Wir müssen über Rassismus sprechen. Robin J. DiAngelo

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Wir müssen über Rassismus sprechen - Robin J. DiAngelo

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bewusste Abneigung gegen andere hegen, dann räume ich ein, dass es beleidigend ist, Menschen, die ich gar nicht kenne, als rassistisch zu bezeichnen. Ich stimme auch zu, dass nach dieser Rassismusdefinition Leute, die gegen Rassismus sind, keine Rassisten sind. Allerdings verwende ich diese Definition des Rassismus nicht und behaupte auch nicht, dass Sie unmoralisch sind. Wenn Sie offen für meine Argumentation bleiben, werden Sie bald erkennen, dass sie sinnvoll ist.

      Angesichts der hier dargelegten Herausforderungen rechne ich damit, dass Weiße beim Lesen dieses Buches zuweilen Unbehagen empfinden werden. Dieses Gefühl mag ein Zeichen sein, dass es mir gelungen ist, den Status quo, der in unseren Rassenbeziehungen herrscht, zu erschüttern. Und genau das ist mein Ziel. Der gegenwärtige Zustand ist für weiße Menschen bequem, und solange wir an dieser Bequemlichkeit festhalten, werden wir in den Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe keine Fortschritte machen. Entscheidend für den Fortschritt ist, wie wir mit unserem Unbehagen umgehen. Wir können es als Ausstieg nutzen – wir können dem Überbringer der Botschaft die Schuld geben und die Botschaft ignorieren. Oder wir können es als Einstieg nutzen und fragen: Warum irritiert es mich? Was würde es für mich bedeuten, wenn es wahr wäre? Wie verändert diese Sicht mein Verständnis der Rassendynamik? Wie kann mein Unbehagen dazu beitragen, mir klarzumachen, dass meine Ansichten teils auf ungeprüften Unterstellungen basieren? Ist es möglich, dass es Rassendynamiken gibt, die ich gar nicht wahrnehme, einfach weil ich weiß bin? Bin ich bereit, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen? Und wenn ich dazu nicht bereit bin, warum nicht?

      Wer dies liest und immer noch Einwände vorbringt, warum er oder sie anders ist als andere Weiße und warum nichts von alledem auf sie oder ihn zutrifft, sollte kurz innehalten, durchatmen und die oben aufgeführten Fragen noch einmal durchgehen. Wenn wir die Empfindlichkeit Weißer durchbrechen wollen, müssen wir die Fähigkeit entwickeln, das Unbehagen auszuhalten, das Unbehagen des Nichtwissens, der Verunsicherung und der Demut in Bezug auf Rassenverhältnisse. Als Nächstes müssen wir begreifen, dass die Kräfte der Sozialisation ständig am Werk sind. Die Unfähigkeit, diese Kräfte zu erkennen, führt unweigerlich zu Widerstand und Abwehrreaktionen der weißen Fragilität. Zur Stärkung unserer diesbezüglichen Belastbarkeit, die unserer Empfindlichkeit entgegenwirkt, müssen wir über unsere gesamte Identität nachdenken – und besonders über unsere Gruppenidentität als »Rasse«. Für weiße Menschen heißt das zunächst, sich damit auseinanderzusetzen, was es bedeutet, weiß zu sein.

      Kapitel 2

      Rassismus und White Supremacy

      Noch immer glauben viele, zwischen »Rassen« bestünden eindeutige biologische und genetische Unterschiede. Diese biologischen Grundlagen seien für sichtbare Unterschiede wie Hautfarbe, Haarstruktur und Augenform und für Merkmale verantwortlich, die wir ebenfalls objektiv zu sehen meinen, wie Geschlecht oder sportliche, mathematische oder sonstige Fähigkeiten. Die Vorstellung, »Rasse« sei eine biologische Tatsache, macht es uns einfach zu glauben, viele der gesellschaftlichen Spaltungen, die wir erleben, seien naturgegeben. Aber »Rasse« ist ebenso wie Gender ein gesellschaftliches Konstrukt. Die Unterschiede, die wir sehen – wie Haarstruktur oder Augenform – sind rein äußerlich und aus geographischer Anpassung entstanden.[3] Unter der Haut gibt es keine biologischen »Rassen«. Die äußeren Merkmale, nach denen wir sie definieren, sind unzuverlässige Indikatoren für genetische Variationen zwischen zwei Menschen.[4]

      Der Irrglaube, »Rasse« und die damit verknüpften Unterschiede seien biologisch begründet, ist tief verwurzelt. Um dagegen anzugehen, müssen wir sowohl die sozialen und wirtschaftlichen Interessen verstehen, die die Wissenschaft antrieben, die Gesellschaft und ihre Ressourcen nach »Rassen« zu organisieren, als auch die Gründe, warum diese Ordnungen sich so hartnäckig halten.

