Amour bleu. Andreas Bahlmann
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Es war nicht mehr richtig Nacht, aber der Tag mochte auch noch nicht wirklich beginnen.
Es war »Blue Hour«.
Die Zeit zwischen Nacht und Tag, die Zeit der Zwischenwelt, in der alles zusammen fließt und sich vermischt, was sonst voneinander getrennt zu sein scheint oder nur getrennt wahrnehmbar ist.
Das Glück ist melancholisch, die Liebe tief erfüllend und schmerzhaft. Die »Blue Hour« klingt flüchtig, zärtlich, verletzlich, intensiv ... Sie ist einzigartig eigenartig.
Die Geräusche und das Schwarz der Nacht mischen sich in die Klänge und das Strahlen des Tages und zerfließen in eine graue Stille.
Die »Blue Hour« ist die Zeitzone der fiktiven Realität, in der Wirklichkeit und Traum ineinander zu realen Geschichten verschmelzen, um sich in der Fiktion zu verflüchtigen ... und sie besitzt eine mächtige Magie...
Isabelle und ich saßen in einem Frühlokal.
Fast alle der hier anwesenden Gäste waren Übriggebliebene der Nacht. Taxifahrer wie ich, Nachtschwärmer, Glücksspieler, Musiker, Zuhälter, Prostituierte, Dealer und andere Existenzen, die gemeinsam gut und gerne dreihundert Jahre Knast zusammenbrachten.
Henri saß uns gegenüber und trank, in sich versunken, seinen Kaffee.
Seine olivgrüne Parka-Jacke stauchte sich an ihm hoch und der halbgeöffnete Reißverschluss gab sein graues, bartloses Gesicht frei. Ich sah Henri nie ohne diese Jacke. Wahrscheinlich schlief und duschte er sogar in ihr.
Immer wieder fielen Henris Augen träge zu. Er war müde, aber eigentlich war er stets müde, und er sank immer wieder in sich zusammen.
Wenn er etwas sagte, was unerwartet und unregelmäßig vorkam, sprach er mit trägem und entrücktem Blick und wiederholt zufallenden Augenlidern.
Sein Frühstück stand vor ihm auf dem Tisch.
Es bestand aus zwei Brötchen, einem gekochten Ei, einem Glas-Schälchen mit Erdbeermarmelade, zwei Alu-Päckchen mit Butter und einer Scheibe Wurst. Henri döste tief in sich versunken vor sich hin.
Vor ihm dampfte aus einer dickwandigen Tasse sein Kaffee. Der weiße, blütenförmige Papierkranz auf der Untertasse war braunfleckig verfärbt.
Mein Frühstück stand ebenfalls unangetastet vor mir auf dem Tisch, was nur daran lag, dass ich meine Hände nicht zum Frühstücken frei bekam.
Ich war verliebt ... in Isabelle.
Frisch und unsterblich verliebt.
Eigentlich zum ersten Mal.
Und es fühlte sich wie die große Liebe an, trotz meiner bescheidenen Vergleichsmöglichkeiten.
Für Frisch-Verliebte ist es ein ungeschriebenes, aber unumstößliches Gesetz, – es gab hin und wieder, eigentlich mehr in der Vergangenheit, ein paar Freunde, die über die Liebe genau Bescheid wußten ... – daß man erstens mindestens unsterblich verliebt ist und zweitens Händchen halten muß.
Händchen halten nonstop … bis zum Hunger- oder Durst-Tod ... bis daß der Tod uns scheidet.
Also folgte ich diesem Gesetz der Liebe, hielt unsterblich verliebt Händchen und wartete glückselig lächelnd auf meinen Hungertod.
Ich verspürte schon Lust auf einen kleinen Schluck Kaffee.
Das ließ aber der Fahrplan der Liebe nicht zu.
Als nächstes das Küssen.
Das gehört zur Liebe dazu.
Die sinnvolle Ergänzung zum Händchen halten.
Anschließend das glückliche Aneinander-Lehnen der Köpfe.
Zwei Tische weiter brach zwischen zwei Nachtschwärmern ein lautstarker Streit aus. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, und der Grund war nicht aus der Situation heraus ersichtlich, es endete aber sehr schnell damit, dass sie mit den Fäusten auf einander losgingen und sich eine handfeste Prügelei lieferten.
Eigentlich ging es mich ja auch nichts an.
Wichtig war nur, die Konzentration fürs Tief-Verliebt-Sein hoch zu halten und die Sorge um meinen unberührt vor sich hin dampfenden Kaffee, dass er nicht verschüttet wurde, was aber angesichts des sich konstant vergrößernden Aktions-Radius der beiden Streithähne mehr als nur im Bereich des Möglichen lag.
Die Gastwirtin, eine dicke Frau mit schwarz gefärbten Haaren und schwarzer Hornbrille, schob erbost ihren mächtigen Hintern zwischen die beiden Prügelknaben und trieb sie, resolut und keinen Widerspruch duldend, durch den dunkelroten, schweren Samtvorhang zur Tür hinaus, auf die Straße.
Missmutig kehrte die resolute Wirtin an ihren Platz hinter der Theke zurück, um den übrigen friedlichen Gästen ihre Getränke zu zapfen oder einzuschenken.
Sie war chronisch wütend und eifersüchtig auf ihren Mann, ein charmanter Hallodri, der zu ihrem großen Missfallen auch dem eigenen Geschlecht nicht abgeneigt war und sie wegen seiner zahlreichen Affären mit anderen Männern in den Wahnsinn trieb.
Als Gast benahm man sich in ihrem Lokal besser nicht daneben, denn der Zorn auf ihren untreuen Gatten konnte gewaltig sein.
Ich hatte die Gunst des Zwischenfalls genutzt und ganz ohne Liebes-Verlust eine Hand frei bekommen. Als ich nach meiner Tasse langte, um endlich einen heißersehnten Schluck des mittlerweile lauwarmen Kaffees zu nehmen, öffnete Henri, wie von der Bewegung aufgeweckt, seine Augen weit und knurrte kurz und nur ein einziges Mal:
»Das wird nicht gut gehen mit Euch beiden! Mit Euren Sternzeichen wird das nicht klappen …«
Das saß!
Und ich wußte nicht einmal, warum überhaupt, aber es schnürte mir sofort die Kehle zu.
Sternzeichen …, niemals würde ich einen Astrologen oder ein Horoskop nach meiner Liebes-Tauglichkeit befragen, aber ausgerechnet Henris knappe Bemerkung hatte mich bis ins Mark getroffen.
Eine ganze Weile konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen, ich konnte an nichts anderes mehr denken als …
»Das wird nicht gut gehen mit Euch …«
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und legte meinen Arm ganz fest um Isabelle.
Ich spürte, wie ihr Herz pochte. Der Tod konnte einen jederzeit ereilen ..., aber sie auch?
Ich hätte vor Liebe zerplatzen können.
Isabelle erwiderte meine Umarmung, und aus dem diffusen Nichts einer Zwischenwelt heraus begann sich unaufhaltsam diese Eiseskälte der Angst und Einsamkeit zwischen unsere Hände zu drängen, gesteuert von vertraut lallenden Stimmen der Vergangenheit, ohne Chance zur Flucht.
»Henri ist nicht schuld,« dachte ich beim Aussteigen aus der Metro:
»... aber er hat leider Recht gehabt ...«