Unter Freunden. Udo Staber

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Unter Freunden - Udo Staber

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Es seien schließlich unsere Freunde, und Freunde zeigen Verständnis für alles.

      Oh, bitte kein Streit, nicht jetzt, wo ich mich doch so auf dieses Abendessen freue. Ich habe ihn nur um einen Vorschlag gebeten, aber er glaubt wohl, ich hätte ihn gemaßregelt. Vielleicht habe ich nur zu laut geredet, oder ihm passt das Wort Verspätung nicht. Er sagt, er muss kurz halten, er muss auf die Toilette. „Aber Detlef“, sage ich, „könntest du nicht warten, bis wir im Restaurant sind?“ Ich sage das so, dass es nicht wie ein Vorwurf klingt, doch er antwortet nicht. Ich lege meine Hand auf seinen Arm. „Habe ich was Falsches gesagt, Detti?“ Er reagiert nicht, er schaut stur auf den Verkehr vor uns. Wenn ich sein Gesicht sehen könnte, würde ich vielleicht sehen, dass er eine Schnute zieht. Rainer hat auch oft eine Schnute gezogen, aber bei ihm war es mehr ein Ausdruck von Freudlosigkeit als von Kränkung. „Du musst ja nicht so furchtbar schnell fahren“, sage ich und berühre ganz sanft seine Schulter. Eisiges Schweigen, bis er einen Rastplatz sieht, auf den er abbiegt und dann den Wagen direkt neben dem Toilettenhäuschen abstellt. Ohne ein Wort zu sagen, steigt er aus. Ich könnte mir die Beine vertreten, wenn ich wüsste, wie lange er weg sein wird. Aber ich bleibe lieber im Auto sitzen, damit wir sofort weiterfahren können, wenn er zurückkommt. Es dauert mindestens fünf Minuten, bis er am Eingang erscheint und zweimal um das Toilettenhäuschen herumläuft, warum auch immer, bevor er zum Auto zurückkehrt.

      Ich ahne, was mir jetzt bevorsteht. Statt weiterzufahren, wird er eine Weile schweigend dasitzen, die Hände auf dem Schoß und den Zündschlüssel in einer Hand. Und genauso ist es. Eisige Stille, kein Schnaufen, nichts. Er würdigt mich keines Blickes. Dann, nach zwei oder drei Minuten, kommt plötzlich das Donnerwetter. Ich soll doch auch mal seine Bedürfnisse in Betracht ziehen, schreit er mich an. Er sei immer nett zu mir und zu meinen Freunden, und er kümmere sich ganz rührend um mich, also wäre es doch schön, wenn ich wenigstens ab und zu auch mal nach ihm fragen würde. Ich hätte ihn gedrängt, loszufahren, er sei sogar viel schneller gefahren als sonst, was bei diesen Straßenverhältnissen knapp über Null nicht ungefährlich sei, das solle ich mir doch bitte vor Augen führen. Mir zuliebe habe er sich mit der Krawatte keine Zeit genommen, und das habe er jetzt davon. In der Eile habe er die falsche Krawatte erwischt, wie er jetzt im Toilettenspiegel festgestellt habe. „Du hast mir den ganzen Abend versaut“, brüllt er. „Wo ich mich doch so gefreut habe, deine Freunde kennenzulernen.“

      Ich muss jetzt die passenden Worte finden. „Aber das hat doch nichts mit deiner Krawatte zu tun, du kannst dich doch immer noch freuen“, sage ich.

      „Nein, das kann ich nicht. Ich kann nicht einfach eine entspannte Miene aufsetzen und so tun als sei nichts geschehen.“

      Ich sitze da wie ein gegossener Pudel und frage ihn ganz sachte, warum eine Krawatte für ihn so wichtig sei. „Es ist doch nur eine Krawatte, Detti.“

      „Nein, eben nicht. Es ist nicht nur eine Krawatte. Es geht um Gefühle, zur Abwechslung mal meine Gefühle. Ich denke an dich, ich sorge mich um dich. Sag mir etwas, das ich nicht für dich tun würde. Aber du, hast du denn gar kein Gespür für meine Gefühle?“

      „Aber Schatz, eine Krawatte ist doch nur ein Stück Stoff, das hat doch nichts mit Gefühlen zu tun. Und auch wenn diese Krawatte hier nicht die richtige ist, das macht doch nichts.“

      „Das macht sehr wohl was. Hörst du denn überhaupt nicht, was ich sage?“

      „Doch, ich höre, aber Regine ist es egal, welche Krawatte du trägst. Ich kenne sie. Mit oder ohne Krawatte, sie will dich kennenlernen so wie du bist. Wir sind unter Freunden. Die werden alle darüber hinwegsehen.“

      „Aber ich will nicht darüber hinwegsehen“, schreit er. „Ich kann doch so nicht daherkommen. Wenn es um eine Bluse von dir ginge, würden wir jetzt immer noch zu Hause sein und du würdest noch eine Stunde in deinem Schrank herumwühlen wie eine Irre. Du weißt, wie wichtig mein Aussehen ist in meinem Beruf, wenn ich mit meinen Klienten zusammen bin. Wer will sich schon von jemand beraten lassen, der schlecht angezogen ist?“

