Amour bleu. Andreas Bahlmann

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Amour bleu - Andreas Bahlmann

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mein Verlangen nach ihr ...

      Es hatte sich alles wie in einem Film abgespielt, und dieser verdammte Film sollte endlich aufhören und gefälligst ein »Happy-End« haben, so wie alle anständigen Liebesfilme.

      Aber dieser Film ließ sich nicht abstellen, und meine Tränen des Schmerzes, der Liebe, der Sehnsucht und der Wirklichkeit gruben sich ihren Weg durch mein Gesicht.

      Mühsam versuchte ich, meine Gedanken und Gefühle klar zu kriegen und den Weg zum Plattenspieler zu finden, um diesem sinnlos gebrauchten Tag noch irgendeine sinnvolle Wendung zu geben.

      Liebeskummer kann durchaus sinnvoll sein, und er hat gewiß auch seine tiefe Berechtigung, aber er nervt genauso sehr wie er schmerzt, weil er alles lähmt und man die verlorene Liebe erst durch den Verlust neu entdeckt oder sogar nur durch den Verlust diese Liebe überhaupt erstmals spürt.

      Irgendwie schaffte ich es, mich zu erheben.

      Von tonnenschwerer Leere niedergedrückt durchfingerte ich meine Schallplatten, um mein auf Liebeskummer maßgeschneidertes Stück zu finden, welches meinen untröstlichen Gemütszustand in sich aufnehmen und ihm eine Stimme geben könnte. Es würde meine Sehnsucht zwar ins Unermeßliche steigern, sollte aber helfen. Früher gab es ein paar Freunde, die erzählten so was. Sie kannten sich wohl ziemlich gut in Liebesdingen aus, zumindest redeten sie viel darüber. Mir blieb mehr das interessierte Zuhören und manches klang ganz brauchbar.

      Hatte man seine musikalische Auswahl getroffen, wäre der Weg frei für das ungehemmte Zerfließen in Selbstmitleid. Danach das nahezu vollständige Erlahmen der Arbeitsfähigkeit, einhergehend mit dem Erliegen jeglicher Hygiene-Motivation und der theatralischen Erkenntnis der verflossenen Liebe als DIE eine, absolut große und wahre Liebe.

      Zur Erlangung der angemessenen sozialen Aufmerksamkeit im gesellschaftlichen Umfeld lässt sich dieses komplexe Pathos-Gesamtpaket außerdem äußerst effektiv durch das laute Hören von Musik abrunden... das zerbrochene Herz mußte schließlich tränenreich wieder zusammengepuzzelt werden, auch wenn ich mich fragte, wofür und für wen.

      Der Pathos des Selbstmitleids triumphierte. Ich litt Höllen-Qualen und ich ging aufs Ganze. Es landete »Unchained Melody« von den Righteous Brothers auf dem Plattenteller.

      Eine der besten Entscheidungen, die diese schweren Stunden für mich treffen konnten...

      »… Oh … my love … my darling … I’ve hungered for your touch …« schluchzte es triefend aus dem Lautsprecher.

      Diese nicht nur erstklassig gesungene, sondern auch unverhüllt kitschige und gerade deswegen so erstklassige Rock’n’Roll –Schnulze beantwortete nicht nur nahtlos sämtliche Fragen meines todunglücklichen Daseins, sondern steigerte meinen Liebes-Schmerz noch einmal dramatisch – es war großartig!

      Die eisige Decke der Vergangenheit wurde auf der Überholspur ausgebremst.

      Tränen, Verzweiflung, Selbstmitleid und das Glorifizieren der verlorenen Liebe..., all das konnte ich jetzt nochmals ungehemmt beweinen, betrauern und beschmerzen.

      Meine Erinnerung rebellierte mit vehementer Ratlosigkeit, schaute schließlich betreten weg und schwieg mit eisigem

      Hohn.

      Das Lied war viel zu früh zu Ende, meine Bilder der Liebe blieben.

      Aber waren es auch ihre?

      Es gab diese lähmenden Momente, ihre stillen Tränen der Einsamkeit, auf die ich nur mit Sprachlosigkeit reagierte.

