Amour bleu. Andreas Bahlmann

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Amour bleu - Andreas Bahlmann

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war Nati ein weiblicher Schrecken mit roten Lippen, orangeroten Haaren, apricotfarbenem Pudel, rot lackierten Stöckelschuhen und einem Vater, mit dem man sich überall sicher fühlen konnte, wenn man auf der »Du-bist-mein-Freund-Seite« stand.

      Zerknirscht und humpelnd folgte er ihr in die Ehe. Schuld daran waren das schlechte Wetter und eine Taxifahrt.

      Er hatte ihr einen Platz im Taxi angeboten, weil es so stark regnete und Taxis deswegen nur schwer zu bekommen waren.

      Und es war das einzige Mal in seinem Leben, daß Chandon es bitter und nachhaltig bereute, Kavalier gewesen zu sein.

      Nach seinem Jawort ging es nur noch ums Überleben.

      Die Ausheilung seines stilettierten Fußes schritt stetig voran und damit auch die Sehnsucht nach einer Rückkehr in die Freiheit. Und Chandon erkannte in dem Pudel nicht die einzige, aber dafür die beste Chance zur Wiedererlangung seines alten Lebens.

      Renates Hingabe für diesen verwöhnten Pudel war extrem und nicht nur schwer, sondern eigentlich gar nicht auszuhalten.

      Die nächsten Monate ließ sich Chandon als beleidigter, verstoßener und eifersüchtiger Ehegatte fast bis zur Selbstaufgabe gehen. Er flötete »Nati« zuckersüß und so lange, bis es irgendwann nicht mehr weitergehen konnte.

      Mit blutunterlaufenen Augenrändern bis zum Mundwinkel, einer nach billigem Wein und Dosenbier übelriechenden Fahne, in schmuddeliger Kleidung, stellte er sie schließlich vor die Entscheidung:

      »Entweder der Hund oder ich…«

      Renate ließ von ihrem Pudel ab und blickte erschrocken auf. Solche Töne war sie von ihrem »Schandi« nicht gewohnt, und sie fand ihn auf einmal gar nicht mehr so putzig. Qualvolle Minuten spannungsgeladener Angst schlichen dahin.

      »… der Pudel …«

      Natis Stimme drang aus dem hallenden Jenseits zu ihm durch,

      resigniert und gedemütigt drehte sich Chandon um und schlurfte mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern aus dem Zimmer. Er langte kraftlos nach seinem Mantel und schloss wie ein Verstoßener die Haustür hinter sich zu. Kaum vernahm er das zuschnappende Geräusch des Hauseingangs hinter seinem Rücken, riss er die Arme hoch und stieß einen stummen Jubelschrei aus.

      »Geschafft! Endlich geschafft! ...«

      Dann sank er mit dem Rücken an der Hauswand hinunter und weinte, von lautlosen Tränen geschüttelt. Gleichzeitig fühlte er, wie das Leben und das freie Atmen in ihn zurückkehrten. Die Rolle als gepeinigter Ehemann hatte alles Können von ihm abverlangt.

      Die Ehe wurde geschieden.

      Chandon und ich saßen nach diesem folgenschweren Ereignis noch lange Zeit zusammen am Tisch im kleinen Bistro in der Rue du Général Leclerc.

      Als ich von ihm wissen wollte, warum er denn so unvermittelt aufgesprungen war, wodurch ja erst diese ganze Sahne-Verkettung gestartet wurde, erklärte er mir, dass er das geschäftige und rastlose Treiben auf der Straße beobachtet hatte und sich dabei vorzustellen versuchte, wie es wohl wäre, wenn sich die alte, mit Tragetaschen bepackte Frau oder der am Handstock gemächlich und gebückt dahin schlurfende Greis im normalen Tempo bewegen würden.

      »Man würde die anderen Fußgänger, Radfahrer, Mopeds und Autos nur noch als Lichtblitze oder Lichtstrahlen wahrnehmen, … eine ungemein erschreckende Vorstellung, nicht wahr?« führte ich Chandons Gedanken zu Ende.

      Chandon war seit mehreren Jahren wieder verheiratet.

