Letzte Erzählungen. William Trevor

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Letzte Erzählungen - William Trevor страница 5

Letzte Erzählungen - William  Trevor

Скачать книгу

Ihr Lächeln war müde, aber sie hatte Geduld mit ihnen, wenn sie etwas nicht verstanden. Als sie wieder an die Arbeit gingen, sah sie ihnen zu, und als sie fragten, was sie von ihnen halte, antwortete sie, sie seien so gut wie nur irgendwer. Am Abend hatten sie die Ausbesserung des Putzes abgeschlossen.

      Für Mittwoch war Regen vorhergesagt, und tatsächlich fiel am Nachmittag ein starker Regenguss, aus dem Westen herbeigeweht von einem bedrohlichen Sturm. Die Arbeit konnte nicht fortgesetzt werden, und die Anstreicher setzten sich in ihren Lieferwagen und warteten auf besseres Wetter. Zuvor, als sie noch arbeiten konnten, hatten sie im Haus laute Stimmen gehört, ein heftiger Streit, der von Schweigen unterbrochen wurde, bevor er wieder von neuem begann. Der ältere, dessen Englisch besser war, erklärte seinem Bruder, es gehe um Geld und um den Zustand der Ländereien. »Für meine Rente bin ich gut genug«, wiederholte der verkrüppelte Mann beharrlich. »Bin ich nicht nur wegen der paar Kröten hier, die ich einbringe?« Bald drehte sich der ganze erhitzte Wortwechsel um die Rente: Sie werde für Dinge ausgegeben, für die sie nicht ausgegeben werden sollte, dem verkrüppelten Mann bleibe gar nichts für sich. Die Anstreicher verloren das Interesse, aber die Stimmen sprachen immer weiter und waren sogar dann noch zu hören, wenn einer von ihnen den Lieferwagen verließ, um den Himmel zu betrachten.

      Am späten Nachmittag gaben sie die Warterei auf und fuhren nach Carragh. Im Farbengeschäft fragten sie, wie lang das schlechte Wetter anhalten werde, und erhielten die Auskunft, dass die Vorhersage für etliche Tage nicht gut sei. Sie brachten die Leitern zurück und zahlten die Leihgebühr nur widerwillig, da sie keinen Gebrauch von ihnen hatten machen können. Es war ein Rückschlag, aber Rückschläge waren sie gewohnt, und als sie sich, abermals im Farbengeschäft, nach Arbeit erkundigten, erfuhren sie, dass ein Bauunternehmer, der im Stich gelassen worden war, für den Umbau einer stillgelegten Mühle – eine nur wenige Meilen entfernte, überdachte Baustelle – Leute einstellte. Schließlich sagte der Vorarbeiter zu, sie auf dem Bau zu beschäftigen.

      Regen zeigte Wirkung auf den verkrüppelten Mann. Wenn es regnete, wollte er einfach nicht aufhören zu reden, denn dann war auch sie ans Haus gefesselt, und wenn sie das Thema Rente erschöpft hatten, fing er wieder mit der Heiligen an, nach der sie benannt war. »Erzähl’s mir.« Diese seine häufigste Bitte wiederholte er immer wieder, und wenn es Abend war und er schon ganz benebelt vom Whiskey, antwortete sie nicht; tagsüber jedoch beschwatzte er sie, und jede Minute zog sich zäher in die Länge als die Minuten davor.

      An dem Morgen, als die Anstreicher mit ihren Leitern davonfuhren, versuchte er es erneut. Sie rüttelte gerade die Schlacken aus dem Herd, damit das Feuer glühte. Sie kniete vor ihm und konnte spüren, wie er sie auf seine übliche Art musterte. Du wirst dich besser fühlen, wenn du mir von deiner Heiligen erzählst, sagte er, du wirst den Trost der Heiligkeit verspüren. »Erzähl’s mir«, sagte er.

      Sie trug den Aschekasten auf den Hof, ohne zuvor etwas gesagt zu haben. Der Regen durchnässte ihre Schultern und tropfte ihr über Gesicht und Hals, strömte über ihre Arme und den schwarz-grauen Stoff ihres Kleides, lief zwischen ihren Brüsten hinab. Als sie wieder in der Küche war, kam sie seinem Wunsch nach, erzählte ihm, was er längst wusste: dass in den Adern der heiligen Martina von Rom kein Blut, sondern heilige Milch geflossen war, dass Papst Urban ihr zu Ehren eine Kirche hatte erbauen lassen, dass er die Hymnen komponiert hatte, die während ihres Offiziums im Römischen Brevier gesungen wurden, und dass sie durchs Schwert umgekommen war.

      Als sie ausgeredet hatte, machte er ihr ein Kompliment. Dabei stand sie hinter ihm, da sie ihn nicht anschauen wollte. Der Regen, den sie mit hereingebracht hatte, tropfte auf die zerbrochenen Steinplatten.

      Die Anstreicher waren länger als gedacht mit dem Umbau der Mühle beschäftigt, obwohl das Wetter schöner geworden war. Die Bezahlung war besser, und ihnen wurde weitere Arbeit in Aussicht gestellt; alles in allem vergingen neun Tage, bevor sie zum Gehöft zurückkehrten.

