Die kleine Dame (1). Stefanie Taschinski

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die kleine Dame (1) - Stefanie Taschinski страница 3

Die kleine Dame (1) - Stefanie Taschinski Die kleine Dame

Скачать книгу

drückte die Klinke herunter und das Tor öffnete sich mit einem leisen Knarren. Vor ihr lag ein raspelkurzes Stück Rasen mit einer verrosteten Teppichstange.

      Genau, so sah es hier aus. Grau und langweilig. Deshalb hatte Lilly auch nie einen Schritt in diesen Hof gesetzt. Aber heute ging sie einfach über den Rasen, unter der Teppichstange hindurch und zwängte sich in die Ligusterhecke, die den Hof in zwei Hälften teilte. Sie wollte ja ganz weit weg von Mama, Papa und Karlchen sein. Hinter dieser Hecke würden sie Lilly niemals finden!

      Die Zweige der Hecke wuchsen dicht an dicht. Sie piksten Lilly in die nackten Arme. Sie hakten sich an ihrer Hose fest. Es roch nach Moos und alter Vogelschiete. Aber Lilly schob sich weiter durch die Äste, immer weiter, bis ihre Nasenspitze auf der anderen Seite hervorsah und die Hecke sie freigab.

      Lilly rieb sich die Augen. Was war denn das? Hinter der Hecke war der Hof ja viel, viel größer, als sie gedacht hatte. Vor ihr lag eine Blumenwiese. Mehrere verschlungene Pfade führten zwischen Büschen und Bäumen hindurch. Nicht weit von der Hecke entfernt stand eine riesige, alte Weide. Ihre Zweige hingen bis auf den Boden und wiegten sich in der leichten Brise, als wollten sie Lilly begrüßen.

      Lilly setzte sich auf eine kleine Mauer neben der Weide und betrachtete ihre Kamera. Sie drehte den Apparat hin und her. Irgendwo musste doch das Fach für den Chip sein. Sie wusste, dass es so ein Fach gab. Papas Fotoapparat hatte auch so eins. Lilly untersuchte die Kamera von allen Seiten. Ihre Finger fühlten eine kleine Vertiefung, doch als sie hineindrückte, fielen bloß die Batterien heraus und rollten ein Stück über den Boden.

      Lilly bückte sich, um die Batterien aufzuheben. Da sah sie plötzlich ein paar sehr kleine Schnürstiefel. Sie blickte auf und fiel auf den Po. Direkt vor ihr stand eine kleine Person im allerfrischesten Weidengrün, die einen ebenso grünen Schirm in der Hand hielt. Es war die kleine Dame, die im Zelt unter der alten Weide campierte.

      Die kleine Dame ging ein paar Schritte zurück und betrachtete Lilly ausgiebig von allen Seiten. Mehrere Male schritt sie um das Mädchen herum, das da vor ihr auf dem Boden saß, und ihre Farben wechselten von Weidengrün in das tiefe Grün der Ligusterhecke, zum Mörtelgrau der Mauer und wieder zurück. Die kleine Dame chamäleonisierte mit so atemberaubender Geschwindigkeit, dass Lilly schwindelig wurde. Ihr Herz klopfte schnell und ihr Bauch tanzte Flohwalzer.

      Da klappte die kleine Dame ihren Schirm zusammen, setzte sich auf die Mauer und schlug ein Bein über das andere. »Os, os, new nebah riw nned ad?«

      Lilly brachte vor Staunen kein Wort heraus. War das Chinesisch?

      »Rew tsib ud?«, fragte die kleine Dame ganz langsam und sah Lilly bedeutungsvoll an.

      Aber Lilly konnte nur fragend die Schultern zucken. Denn sie verstand nicht das allerkleinste Wort. Da machte die kleine Dame ein bekümmertes Gesicht. »Oh wie traurig, mein Besuch versteht mich nicht!«, seufzte sie.

      »Doch, jetzt schon!«, widersprach Lilly.

      Nun war es an der kleinen Dame, erstaunt zu sein. »Du sprichst Vorwärtzisch, aber nicht Rückwärtzisch?«

      »Was ist Rückwärtzisch?«, fragte Lilly.

