Es ist mir egal, dass die Leute mich anstarren. Fuck die Führenden mit ihren idiotischen Regeln! Lang lebe die Freiheit!

      Rakete Nummer vier.

      Ein Kind weint und jemand applaudiert. Ein Pärchen, verkleidet als die Schöne und das Biest, rennt davon, die Hände auf die Ohren gepresst.

      Köstlich!

      In dem Moment, als die fünf‌te Rakete aus dem Röhrchen schießt, wird die Feuerwerksshow auf den Monitoren abgebrochen. Das strenge Gesicht eines Ordnungshüters erscheint im Bild.

      »Keine Panik«, sagt er. »Das Knallen, das Sie hören, stammt von echten Feuerwerksraketen. Solange Sie ausreichend Abstand halten, sind Sie nicht in Gefahr. Versuchen Sie, die Dämpfe nicht einzuatmen. Wir werden alles tun, um den Täter so schnell wie möglich aufzuspüren.«

      Den Täter. Als wäre ich ein Krimineller.

      »Sie können ihn an seiner Guy-Fawkes-Maske erkennen. Nähern Sie sich ihm nicht selbst, sondern wählen Sie den Notruf.« Der Ordnungshüter verschwindet. Der Monitor zeigt eine in schwarz gekleidete Gestalt. Sie trägt eine Kapuze und eine weiße Maske mit schwarzen Akzenten. Shit, das bin ich!

      Ich mache mich klein und bahne mir einen Weg durch eine Gruppe von Märchenfiguren.

      Maske runter! Ich stopfe sie in meine Tasche und laufe weiter, während ich hoffe, dass mich keiner verfolgt. Rotkäppchen starrt mich an. Ich wende den Kopf ab und verlasse die Menschenmenge, biege in die erste Seitenstraße nach links ein.

      Erst in der sicheren Dunkelheit eines Hauseingangs wage ich es, mich umzuschauen. Kein Ordnungshüter. Niemand, der mich verfolgt. Ich kriege mich nicht mehr ein vor Lachen. Was für eine großartige Knallerei! Das war mit Abstand der coolste Happy Day, den es je gab!

      Prissy

      Als ich nach Hause komme, schaue ich sofort zum Schränkchen in der Diele. Kein ID-Bändchen.

      Gut so. Dann muss ich auch nicht leise sein.

      Ich meide den Filmrahmen mit Papas liebem Gesicht und gehe gleich nach oben. Die automatische Beleuchtung ist mir immer ein paar Schritte voraus. Früher habe ich hin und wieder versucht, die Lampen einzuholen, indem ich plötzlich losrannte. Das behaupten jedenfalls Mama und Holden – ich selbst weiß das nicht mehr.

      Es ist angenehm warm in meinem Zimmer. Ich tausche mein Kostüm gegen einen bequemen Jogginganzug, schlüpfe in meine Slipper und nehme mein Kleid, die Strümpfe und das herzförmige Krönchen mit in die Rumpelkammer, in der Mama alten Kram in Kartons auf‌bewahrt. Mein Blick huscht über die Etiketten. SPORTARTIKEL, HAPPY DAY, JACKS KLEIDUNG …

      Tragen wird Papa sie nicht mehr. So sind sie doch noch für etwas gut.

      Ich verberge mein Happy-Day-Outfit unter einem Stapel seiner Hemden ganz unten im Karton. Könnte man Schuldgefühle doch auch nur einfach ausziehen und wegstecken wie ein Kleid. Holden meint immer, es sei lächerlich, dass ich mich so schnell schlecht und verantwortlich fühle. Als ob ich das absichtlich täte!

      Ich nehme mein Camphone mit nach unten und mache es mir auf dem Sofa bequem.

      »Da bist du ja endlich«, nörgelt Flow, sobald ich mich ihrem Chat anschließe. »Du hast ewig nichts von dir hören lassen.«

      Bestimmt ist sie noch sauer wegen der Nachricht von Mo.

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