Wir müssen über Rassismus sprechen. Robin J. DiAngelo

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Wir müssen über Rassismus sprechen - Robin J. DiAngelo

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bekommen, musste man rechtsgültig als weiß klassifiziert worden sein. Menschen, die als nicht weiß eingestuft waren, begannen, gerichtlich eine Änderung ihres Status zu beantragen. Nun lag die Entscheidung, wer als weiß galt und wer nicht, bei den Gerichten. So gewannen Armenier ihre Klage auf Einstufung als Weiße mit Hilfe eines wissenschaftlichen Gutachters, der ihnen bescheinigte, wissenschaftlich seien sie »Kaukasier«. Der Oberste Gerichtshof der USA urteilte 1922, Japaner könnten rechtlich nicht als weiß eingestuft werden, weil sie wissenschaftlich als »Mongoliden« klassifiziert seien. Ein Jahr später entschied das Gericht, dass Inder rechtlich nicht weiß seien, obwohl sie wissenschaftlich zu den »Kaukasiern« zählten. Zur Rechtfertigung dieser widersprüchlichen Urteile stellte es fest, dass Weißsein auf dem gängigen Verständnis des weißen Mannes beruhe. Mit anderen Worten: Menschen, die bereits als weiß galten, entschieden darüber, wer weiß war.[11]

      Das Bild der Vereinigten Staaten als großem Schmelztiegel, in dem Einwanderer aus der ganzen Welt zusammenkommen und durch Assimilation zu einer einheitlichen Gesellschaft verschmelzen, ist ein Mythos. Eine schöne Idee: Sobald neue Zuwanderer Englisch lernen und sich an amerikanische Kultur und Sitten anpassen, werden sie Amerikaner. Doch in Wirklichkeit war es im 19. und 20. Jahrhundert nur europäischen Immigranten möglich, sich in die herrschende Kultur zu integrieren oder zu assimilieren, weil sie, ungeachtet ihrer ethnischen Identität, als weiß galten und somit dazugehören konnten.

      »Rasse« ist ein gesellschaftliches Konstrukt, daher ändert es sich im Laufe der Zeit, wer der Kategorie der Weißen zugerechnet wird. Wie der Amerikaner italienischer Abstammung in meinem Workshop anmerkte, waren europäische ethnische Gruppen wie Iren, Italiener und Polen früher davon ausgeschlossen. Aber auch wenn europäische Einwanderer ursprünglich nach ihrer Herkunft getrennt waren, wuchsen sie durch Assimilation zu einer »Rasse« zusammen.[12] Dieser Assimilationsprozess – Englisch sprechen, »amerikanische« Speisen essen, eigentümliche Sitten ablegen – machte die Wahrnehmung der Amerikaner als Weiße zu etwas Konkretem. Die Rassenidentifikation in der umfassenderen Gesellschaft spielt eine grundlegende Rolle in der Identitätsentwicklung und in unserem Selbstverständnis.

      Wenn wir »weiß aussehen«, werden wir in der Gesellschaft als Weiße behandelt. So haben Menschen südeuropäischer Abstammung wie Spanier und Portugiesen oder Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion wahrscheinlich eine stärker ausgeprägte ethnische Identität, besonders wenn sie erst kürzlich eingewandert sind oder von Einwanderern aufgezogen wurden, als Angehörige der gleichen ethnischen Gruppe, deren Vorfahren schon seit Generationen im Land sind. Doch obwohl ihre innere Identität eine andere sein mag, ist ihre äußere Erfahrung die von Weißen, so sie denn als weiß »durchgehen«. Wenn sie weiß aussehen, wird man in der Regel annehmen, dass sie weiß sind und entsprechend auf sie reagieren. Stimmt bei Personen die innere ethnische Identität (portugiesisch, spanisch) nicht mit der äußeren Rassenerfahrung (weiß) überein, so dürften sie ein komplexeres oder nuancierteres Identitätsgefühl haben als Menschen, die keine ausgeprägte ethnische Identität besitzen. Dennoch gewährt man ihnen den Status von Weißen und die damit verbundenen Vorteile. Heutzutage sind diese Privilegien eher praktischer als rechtlicher Natur, haben aber dennoch starken Einfluss auf unser Alltagsleben. Alle, die als weiß gelten, müssen selbst herausfinden, wie diese Vorteile sie prägen, statt sie in Bausch und Bogen zu leugnen.