      Die gesellschaftliche Konstruktion von »Rasse« in den Vereinigten Staaten

      Freiheit und Gleichheit – ungeachtet der Religion oder der Klassenzugehörigkeit – waren radikal neue Ideen, als die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet wurden. Aber ihre Wirtschaft basierte auf der Verschleppung und Versklavung von Afrikanern, der Vertreibung und dem Genozid an indigenen Völkern und auf der Annexion mexikanischer Territorien. Zudem brachten die eintreffenden Siedler ihre eigene kulturelle Konditionierung und zutiefst verinnerlichte Herrschafts- und Unterwerfungsmuster mit.[5]

      Der Widerspruch zwischen der erhabenen Gleichheitsideologie und der grausamen Wirklichkeit des Genozids, der Versklavung und der Kolonisierung musste irgendwie aufgelöst werden. Daher wandten sich Thomas Jefferson (der selbst Hunderte versklavter Menschen »besaß«) und andere an die Wissenschaft. Jefferson vermutete natürliche Unterschiede zwischen den »Rassen« und forderte die Wissenschaftler auf, sie zu finden.[6] Wenn die Wissenschaft belegen könnte, dass schwarze Menschen von Natur aus unterlegen seien (die indigenen Völker betrachtete er lediglich als kulturell mangelhaft, was sich beheben ließe), dann bestünde kein Widerspruch zwischen unseren erklärten Idealen und unserer tatsächlichen Praxis. Selbstverständlich standen hinter der Rechtfertigung von Sklaverei und Kolonisierung enorme wirtschaftliche Interessen. Die »Rassenkunde« war von diesen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen getrieben, die schließlich zur Einführung kultureller Normen und gesetzlicher Regelungen führten, die Rassismus und die privilegierte Stellung der als weiß definierten Menschen legitimierten.

      Anknüpfend an Arbeiten europäischer Forscher, machten sich amerikanische Wissenschaftler daher auf die Suche nach dem Beweis für die vermeintliche Unterlegenheit nicht angelsächsischer Menschengruppen. Wie stark bereits die Fragestellung die Untersuchungsergebnisse prägt, zeigt sich daran, dass die Wissenschaftler nicht etwa fragten: »Sind Schwarze (oder andere) unterlegen?« Vielmehr fragten sie: »Warum sind Schwarze (und andere) unterlegen?« So wurden die von Jefferson unterstellten Unterschiede zwischen den »Rassen« innerhalb nicht einmal eines Jahrhunderts zu einer weithin akzeptierten wissenschaftlichen »Tatsache«.[7]

      Die Vorstellung »rassischer« Unterlegenheit wurde entwickelt, um Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Es war nicht etwa der Glaube an »rassische« Unterlegenheit, der zur Ungleichbehandlung führte. Auch nicht die Angst vor dem Andersartigen. Ta-Nehisi Coates stellt fest: »Rasse ist das Kind des Rassismus, nicht seine Mutter.«[8] Er meint, dass wir Menschen zunächst wegen ihrer Ressourcen, nicht wegen ihres Aussehens ausgebeutet haben. Zuerst kam die Ausbeutung und dann folgte die Ideologie ungleicher »Rassen«, um diese Ausbeutung zu rechtfertigen. Ebenso erklärt der Historiker Ibram X. Kendi in seinem preisgekrönten Werk Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika: »Die Nutznießer von Sklaverei, Segregation und Masseninhaftierung haben rassistische Vorstellungen produziert, wonach es sich für schwarze Menschen gehört oder wonach sie es verdienen, versklavt zu werden, nicht dort zu wohnen, wo Weiße wohnen, oder in einer Gefängniszelle zu vegetieren. Die Konsumenten dieser rassistischen Ideen wurden dazu gebracht zu glauben, dass etwas mit schwarzen Menschen nicht stimmt – nicht etwa dazu, eine Politik anzuzweifeln, die Schwarze versklavt, unterdrückt und einsperrt.«[9] Kendi argumentiert im Weiteren, wenn wir wirklich glauben, dass alle Menschen gleich seien, könne die Ungleichheit der Lebensbedingungen nur das Ergebnis systemischer Diskriminierung sein.

      Die Wahrnehmung von »Rasse«

      »Rasse« ist eine sich entwickelnde gesellschaftliche Idee, geschaffen, um Ungleichheit zu legitimieren und die Privilegien Weißer zu schützen. Der Begriff »weiß« tauchte im Kolonialrecht erstmals im ausgehenden 17. Jahrhundert auf. Bei der Volkszählung in den Vereinigten Staaten 1790 wurde die Bevölkerung aufgefordert, ihre »Rasse« anzugeben, und 1825 bestimmte der vermeintliche Blutsanteil, ob jemand als Indianer eingestuft wurde. Ab dem späten 19. Jahrhundert und im Laufe des 20. Jahrhunderts, als viele Einwanderer in die USA strömten, verfestigte sich das Konzept einer weißen »Rasse«.[10]

      Als 1865 die Sklaverei in den Vereinigten Staaten abgeschafft wurde, blieb Weißsein weiterhin von grundlegender Bedeutung, da

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