Letzte Erzählungen. William Trevor

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Letzte Erzählungen - William  Trevor

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man’s am besten anstellt, sich beschaffen, was beschafft werden muss, über die Runden kommen. Wo immer sie sich aufhielten, machten sie einen großen Bogen um das System. So nannten sie es zwar nicht, da sie das Wort nicht kannten; aber was es bedeutete, wussten sie und wussten, dass sie, wenn sie erst einmal in seine Fänge gerieten oder es auch nur zeitweise akzeptierten, ihrer Freiheit beraubt würden. Ihr unmittelbares Ziel war das nackte Überleben, in der Hoffnung, irgendwo könnte es ein Leben geben, das besser wäre als das, welches sie bisher gekannt hatten.

      Auch Pinsel und Terpentinersatz kauften sie, weil der Mann gesagt hätte, dass sie das alles benötigten, und Spachtelmasse, weil ihnen gesagt worden war, dass sie sich um den Putz kümmern müssten. Sie hatten noch nie ein Haus gestrichen und wussten nicht, was Putz war.

      Ihr Lieferwagen war verbeult, ein helles Blau, das in einem dunkleren Farbton leicht nachgebessert worden war, unversteuert und unversichert, obschon die üblichen Plaketten an der Windschutzscheibe klebten. In diesem Lieferwagen schliefen sie auch, zwischen Werkzeugen aller Art, die sie sich organisiert hatten, zwischen Bechern, Tellern, Spüle, Kasserolle, Bratpfanne, Lebensmitteln.

      In dem Dialekt, der ihre Sprache war, fragte der ältere Bruder, ob sie genügend Sprit hätten, um zu den Ruinen zu fahren, wo sie sich gerade eine Behausung bauten. Der jüngere Bruder, der am Steuer saß, nickte, und sie fuhren hin.

      In ihrem Schlafzimmer schloss Martina den Deckel der Gold-Flake-Dose und sicherte ihn mit einem Gummiband. Sie trat vom Schrankspiegel zurück und musterte sich kritisch. Sie war beschämt, wie sehr sie sich hatte gehen lassen; zwar war sie nicht ganz fettleibig, aber doch fast, ihre hellblauen Augen – früher ihr bestechendstes Merkmal – lagen halb verborgen in fleischigen Wülsten. Als sie das erste Mal auf das Gehöft kam, war sie in ihren Dreißigern gewesen; damals hatte sie noch auf Aussehen und Kleidung geachtet. Sie wischte sich den Lippenstift ab, der von Costigans grober Umarmung verschmiert war, als sie sich für ein paar Minuten allein mit ihm im Laden aufgehalten hatte. Sie richtete ihre Unterwäsche, die er in Unordnung gebracht hatte. Der Geruch des Ladens – eine Mischung aus Speck, Fliegenspray und den Hähnchen, die Costigan am Spieß briet – war schon vor Jahren von seiner Kleidung auf ihre übergegangen. »Ach, das ist nur der Laden«, pflegte sie zu sagen, wenn sie in der Küche danach gefragt wurde, ohne mehr preiszugeben.

      Sie waren entfernte Verwandte, lebten schon, seit seine Mutter vor zwölf Jahren gestorben war und sein Vater im Winter darauf, zusammen auf dem Gehöft. Ein anderer Verwandter hatte zu dieser Verbindung geraten, da Martina alleinstehend war und nur gelegentlich Arbeit fand. Andernfalls wäre ihr Cousin – denn sie hatten sich darauf geeinigt, dass sie Cousins waren – in ein Heim gebracht worden; und sie selbst hatte nur wenig zu verlieren, wenn sie auf einen Bauernhof käme, dessen Weideland aufgeteilt worden war und gegen jährliche Zahlungen verpachtet wurde und wo man hin und wieder ein weiteres Feld verkaufen konnte. Martinas Cousin, der schon von Geburt an behindert war, hatte für Martina den Vorzug einer vertraglichen Vereinbarung: Irgendwann würde sie erben, was ihm noch geblieben war. Oft vermuteten die Leute, er sei längst gestorben, die Leute in Carragh und die Leute aus der weiteren Umgebung, die den Bauernhof nie besuchten; wenn man mit ihnen redete, konnte man es geradezu spüren. Martina selbst erwähnte ihn nie von selbst, es sei denn, sie wurde auf ihn angesprochen. Es gab einfach nichts zu sagen, weil nichts sich verändert hatte, nichts, wozu sie sich hätte äußern können.