      Isabelle saß im Schneidersitz vor mir und lächelte traurig. Ich wollte sie berühren, ihre Haut riechen, aber meine Sinne trieben haltlos in der trüben Gefühls-Leere, und mir ging es noch viel schlechter als vorher. Liebeskummer ist eine beinharte Realität, dabei überhaupt nicht alltagstauglich und vor allen Dingen unmöglich zu ignorieren...

      Zum Teufel damit!

      Sollten doch alle an meinem Liebeskummer teilhaben, der so musikalisch punktgenau von den Righteous Brothers getragen wurde!

      »Oh … my love … my darling …« dröhnte es nun entschieden lauter nicht mehr nur durch meine kleine Wohnung.

      Wahrscheinlich fielen sich mittlerweile im Treppenhaus alle Hausbewohner inniglich in die Arme.

      Danach folgte Led Zeppelins Jahrhundert-Ballade ›Stairway to Heaven‹, natürlich dreimal hintereinander. Anschließend drängte sich Led Zeppelin mit ›Black Dog‹ auf den Plattenteller.

      »Hey, hey Mama, said the way you move, gonna make you sweat, gonna make you groove…« kreischte Sänger Robert Plant, bevor die Band, unnachahmlich angetrieben von Schlagzeuger John Bonham, dieses Stück in die Rockgeschichte hämmerte.

      Die wilde Rückkehr meiner Seele und meines Herzens löste schlagartig schieres Entsetzen in mir aus.

      Also sofort zurück zu den Righteous Brothers… und dieses Mal volle Pulle! »OH … MY LOVE … MY DARLING …« brüllte es nun bis zum Verzerren aus der Box, durch das Haus, hinaus auf die Straße und über die Stadt.

      Reflexartig stieß ich unwirsch gegen den Tonarm auf dem Plattenteller. »… MY DAR … …« verabschiedete sich mit einem laut keifenden Kratzen ins musikalische Exil. Es reichte.

      Mir ging es immer noch saumiserabel, aber das Leben mit seinem ganzen Schmerz begann dennoch wieder in musikalisch korrekten Bahnen zu pulsieren, um in deren Sicherheit hinein zu schlüpfen. Die Plattennadel hatte den Rock’n’Roll-Kitsch weggekratzt und George Thorogoods Version von ›One Bourbon, one Scotch, one Beer‹ vertrieb mit seinem gnadenlosen Boogie, acht Minuten und sechsundzwanzig Sekunden lang, meine geistige Liebeskummer-Lähmung.

      Ich musste raus ..., aber nicht, um in irgendeiner Bar zwei Whisky – einen Bourbon und einen Scotch – anschließend mit einem Bier hinunter zu spülen...

      Ich mußte einfach raus, um nicht mit den nächsten Atemzügen mein elendiges Leben auszuhauchen.

      Mühsam rappelte ich mich auf, zwängte meine Füße in die Turnschuhe und griff mit kraftloser Entschlossenheit nach meiner Jacke.

      Ich schaffte es ohne Zwischenfälle die Treppen hinunter und trat vor die Haustür. Draußen war es dunkel und naßkalt, trotz des Frühlings, Anfang Mai. Es hatte geregnet und ich schaute in einen mondlosen, aber sternklaren Nachthimmel.

      Ich fror und zitterte in Schauern am ganzen Körper. Die vielen Tränen hatten mich körperlich und seelisch ausgemergelt, und der Heulbojen-Gesang der Righteous Brothers hatte mir den letzten Rest abverlangt.

      Ich holte tief Luft und fühlte erneute Tränen in mir hochsteigen. Meine Augen brannten, aber ich ging nach vorne und nicht zurück in die Wohnung.

      Hinter mir fiel die Tür ins Schloß, und ich stand wie betäubt auf dem Gehweg.

      »Guten Abend, Monsieur«, hörte ich von gegenüber eine mir vertraute, freundlich warm klingende Stimme. Mein verschwommener Blick erahnte eine menschliche Silhouette, aber mein Gehör täuschte mich nicht.

      Es war Djamal, der Inhaber des kleinen Lebensmittel-Magazins an der Ecke auf der anderen Straßenseite.

      Anfang der sechziger Jahre, während der Kriegswirren in Algerien, war er als kleines Kind mit

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