Der Tod auf dem Nil. Agatha Christie
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Читать онлайн книгу Der Tod auf dem Nil - Agatha Christie страница 4
Poirot schüttelte den Kopf. »Ich bin doch nur ein Mann der Muße«, erwiderte er sanft. »Ich habe beizeiten gespart und kann es mir jetzt leisten, mich einem beschaulichen Dasein hinzugeben.«
»Ich beneide Sie.«
»Nein, nein, Sie wären töricht, wenn Sie das täten. Ich kann Ihnen versichern, es ist längst nicht so vergnüglich, wie es klingt.« Er seufzte. »Wie recht hat doch das Sprichwort, dass der Mensch die Arbeit notgedrungen erfinden musste, um dem Zwang zum Denken zu entgehen.«
Monsieur Blondin riss die Arme hoch. »Aber es gibt doch so vieles! Man kann reisen!«
»Ja, man kann reisen. Darin bin ich auch schon ganz gut. In diesem Winter fahre ich, glaube ich, mal nach Ägypten. Das Klima soll dort superb sein! Da kann man dem Nebel, dem Grau, der Eintönigkeit des ewigen Regens entfliehen.«
»Ah – Ägypten«, hauchte Monsieur Blondin.
»Man soll jetzt wohl sogar mit dem Zug hinkommen und sich die Seefahrerei ersparen können, außer über den Kanal natürlich.«
»Ja, das Meer. Meint’s nicht gut mit Ihnen?«
Hercule Poirot schüttelte leise schaudernd den Kopf.
»Geht mir genauso«, sagte Monsieur Blondin mitfühlend. »Eigentlich kurios, was das Meer mit dem Magen macht.«
»Aber nur mit bestimmten Mägen! Es gibt Leute, die sind vom Wellengang überhaupt nicht zu beeindrucken. Die genießen ihn regelrecht!«
»Eine Ungerechtigkeit vom lieben Gott«, sagte Monsieur Blondin, bevor er sich endlich zurückzog, mit bedauerndem Kopfschütteln seinen ketzerischen Gedanken nachhängend.
Flinke Kellner schwirrten auf leisen Sohlen um den Tisch, mit Toast Melba, Butter, einem Eiskübel und allen weiteren Ingredienzen eines erstklassigen Essens. Dazu spielte sich eine Jazzband in eine Ekstase aus eigentümlichen Missklängen. London tanzte.
Hercule Poirot sah zu und registrierte alle Eindrücke in seinem wohlsortierten, aufgeräumten Hirn. Wie gelangweilt und überdrüssig die meisten dreinsahen! Ein paar von den dickeren Männern allerdings hatten ihren Spaß. In den Gesichtern ihrer Tanzpartnerinnen dagegen stand anscheinend nur geduldig ertragene Qual zu lesen. Aber die fette Frau in Purpurrot strahlte vor Freude. Ganz offensichtlich bot das Leben Entschädigung für Fett – Vitalität, Schwung, lauter Dinge, die Leuten mit modischeren Figuren verwehrt blieben.
Ein versprengtes Häuflein junger Menschen – ein paar mit den Gedanken woanders – ein paar gelangweilt – ein paar deutlich unglücklich. Was für eine absurde Behauptung, die Jugend sei die Zeit des Glücks – die Jugend war die Zeit der größten Verletzlichkeit!
Poirots Blick wurde weicher, als er ihn auf einem Paar ruhen ließ. Zwei, die zueinander passten – groß und breitschultrig der Mann, schmal und zart das Mädchen. Zwei Körper, die sich bewegten im vollkommenen Rhythmus des Glücks. Des Glücks, hier und jetzt beieinander zu sein.