      Sie trafen früh ein, sprachen leise und arbeiteten zügig, um die verlorene Zeit aufzuholen, besorgt, man werde sich beschweren, weil sie nicht schon früher zurückgekehrt waren. Um acht Uhr war fast die gesamte Stirnwand grundiert.

      Im Haus war es still und blieb es auch, doch aus einem der Schornsteine stieg eine Rauchfahne auf. Die Anstreicher erinnerten sich, dass sie auch schon während der anderthalb Tage, die sie zuvor mit dem Haus verbracht hatten, Rauch gesehen hatten. Der Wagen stand da, zu lang für den Schuppen, das Heck ragte heraus, und auch daran erinnerten sie sich. Während sie an der Vorderseite des Hauses arbeiteten, lauschten sie nach Schritten im Hof, rechneten sie doch mit dem Tee, der ihnen vormittags serviert worden war, doch es kam kein Tee.

      Als der ältere Bruder am Nachmittag zum Lieferwagen ging, um die Pinsel auszutauschen, stand das Tablett mit dem Tee auf der Motorhaube, und er trug es zu den Leitern.

      In den darauffolgenden Tagen wurde dies zur Routine. Die Stille, die sich im Haus ausgebreitet hatte, wurde weder von einem Radio noch von Stimmen durchbrochen. Der Tee kam ohne Beilagen und zu unterschiedlichen Zeiten, ganz so, als sei die Absprache, elf Uhr und halb vier, vergessen worden. Als sie die Leitern in den Hof trugen, wurde das Tablett auf der Schwelle einer Tür an der Seitenwand des Hauses abgestellt.

      Manchmal, nicht oft, erhaschten die Anstreicher, wenn sie durch die Fenster schauten, einen flüchtigen Blick auf die Frau, von der sie annahmen, dass sie die Frau des verkrüppelten Mannes war, mit dem sie Whiskey getrunken und die Vereinbarung über die Malerarbeiten per Handschlag besiegelt hatten. Zuerst fragten sie sich, ob die Frau, die sie dort sahen, eine andere sein könnte, obwohl sie ähnlich gekleidet war. Darüber unterhielten sie sich; sie waren bestürzt, wie fremd das Haus wirkte, zu dem sie zurückgekehrt waren, und rätselten, ob eine so jähe Veränderung in diesem Land üblich war und oft vorkam.

      Durch die schmutzigen Scheiben eines Fensters im Obergeschoss sah der jüngere Bruder die Frau zusammengekrümmt vor einer Frisierkommode sitzen, den Kopf auf die Arme gelegt, als schlafe oder weine sie. Während er sie noch mit hemmungsloser Neugier beobachtete, schaute sie auf und starrte ihn an, ohne den Blick abzuwenden.

      Noch am selben Tag, kurz bevor sie ihre Arbeit beendeten, sahen die Anstreicher, während sie von den Fensterrahmen in der Küche die letzten Reste alter Farbe abkratzten, dass der verkrüppelte Mann nicht mehr in seinem Sessel am Herd saß, und es wurde ihnen bewusst, dass sie, seit sie nach dem Regenguss zurückgekehrt waren, seine Stimme nicht mehr gehört hatten.

      Martina wusch die zwei Tassen und Untertassen sowie die Teelöffel ab, an denen Spuren von Zucker klebten, weil sie, noch nass vom Tee, in die Zuckerdose getaucht worden waren. Sie wischte über das Tablett, trocknete es ab und hängte das feuchte Geschirrtuch auf die Leine in der Spülküche. Sie wollte nicht denken, nicht einmal wissen, dass sie da waren, dass sie gekommen waren. Sie wollte sie nicht sehen, so wie sie sie schon gestern den ganzen Tag gemieden hatte. Sie hängte die Tassen an die Haken, stellte die Untertassen zu den anderen und verstaute die Zuckerdose im Schränkchen unter der Spüle.

      Im Hof klapperten die Leitern, die für die Nacht weggeräumt wurden, um nicht die Tinker in Versuchung zu führen. Sie konnte keine Stimmen hören und bezweifelte, dass sie sich unterhielten. Als sie einige Abende zuvor aufgebrochen waren, hatten sie an die Hintertür geklopft, aber sie hatte nicht reagiert.

      Sie lauschte auf Schritte, die zur Tür kämen, doch es kamen keine. Sie hörte, wie der Lieferwagen wegfuhr. Sie hörte die Gänse, die von den Gewässern bei Dole über sie hinwegflogen: Es war ihre Aufbruchszeit. Einmal war der Lieferwagen zurückgekommen, weil sie etwas vergessen hatten, und sie hatte die Eier für den Abend eingesammelt und war auf die Felder gegangen, bis er wieder wegfuhr. Sie wartete noch eine Viertelstunde in der Küche, den Blick auf die Zeiger der Uhr auf der Anrichte gerichtet. Dann öffnete sie die Vorder- und die Hintertür sowie die Küchenfenster, um frische Luft ins Haus zu lassen.

      Die Behausung in den Ruinen

Скачать книгу