      »Links und rechts, groß und klein, vorwärts, rückwärts, was darf’s sein?«, lachte die kleine Dame und fuhr fort: »Du musst wissen, die meisten Menschen im Norden sprechen Vorwärtzisch, während die Menschen im Süden Rückwärtzisch bevorzugen.«

      »Aber du kannst beides?«, staunte Lilly.

      »Nun ja, ich reise viel«, erklärte die kleine Dame.

      »Und so weiß ich, mich in beiden Sprachen einigermaßen auszudrücken.«

      »Besuchst du hier jemanden?«, fragte Lilly und sah sich neugierig um. Aber außer ihr und der kleinen Dame war weit und breit niemand zu sehen.

      »Nein, nein! Ich bin auf Expedition«, verkündete die kleine Dame. »Und du? Was machst du hier?«

      »Ich bin Lilly und wohne im Brezelhaus.«

      »Ich freue mich, dich kennenzulernen, Lilly«, sagte die kleine Dame und zog ihren Tropenhelm.

      Lilly war ein bisschen verwirrt. So wie die kleine Dame hatte sie noch nie jemand begrüßt.

      »Oh, ich freu mich auch sehr«, sagte sie. »Und … wer bist du?«

      »Ich bin die kleine Dame«, stellte sich die zierliche Person vor und setzte ihren Helm schwungvoll wieder auf.

      Lilly riskierte einen Blick auf den seltsamen Schirm. »Kleine Dame?«

      »Ja?«

      »Wie hast du dich eben verwandelt?«

      »Wieso verwandelt? Ich dachte, ich hätte wie gewöhnlich ein bisschen chamäleonisiert.« Die kleine Dame spannte ihren Schirm zum zweiten Mal auf und wieder lief sie von den Spitzen ihrer feinen Schnürstiefel bis zum Tropenhelm mauergrau an. Und zum zweiten Mal an diesem Nachmittag fiel Lilly vor Staunen auf den Po.

      »Siehst du, es geht ganz leicht«, sagte die kleine Dame. »Zumindest für mich, die weltbeste Chamäleoniseurin.« Lilly glaubte der kleinen Dame sofort, dass sie die beste Chamäleoniseurin der Welt war. Aber sie hätte natürlich gern gewusst, wie es funktionierte. Wieder blinzelte sie zu dem eigenartigen Schirm. Der Griff erinnerte sie an etwas.

      Aber ehe Lilly noch eine Frage stellen konnte, hatte die kleine Dame den Schirm schon wieder zugeklappt.

      Sie setzte sich neben Lilly ins Gras. Voller Neugier blickte sie auf Lillys neuen Fotoapparat.

      »Was ist das?«

      »Das ist …«, setzte Lilly an.

      Die kleine Dame hob die Hand und stoppte sie. »… lass mich raten. Ich liebe Rätsel.«

      Die kleine Dame hielt sich die Augen zu. »Ich muss mich konzertieren.«

      Durch einen kleinen Spalt zwischen ihren Fingern spähte sie auf die Kamera. »Oh, das ist ein schweres Rätsel. Sehr, sehr schwer.« Sie klatschte in die Hände. »Ha, aber ich weiß es! Es ist … eine Unterwasserbrotdose.«

      »Was? Nein«, sagte Lilly.

      »Nein?«, rief die kleine Dame verblüfft. »Aber es sieht genauso aus wie ein richtiges Prachtexemplar von einer Unterwasserbrotdose. Ich kannte einmal einen Delfin, der wusste nie, wo er sein Schulbrot lassen sollte. Diese Dose hätte ihm sehr geholfen. Oder ist sie etwa nicht wasserdicht?«

      Lilly schüttelte den Kopf. »Leider nicht.«

      »Gut, lass mich nachdenken.« Wieder hielt die kleine Dame sich die Augen zu und dachte sehr angestrengt nach. »Ha, aber jetzt weiß ich es! Es ist ein Geheimsprachenerfinder. Genau, die gibt es jetzt doch an jeder Ecke zu kaufen.«

      Wieder schüttelte Lilly den Kopf. »Nein, das ist es auch nicht«, sagte sie.

      »Also, wenn es weder eine Unterwasserbrotdose noch ein Geheimsprachenerfinder ist, dann musst du mir einen kleinen Hinweis

Скачать книгу