Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark

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Im gleißenden Licht der Sonne - Clare  Clark

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der Kunstbetrieb das Buch als trivial und unwissenschaftlich abgetan, als »vulgäres Melodram«. Die Kunstszene bevorzugte akademische Abhandlungen, knochentrockene Texte, die ihren Gegenstand so sicher erstickten, als würden sie einem Menschen ein Kissen aufs Gesicht pressen, aber für diese Leute hatte Julius nicht geschrieben. Er hatte für die Rachmanns geschrieben, so wie van Gogh für die gewöhnlichen Menschen gemalt hatte, um ihnen Augen und Herzen zu öffnen. Um die Bilder tanzen zu lassen.

      »Danke«, sagte er einfach, und als er seine Unterschrift aufs Papier setzte, berührte etwas sein Inneres.

      In den darauffolgenden Wochen dachte Julius oft an Rachmann. Eines Abends, er verließ gerade die Philharmonie, meinte er, ihn an der Ecke zur Potsdamer Straße zu sehen. Er hatte bereits ein Lächeln auf den Lippen, als sich der junge Mann umdrehte – und Julius sah, dass es überhaupt kein Mann war, sondern eine junge Frau mit Bob in einem Männeranzug, das steifkragige Hemd aufgeknöpft bis zum Brustbein, der Mund ein leuchtend scharlachroter Schlitz. Während er davoneilte, steckte sie zwei Finger in den Mund und pfiff. Der schrille Ton schien die Nacht zu zerschneiden.

      Berlin veränderte sich. Trotz ihrer beißenden Schnodderigkeit waren die Berliner bekannt dafür, dass sie hart arbeiteten und Zeit gleich Geld war, aber als das Geld immer wertloser wurde, erfasste eine Art Hysterie die Stadt. In Berlin hatte es schon immer private Klubs und verrauchte Kellerlokale gegeben, versteckte Orte, die verbotene Vergnügungen verhießen, doch jetzt ergoss sich das Licht der Bars und Tanzpaläste auf die Straßen und Gehsteige, auf denen es von Menschen nur so wimmelte. Es schien, als stehe plötzlich alles zum Verkauf: spindeldürre Jungs in Matrosenhosen, die Wangen mit Rouge beschmiert; Mädchen mit kaum verhüllten Brüsten in Negligés, kurzen Röckchen oder hohen Lederstiefeln. Paare, die sich unter Straßenlaternen gierig, schamlos abknutschten. Als gäbe es angesichts der Unsicherheit des Morgen nichts anderes mehr, als hemmungslos das Heute auszukosten.

      Zu Hause angekommen ließ eine schläfrige Frau Lang, die ein Gähnen unterdrücken musste, Julius herein. Eine einzige schwache Lampe erleuchtete die Eingangshalle. Niemand spielte Musik in voller Lautstärke, johlte auf der Treppe oder schüttete Champagner über die Balustrade der Galerie. Luisa und ihre Freunde hatten ihre Spuren im Haus hinterlassen wie Puppen, aus deren Löchern die Füllung rieselte, ihre Wege waren markiert mit achtlos abgelegten Pelzen, leeren Gläsern und leichten Schuhen, die umgekippt wie Betrunkene herumlagen. Ohne Luisa, ohne ihre kreischenden Kumpane war die Villa zu sich selbst zurückgekehrt, dezent und makellos.

      Frau Lang hatte im Arbeitszimmer das Kaminfeuer angezündet. Sie kannte seine Gewohnheiten, man musste es ihr nicht eigens auftragen. Im Schein der Flammen tanzte die Wand in orangefarbenen Tönen, und der blanke Nagel grinste Julius an wie der Kopf eines Wasserspeiers mit herausgestreckter Zunge. Als Julius die Lampe anschaltete, schrumpfte das Trugbild zusammen und sank in die Wand zurück. Böhm hatte wie versprochen die sofortige Rückgabe des van Gogh verlangt und zur Antwort von Luisas Anwälten nur höfliche Ausflüchte erhalten. Seither waren mehrere weitere Schreiben ausgetauscht worden. Eines, das Julius Böhm diktiert hatte, enthielt akribische Anweisungen zur Behandlung des Bildes, den dringlichen Hinweis, dass es in einer angemessenen Umgebung aufbewahrt werden müsse, keinem direkten Sonnenlicht und weder Trockenheit noch Feuchtigkeit ausgesetzt werden dürfe, da dies alles der empfindlichen Farboberfläche Schaden zufügen würde.

      Die Antwort von Luisas Anwalt war kurz. Seien Sie versichert, schrieb er, dass meine Klientin sich des Werts ihres Eigentums vollkommen bewusst ist.

      Der Glaser hatte endlich die Fensterscheibe im Arbeitszimmer ersetzt. Der Widerschein der Lampe schimmerte auf dem schwarzen Glas, ein van Gogh’scher Wirbel aus gelblichem Gold. Julius starrte auf die leere weiße Wand, und die Wut, die ihn packte, war ihm wie ein tröstlicher Gefährte.