Plötzlich brach die Tanzmusik ab. Es wurde geklatscht, bis sie weiterspielte. Nach der zweiten Zugabe ging das Paar zurück an einen Tisch dicht neben dem Poirots. Das Mädchen lachte und hatte einen roten Kopf. Als sie sich gesetzt hatte, konnte er ihr Gesicht, das sie lachend ihrem Gefährten zuwandte, genauer sehen. Aus ihren Augen sprach noch etwas anderes als Lachen. »Sie hängt zu sehr an ihm, die Kleine«, sagte er zu sich. »Das ist nicht ungefährlich. Gar nicht ungefährlich.«
Und dann drang ihm ein Wort ans Ohr: »Ägypten.«
Er konnte die Stimmen deutlich hören – die des Mädchens war jung, frisch und hochmütig mit einer winzigen Spur weicher, ausländischer Rs, die des Mannes wohlklingend, tief, bestes Englisch.
»Ich brate keine ungelegten Eier, Simon. Ich sage nur, Linnet lässt uns nicht im Stich!«
»Aber vielleicht lasse ich sie im Stich.«
»Unsinn – das ist genau die richtige Stelle für dich.«
»Das ist sie, das glaube ich auch … Ich zweifle auch gar nicht an meinem Können. Ich will mich ja bewähren – deinetwegen!«
Das Mädchen lachte sanft, das lachende reine Glück. »Wir warten jetzt die drei Monate ab – dann wissen wir, dass du nicht wieder entlassen wirst – und dann –«
»Und dann teil’ ich mit Euch mein irdisch Hab und Gut – darauf läuft’s hinaus, nicht?«
»Und in die Flitterwochen fahren wir, wie gesagt, nach Ägypten. Egal, was es kostet! Ich wollte mein Leben lang nach Ägypten. Der Nil und die Pyramiden und der Sand …«
Seine Stimme war jetzt etwas undeutlicher. »Wir sehen es uns zusammen an, Jackie … Ist das nicht herrlich?«
»Ich bin nicht ganz sicher. Findest du das eigentlich so herrlich wie ich? Hängst du wirklich an mir – so wie ich an dir?« Sie klang plötzlich erregter und hatte weit aufgerissene, fast angstvolle Augen.
Seine Antwort kam schnell und scharf. »Red keinen Unsinn, Jackie.«
Aber das Mädchen sagte noch einmal: »Ich bin nicht ganz sicher …« Dann zuckte sie die Schultern. »Lass uns tanzen.«
Hercule Poirot murmelte in sich hinein: »Une qui aime et un qui se laisse aimer. Nein, sicher wäre ich da auch nicht.«
VII
»Und wenn er nun ein furchtbarer Grobian ist?«, gab Joanna Southwood zu bedenken.
Linnet schüttelte den Kopf. »Ach, das wird er schon nicht. Auf Jacquelines Geschmack ist Verlass.«
»Na ja, nur –«, murmelte Joanna, »verliebt sind die Leute nicht unbedingt in Hochform.«
Linnet schüttelte den Kopf noch unwirscher und wechselte das Thema. »Ich muss zu Mr Pierce wegen der Pläne.«
»Pläne?«
»Ja, ein paar furchtbar unhygienische alte Hütten. Ich lasse sie abreißen und die Leute woanders unterbringen.«
»Wie gesundheitsbewusst und menschenfreundlich von dir, Liebling!«
»Die Hütten mussten sowieso weg. Man hat von da aus Einblick in mein Schwimmbecken.«
»Wollen denn die Leute, die da jetzt wohnen, auch weg?«
»Die meisten liebend gern. Ein, zwei stellen sich ein bisschen dumm an – die sind sogar ziemlich lästig. Die wollen offenbar nicht einsehen, wie viel besser sie woanders leben könnten!«
»Trotzdem hast du es ganz eigenmächtig entschieden, nehme ich an.«
»Meine liebe Joanna, es ist tatsächlich zu ihrem Besten.«
»Aber ja, Liebes. Ganz bestimmt. Zwangsbeglückung.«
Linnet runzelte die Stirn.
Joanna lachte.
»Na komm, du bist