      „Aber du bist doch gut angezogen. Ich wette, Regines Freund und die anderen werden sich einen Dreck um deine Krawatte scheren.“

      „Das sagst du jetzt. Vor ein paar Stunden hast du ganz anders geklungen. Ich habe sehr wohl die Signale in deinen Worten verstanden, ich bin ja nicht schwerhörig. Gerade bei einem, der sich in der Kunstwelt auskennt, gerade bei dem ist tadelloses Aussehen von Bedeutung. Architekten sind so, das weiß ich, ich habe schon öfters mit Architekten zu tun gehabt. Was glaubst du denn, warum er mit einer Raumdesignerin zusammenlebt? Bestimmt nicht, weil sie beide gern Müll trennen. Ich habe mich weiß Gott bemüht, und jetzt sagst du, ihrem Freund ist es egal, wie ich angezogen bin.“

      „Es ist ihm vielleicht nicht egal, aber ob du Hermann mit einer roten oder blauen Krawatte gegenüber sitzt, ist für ihn bestimmt genauso wenig ausschlaggebend, wie wenn du deinen Kunden eine Wohnung in einem weißen oder blauen Hemd zeigst.“

      „Hallo, willst du damit sagen, ich weiß nicht, wie man Wohnungen verkauft?“

      „Nein, so habe ich das nicht gemeint.“

      „Aber so hast du es gesagt. Du hast gesagt, meinen Klienten ist es egal, wie ich angezogen bin. Aber das ist es eben nicht! Du tust so, als hätte ich dir noch nie von meiner Arbeit erzählt, auf was ich in meinem Beruf alles achten muss. Eigentlich sollte ich jetzt daheim sein und mir überlegen, wie ich mit meinem Kunden morgen Vormittag vorgehen soll. Stattdessen nehme ich mir die Zeit und geh mit dir zu deinen Freunden, denen es offenbar egal ist, wie ich daherkomme, oder ob ich überhaupt komme.“

      Ich hab’s geahnt, als ich sagte, wir würden zu spät kommen. Jetzt glaube ich fast, er will absichtlich zu spät kommen. Ich weiß nur nicht, was er damit bezwecken will. Das Ganze macht gar keinen Sinn. Er will bei meinen Freunden einen guten Eindruck hinterlassen, aber er nimmt ein Zuspätkommen in Kauf, weil er mir eine Lektion erteilen will. Ist es das? Ich weiß nicht, warum ich mir das gefallen lasse. Jede andere würde ihn jetzt geradebügeln, aber ich entschuldige mich und sage, „Tut mir leid, Detti, ich hab das so nicht gemeint, glaub mir, aber jetzt fahr doch bitte. Wenn wir hier noch länger herumsitzen, sind wir um Mitternacht noch nicht in Tübingen.“

      „Glaubst du wirklich, ich will in dieser miesen Stimmung jetzt noch Autofahren?“, brüllt er mich an. Ich bin mir selbst ein Rätsel, ich beginne mich jetzt doch tatsächlich schuldig zu fühlen, obwohl er diesen Aufruhr angezettelt hat. Von einer Minute zur anderen ist er ein völlig anderer Mensch geworden. Das hat er schon öfters so gemacht. Den ganzen Tag über ist er furchtbar nett zu mir, und dann, kurz bevor wir ins Bett gehen, fängt er wegen irgendeiner Kleinigkeit Streit an, weil ich zum Beispiel vergessen habe, die Stehlampe im Wohnzimmer auszuschalten, oder weil ich ihn nicht gefragt habe, welches Programm er im Fernsehen anschauen möchte. Ist das denn normal? Und ich bin so blöd und bemühe mich um Gegenargumente, die ihn nicht beleidigen, wobei ich weiß, dass es in dieser Situation solche Argumente gar nicht gibt. Ich will rational mit ihm reden, ihn beschwichtigen, wo ich doch einfach still sein könnte. Wenn er streiten will, und ich wehre mich nicht und bringe nichts gegen seine Argumente vor, sondern lasse ihn einfach reden, dann muss es auch keinen Streit geben, dann verläuft alles im Sand, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. So einfach könnte das sein. Aber so einfach ist das nicht, einfach nichts sagen. Ich will auch nicht wie eine Person rüberkommen, die immer nur frotzelt. Ich sage nochmal: „Tut mir leid, Schatz, ich wollte dich wirklich nicht drängen. Fahr jetzt einfach weiter, so schnell oder so langsam wie du willst. Die fangen bestimmt nicht um sieben mit dem Essen an. Der Tisch ist für sieben bestellt, das heißt, das Essen wird um acht serviert, frühestens. So ist das in einem feinen französischen Restaurant. Man setzt sich nicht einfach an den Tisch und fängt fünf Minuten danach mit dem Essen an. Und ob wir jetzt beim Aperitif dabei sind oder nicht, das ist unseren Freunden bestimmt nicht so wichtig. Hauptsache,

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