      Es war Ende April, als Rachmann ihm schrieb und fragte, ob Julius bereit sei, sich noch einmal mit ihm zu treffen. In der Meierstraße standen die Kirschbäume in voller Blüte, Wolken aus Rosa und Weiß, und ein ehemals drei Mark teurer Laib Brot war nicht mehr unter eintausendfünfhundert Mark zu bekommen. Im Ton erlesen höflich, verhehlte der Brief nicht, wie aufgewühlt der junge Kunsthändler war. Ein mit seinem Vater befreundeter Buchhändler habe sich das Leben genommen, seiner Witwe bleibe nichts übrig, als alle Bestände zu verkaufen. Unter den Bücherstapeln habe Rachmann ein Konvolut Zeichnungen entdeckt. Ob Julius vielleicht einmal einen Blick darauf werfen wolle? Er habe der Familie versprochen zu helfen, so gut er könne.

      Bitte entschuldigen Sie meine Unverschämtheit, schrieb er, aber hätten Sie vielleicht morgen Nachmittag Zeit?

      Julius’ Terminkalender war bereits unerfreulich voll, eine Sitzung der Preisjury, der er vorstand, danach ein Treffen mit Geisheim, Redakteur bei der Tribüne, für die er regelmäßig eine Kunstkolumne verfasste. Er bat Fräulein Grüber, diese Verabredung um einen Tag zu verschieben. Zeitungsleute waren die Launen der Umstände gewohnt. Er würde sich mit Rachmann um fünf Uhr treffen.

      »Im Adlon?«, fragte die Stenotypistin, aber Julius schüttelte den Kopf. Seit auch noch die Japaner dem Kaufrausch verfallen waren, war das Adlon unerträglich geworden.

      »Nein, hier«, sagte er, und der Gedanke daran hob seine Stimmung.

      Rachmann wartete bereits, als Julius von der Sitzung nach Hause kam.

      »Eine halbe Stunde zu früh«, sagte Frau Lang missbilligend. »Ich habe ihn zum Warten in den Morgensalon geschickt. Hoffentlich hat er nicht Fräulein Grüber von ihrer Arbeit abgelenkt.«

      Sie führte Rachmann ins Arbeitszimmer. Julius beobachtete den jungen Mann dabei, wie er sich umsah, den Pissaro mit seinen schimmernden Silberbirken betrachtete, die Munch-Zeichnungen in ihrem schwarzen Rahmen, die kleine Figur von Claudel, die er als Ersatz für die Rosso-Büste auf dem Kaminsims aus seinem Schlafzimmer geholt hatte.

      »Was für schöne Dinge«, sagte Rachmann.

      Deshalb hast du mich doch ausgesucht, als weiteres Ausstellungsstück für dein verdammtes Museum! Luisas Stimme dröhnte ihm so schrill in den Ohren, als habe sich in der Zeit ein Riss aufgetan. Ein wenig unbehaglich zumute, bedeutete er dem jungen Mann, die Zeichnungen auf den Schreibtisch zu legen, aber Rachmann hatte sich zur nackten Wand gedreht und bemerkte Julius’ Geste nicht.

      »Sagen Sie mir, dass Sie es immer noch sehen«, murmelte Rachmann, und Julius hatte das Gefühl, durch den Schock wie ins Weltall geraten zu sein, in ein Nichts, wo eigentlich fester Boden sein sollte. Julius starrte den jungen Mann an, der lächelte, als sei nichts dabei, jemandem den Schädel zu öffnen und hineinzublicken. »Sagen Sie mir, dass Sie das Sehen nicht vergessen und dieses Zimmer Sie nach wie vor jeden Tag anrührt.«

      Julius zuckte die Achseln. Er hätte wissen müssen, dass der junge Mann nur die Werke meinte, die er hier vor Augen hatte. Er fühlte sich töricht und war zugleich ein wenig enttäuscht. »Aber ja, ich sehe sie noch«, erwiderte er, und Rachmann nickte mit einem Ausdruck amüsierter Skepsis. Erneut hatte Julius das verstörende Gefühl, der junge Mann könnte seine Gedanken lesen. »Allerdings vielleicht nicht so oft, wie ich es sollte«, räumte er ein.

      Rachmanns Lächeln wurde sanfter. »Da bin ich aber froh, dass Sie manchmal nicht hinsehen. Denn andernfalls kämen Sie nie zum Schreiben.«

      Julius ließ Rachmann die mitgebrachten Zeichnungen auf dem Schreibtisch ausbreiten. Die meisten waren unbedeutend. Doch eine unsignierte Rötelzeichnung ließ sein Herz schneller schlagen. Ein männlicher Akt in klassischer Pose, der Körperschwerpunkt auf der rechten Hüfte, die Rundung des muskulösen Bauchs als Gegenstück zur Ausbuchtung der rechten Gesäßbacke, der Inbegriff unbekümmerter Männlichkeit. Julius hätte den Zeichner ebenso wenig verwechseln können wie sein eigenes Spiegelbild.

      »Ein

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