Der Steinzeitmensch in uns - Wie uralte Programme uns unbewusst steuern, wir aber trotzdem zivilisiert sein können. Wolfgang Issel
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Das ist kein Wunder: Steigende Stressbelastung, gesellschaftliche Unsicherheiten, Klimawandel, ungeregelte Migration, globale Naturzerstörung aber auch der wachsende Einfluss sozialer Medien und künstlicher Intelligenz brechen über unser Gehirn herein, das für solch schnelle Entwicklungen schlicht nicht gemacht ist. Die Natur hat den Menschen über Millionen von Jahren hinweg nach dem Prinzip Versuch und Irrtum geschaffen, ihre Lebewesen mit riesiger Streuung in Eigenschaften und Fähigkeiten auf den Markt des Lebens geworfen und gewartet, wie sie sich bewähren. Das ist eine Methode, die zwar auf längere Zeiträume gesehen durchaus erfolgreich war, bei der heutigen schnellen Entwicklung aber immer mehr Schwächen zeigt.
Nun stehst du da, Mensch, und fragst dich: Aber ich bin doch intelligent, daran sollte es nicht liegen? Auch weiß ich ja, wie enorm anpassungsfähig mein Gehirn ist, wie schnell es neue Sichtweisen entwickelt, sich auf beliebige Aufgaben einstellt und sich aufrüstet. Also an der Hardware liegt es auch nicht. Was fehlt mir, um die Möglichkeiten, die mir mein Gehirn bietet, wirklich zum Tragen zu bringen? Warum kann ich Dinge, die mir schon lange bewusst sind, trotz aller Einsicht nicht intelligent in die Tat umsetzen?
Intelligenz hin oder her – die ist ja auch nur ein Werkzeug, wie ein Hammer beispielsweise. Einen zu haben, heißt noch lange nicht, damit den Nagel auf den Kopf zu treffen. Irgendwie gelingt es dir einfach nicht, dich ganz bewusst selbst zu steuern und Dinge zu lassen, die dir kurz- oder langfristig schaden. Du bist dein Gehirn, hast aber wenig Ahnung davon, welche eigenen Interessen deine althergebrachten Hirnareale verfolgen, was sie dir verschweigen, wie sie dich manipulieren und trotz aller Fehler glauben lassen, deine Entscheidungen seien wohlüberlegt und dein freier Wille.
Und nicht nur das: Bereits bei der alltäglichen Aufgabe, aus deiner Wahrnehmung das bestmögliche Verhalten abzuleiten, weist das Gehirn eine ganze Reihe entwicklungsbedingter Schwachstellen auf: Unter starker seelischer Belastung verfälscht es deine Wahrnehmung, macht dir Angst und schaltet den in seiner Entwicklungsgeschichte erst spät installierten Verstand aus. Dann läuft alles bauchgesteuert, sozusagen mit Uraltprogrammen auf Autopilot: Du verlierst den Überblick, Aufgaben überfordern dich, erscheinen dir zu komplex, langfristiges Denken und Handeln rücken in weite Ferne, aktuelle Problemstellungen werden aufgeschoben, bis sie zur Krise angewachsen sind, dann folgt in Panik eine Überreaktion auf niedrigem Niveau.
Willst du mit deinem dermaßen von Stimmungen abhängigen Gehirn wirklich der Unsicherheitsfaktor für die Natur und dich selbst bleiben? Immer wieder die gleichen Fehler machen? Weil du einfach nicht anders kannst? Weil deine Verhaltensprogramme völlig veraltet sind? Ist künstliche Intelligenz (KI) die Rettung? Roboter die uns betreuen, beraten oder gar dominieren? Ist es nicht möglich oder sogar notwendig, dass sich nicht nur die KI weiterentwickelt, sondern auch der Mensch?
In diesem Buch wird ein Denk-Modell für menschliches Verhalten vorgestellt, mit dem Ziel, transparent zu machen, wie entwicklungsbedingte menschliche Schwachstellen zustande kommen und wie diese mit Verstand und Vernunft zu vermeiden oder zumindest zu entschärfen wären. – Notfalls auch mithilfe der KI.
Intelligenz
Der menschliche Geist ist das Höchste, was die Natur jemals hervorgebracht hat: hoch entwickelte Technik, Internet, Smartphones, medizinische Fortschritte, Kultur, das erwachende Gefühl für die Natur … Das hat alles seinen Preis, sodass die Belastung am Arbeitsplatz und der Bedarf an Koordination in der Familie ebenfalls wächst und schließlich zum Stress wird. Es spricht auch nicht gerade für einen hohen Intelligenz-Level, sich mit einer weltweit wachsenden Bevölkerung die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu erlauben, ohne deren Endlichkeit zu berücksichtigen, mit dem Risiko, Mensch und Natur durch Klimawandel und Auseinandersetzungen um die immer knapper werdenden Ressourcen in Gefahr zu bringen.