      »Sie ist meine große Liebe«, sagte er zu mir.

      Ich freute mich für ihn.

      Die Postkarte, die Chandon bei unserer ersten Begegnung in seinen Händen hielt, hatte ihm seine Frau zugesteckt.

      Kurz bevor ich mich damals zu ihm an den Tisch setzte, hatte er sie in seiner Manteltasche entdeckt.

      »Ich sitze hier und denke mir, wie gern wär ich bei Dir …, « stand darauf geschrieben.

      Gelegentlich, wenn ich das Café Les Colonnes in Richtung Metro-Station verließ, gönnte ich mir einen kleinen Schlenker durch die nahegelegene Rue Marceau, um dem nahezu ununterbrochenen musikalischen Gewitter einer dort ansässigen Schlagzeugschule zu lauschen. Manchmal warf ich auch einen Blick durch die trüben Fenster dieser Hinterhof-Kaderschmiede für die trommelnden Talente aus ganz Frankreich und Europa.

      So wurde ich einige Male Zeuge von beeindruckenden Demonstrationen der Kunst des Schlagzeugspielens. Etwa, wenn Gruppen von fünf oder sechs, vor Spielfreude nur so sprühenden Schlagzeugern sich gegenseitig zu Höchstleistungen antrieben. Sie spielten konzentriert und synchron ihre rhythmischen Übungen, oftmals in atemberaubendem Tempo, mit nicht minder atemberaubender Geschicklichkeit. Gerade diese spielerische Leichtigkeit erfrischte mich immer wieder aufs Neue.

      Ein lautes Hupsignal riß mich aus meinen Gedanken und holte mich unsanft zurück in die Realität als Fahrgast auf der Flucht vor meiner haltlosen, von Liebeskummer durchtränkten Existenz.

      Die einfahrende Metro bremste rumpelnd ihre Fahrt ab. Mit einem lauten Zischen flogen die Türen auf, und ich wurde in die gelb und blau gekachelten Katakomben der Pariser Unterwelt hinaus gespuckt.

      Ich ließ mich in eine dieser lehnenlosen Kunststoff-Sitzschalen plumpsen, die auf gekachelten Betonsockeln an den Bahnsteigen vor den röhrenförmigen Fliesenwänden verschraubt waren.

      Da saß ich nun und wartete auf gar nichts, nicht einmal auf die nächste Metro.

      Meine innerliche Leere brachte nicht einmal mehr sogar keine Traurigkeit zustande und drohte in einem gierigen, alles schluckenden Grau zu verschwinden.

      Chandon war so glücklich mit seiner neugefundenen Liebe wie ich unglücklich mit dem Verlust meiner war.

      »Henri ist schuld!« lief es mir immer wieder durch den Kopf.

      »... Blödsinn!«

      Energisch versuchte ich, diesen sich ständig wiederholenden Satz aus meinen Gedanken zu blocken.

      Vergeblich.

      Ich stand auf, weil ich keine Lust hatte, weiterhin an Henri und seine Prophezeiung zu denken. Vielleicht blieben die Gedanken ja einfach in der Sitzschale liegen, wenn ich mich nur zügig genug entfernte.

      Ziellos trieb ich durch das Tunnel-Labyrinth der Metro, aber Henri hatte sich hartnäckig in meine Gedanken geklettet.

      Ich blieb vor einem Fahrplan stehen und suchte nach den Anschlüssen zu einer amerikanischen Kirchengemeinde, nahe dem Quai d’Orsay. Dort sollte an diesem Abend ein Konzert einer französischen Blues-Band stattfinden.

      Der Weg dorthin war nicht allzu weit, dauerte aber lange genug, um die Gedanken an Henri frei laufen zu lassen und sie dann hoffentlich ein für alle Mal abzustellen.

      Die U-Bahn raste heran und bremste mit einem scharfen Quietschen. Die Türen zischten auf und saugten mich in das Innere des Waggons.

      Im nächsten Augenblick fiel ich in die typische »Metro-Reise-Apathie«, die alle Passagiere miteinander zu teilen schienen, sobald sich die Metro wieder in Bewegung setzte.

      Mein

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