      Als sie nach unten kam, war er vor lauter Whiskey eingeschlafen, und er schlief durch, bis ihn um sechs Uhr Geschirrgeklapper und das Brutzeln des Pfannenfrühstücks weckte. Sie wollte, dass er sich an bestimmte Zeiten hielt, und richtete sich auch selbst danach. Den Wecker auf der Anrichte zog sie immer wieder auf; morgens und abends nach dem Radio gestellt, ging er auf die Minute genau. Als Erstes sammelte sie die Eier ein, die in der Nacht gelegt worden waren. Sobald sie den Frühstückstisch gedeckt hatte, holte sie ihren Cousin aus dem hinteren Zimmer in die Küche. Wenn er gefrühstückt und sie das Geschirr gespült hatte, machte sie die beiden Betten. An Tagen, an denen sie nach Carragh fuhr, verließ sie das Haus um Viertel nach zwei; das hatte sie sich so angewöhnt. Normalerweise war er um diese Zeit vor dem Herd eingeschlafen, es sei denn, er hatte einen Streit vom Zaun gebrochen. War das der Fall, konnte es den ganzen Tag so weitergehen.

      »Die Polen werden uns lästig fallen.« Weil in der Pfanne Leberscheiben brutzelten, musste sie die Stimme heben. Beim geringsten Geräusch – Geschirrklirren oder Kochgeräusche, das Klappern des Kesseldeckels – behauptete er, sie nicht hören zu können. Doch sie wusste, dass er es konnte.

      Auch jetzt sagte er, er könne sie nicht hören, aber sie ignorierte ihn. Er sagte, er wolle noch einen Schluck Whiskey, und auch das ignorierte sie.

      »Die werden uns schon nicht lästig fallen«, sagte er, »Jungs wie die.«

      Er sagte, sie seien sauber, man brauche sie nur anzuschauen. Er sagte, sie würden ihr Gesellschaft leisten.

      »Du bekommst doch kaum mal jemanden zu Gesicht, Martina. Das weiß ich, Mädel. Weiß ich das nicht schon die ganze Zeit?«

      Sie schlug das erste Ei in die Fettlache, die sich beim Kippen der Pfanne gebildet hatte. Sie konnte mit einer Hand ein Ei aufschlagen und den Inhalt in die Pfanne geben. Jeder bekam zwei.

      »Es braucht einen Anstrich«, sagte er.

      Sie ließ den Satz unkommentiert. Sie sagte nicht, dass er das gar nicht wissen könne; wie sollte er, da sie es nicht mehr schaffte, ihn nach draußen auf den Hof zu bringen? Das hatte sie schon seit Jahren nicht mehr geschafft.

      »Er tut mir gut«, sagte er. »Der alte Tropfen Whiskey.«

      Sie stellte das Radio an, und es erklang Musik aus früheren Zeiten.

      »Furchtbares Zeug«, bemerkte er.

      Auch diesen Satz ließ Martina unkommentiert. Als die Leberscheiben gebräunt waren, hob sie sie aus der Pfanne und tat sie zusammen mit den Eiern auf die Teller. Sie brachte ihn zum Tisch. Er habe schon genug Whiskey getrunken, sagte sie, als er um mehr bat, und in der Küche wurde kein Wort mehr über das Thema verloren.

      Als sie gegessen hatten, brachte sie ihn zu seinem Bett, aber eine Stunde später schrie er, und sie ging zu ihm. Sie dachte, es sei ein Traum, aber er sagte, es seien seine Beine. Sie verabreichte ihm Aspirin und Whiskey, denn wenn er beides bekam, ließen die Schmerzen nach. »Komm ins Bett und wärme mich«, flüsterte er, und sie sagte nein. Sie fragte sich oft, ob die Schmerzen ihn verrückt gemacht hatten, ob sein Gehirn angegriffen war, wie so viele andere Körperteile auch.

      »Weshalb haben sie dich Martina genannt?«, fragte er immer noch flüsternd. Der Name eines Mannes, sagte er; weshalb haben sie das getan?

      »Ich hab dir davon erzählt.«

      »Du hast mir viel erzählt.«

      »Jetzt schlaf.«

      »Ist die Pacht für das Weideland schon eingegangen?«

      »Jetzt schlaf weiter.«

      Die Malerarbeiten begannen an einem Dienstag, denn am Montag hatte es unablässig geregnet. Der Dienstag war schön, sonnig, mit einer sanften Brise, die die Farbe trocknen würde. In Carragh liehen die Anstreicher zwei Leitern aus und verbrachten den Tag damit, die Stellen zu spachteln, wo der Putz abgebröckelt war.

      Am Vormittag brachte die Frau des Hauses, von der sie annahmen, dass sie die Frau des verkrüppelten Mannes war, Scones und Tee nach draußen, und als sie sie fragte, was für sie – morgens und nachmittags – der beste Zeitpunkt sei, zeigten sie auf die Uhr des älteren Bruders: elf und halb vier. Punkt halb vier brachte sie ihnen Kekse und Tee. Sie blieb eine Weile und

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