Wird die natürliche Intelligenz des Menschen ausreichen, die ungelösten gesellschaftlichen und globalen Probleme zu lösen? Es gibt ohne Zweifel große Entwicklungsschritte, die aber an eine mentale Grenze stoßen: Irgendwie geht es nicht weiter, es fehlen Überblick und langfristiges Denken und Handeln, ganz abgesehen von einer schlüssigen Zukunftsvision. Wo wollen wir hin?
Im krassen Gegensatz zur Realität schwärmen manche von einem Geist, der so erhaben sei, so emergent, dass er durch banale Tätigkeiten von Neuronen und Synapsen nie und nimmer repräsentiert werden könne.
Alles nur Einbildung, hätte man früher gesagt. Einbildung ist, was das eigene Gehirn seinem Träger Mensch als angebliche Realität vorspiegelt. Ist diesem Trugbild zu trauen? Fern der Realität merkt der zu sehr Vergeistigte nicht, dass sein eigenes Gehirn ihn an der Nase herumführt, er zu lange versäumt hat, sich selbst zu reflektieren, sich an der Realität zu orientieren und sich einmal wieder richtig zu erden. Es ist aber auch verständlich, lieber weiter in einer eingebildeten rosaroten Blase leben zu wollen, als mit der Realität eine harte Landung zu riskieren …
Wir können nicht nur von Geist, Verstand und Vernunft sprechen. Gefühle haben schon deswegen einen weit höheren Stellenwert, weil der Mensch ohne seelisch tragende Gefühle gar nicht leben kann. Gefühle sind Signale des Organismus, wie es um ihn bestellt ist. Aber nur nach momentanem Gefühl und aus dem Bauch heraus zu agieren, ist keine gute Idee, dabei wird oft zu kurz gedacht, vielleicht übertrieben und das meist mit zu viel Flurschaden. Es ist auch ein gerüttelt Maß an Verstand und Vernunft erforderlich, die eigentliche Stärke des Menschen, worin er sich ja am meisten vom Tier unterscheidet. Ist also natürliche Intelligenz im Zusammenwirken von Gefühl und Verstand die Lösung der anstehenden Probleme? Wird das reichen oder ist tatsächlich die Hilfe einer künstlichen Intelligenz vonnöten, weil der Mensch aufgrund seiner oft grenzwertig geforderten althergebrachten Auslegung diese Unterstützung dringend braucht?
Wie kommt man zu solchen Fragen?
Sobald man an Programmen für menschenähnliche Roboter arbeitet und sich bei deren Auslegung am Menschen orientiert, muss man sich notgedrungen die Frage stellen, inwieweit sich die prinzipielle Arbeitsweise eines menschlichen Gehirns von der Steuerung eines menschenähnlichen Roboters unterscheiden sollte.
Humanoide Roboter sind in ihrem Verhalten dem Menschen nachempfunden und sollen vorgegebene Aufgaben erfüllen, z. B. Menschen im Altersheim informieren und unterhalten oder Patienten vor einer MRT-Untersuchung (Magnet-Resonanz-Tomografie) aufklären. Gerade wenn es sich um seelisch besonders belastende Situationen handelt, kommt es sehr auf eine einfühlende und beruhigende Ansprache an, die zukünftig mit digitaler Empathie erreicht werden soll.
Roboter werden von einer Software gesteuert, die sie befähigt, das ihnen Aufgetragene bestmöglich auszuführen. Sollte das in ähnlicher Weise auch für den Menschen gelten? Wenn ja, dann wäre der Roboter eben aus Metall, der Mensch aus Fleisch und Blut. Beide würden von Programmen und Algorithmen gesteuert. Könnte das sein? Und wenn ja, nach welchen Prinzipien würde ein menschlicher Algorithmus arbeiten? Das wollen wir herausfinden.
Was ist eigentlich ein Algorithmus?
Laut Wikipedia ist ein Algorithmus eine eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems. Es folgen weitere Bedingungen wie Lösung in endlich vielen, wohldefinierten Einzelschritten.
Diese mathematische Definition mag für die Bereiche Computer und Roboter gelten, will man das aber auf den Menschen übertragen, gibt es ein grundsätzliches Problem: Bei einem lebenden Organismus ist nichts eindeutig und schon gar nichts wohldefiniert. Bis auf ein paar Zwillinge gleicht kein Produkt dem