      Da »Rasse« ein Produkt gesellschaftlicher Kräfte ist, hat sie sich auch nach Schichtzugehörigkeit manifestiert. Arme Bevölkerungsschichten und Arbeiter wurden nicht immer als vollgültige Weiße anerkannt.[13] In einer Gesellschaft, die als nicht weiß geltenden Menschen weniger Chancen bietet, sind wirtschaftliche und rassistische Kräfte untrennbar miteinander verknüpft. Allerdings erhielten arme Weiße und weiße Angehörige der Arbeiterklasse schließlich vollen Zugang zum Weißsein. Denn wenn sie ein Überlegenheitsgefühl gegenüber ausgebeuteten Nichtweißen entwickeln konnten, richtete sich ihr Unmut weniger auf die über ihnen Stehenden. Arme und Arbeiter, die sich über Rassenschranken hinweg zusammengeschlossen hätten, wären eine starke Macht gewesen. Aber die Rassentrennung trug dazu bei, sie davon abzuhalten, dass sie sich gegen die besitzende Klasse organisierten.[14] Was weiße Arbeiter erleben ist »Klassismus«, also eine Diskriminierung aufgrund ihrer sozialen Stellung, aber nicht zudem noch Rassismus. Ich bin in armen Verhältnissen aufgewachsen und empfand tiefe Scham über diese Armut. Dennoch wusste ich immer, dass ich weiß war und dass weiß zu sein besser war.

      Rassismus

      Um Rassismus zu verstehen, müssen wir ihn zunächst von bloßen Vorurteilen und Diskriminierung abgrenzen. Vorurteile enthalten vorgefasste Urteile über eine andere Person aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen. Vorurteile bestehen aus Gedanken und Gefühlen wie Stereotypen, Einstellungen und Verallgemeinerungen, die auf nur wenigen oder gar keinen Erfahrungen basieren und dann auf alle Angehörigen dieser Gruppe projiziert werden. Tendenziell teilen wir die gleichen Vorurteile, weil wir uns im selben kulturellen Umfeld bewegen und die gleichen Botschaften aufnehmen.

      Alle Menschen haben Vorurteile, das lässt sich gar nicht vermeiden. Wenn ich weiß, dass eine soziale Gruppe existiert, habe ich von der Gesellschaft um mich her Informationen über sie bekommen. Diese Informationen helfen mir, diese Gruppe aus meinem kulturellen Rahmen heraus einzuordnen. Menschen, die behaupten, sie hätten keine Vorurteile, demonstrieren damit einen grundlegenden Mangel an Selbsterkenntnis. Ironischerweise belegen sie zudem die Macht der Sozialisation: Wir alle haben durch Schule, Spielfilme, Familie, Lehrer und Geistliche gelernt, dass es wichtig ist, keine Vorurteile zu haben. Leider führt die vorherrschende Überzeugung, dass Vorurteile schlecht sind, dazu, dass wir ihre unvermeidliche Realität leugnen.

      Vorurteile sind für ein Verständnis der Empfindlichkeit Weißer grundlegend, weil die Behauptung, wir hätten Rassenvorurteile, als Vorwurf aufgefasst wird: Jemand sagt uns, wir seien schlecht und sollten uns schämen. Daher halten wir es für nötig, uns zu verteidigen, statt uns mit den von uns übernommenen unvermeidlichen Rassenvorurteilen auseinanderzusetzen, um sie vielleicht zu ändern. Somit schützt unsere Fehleinschätzung, was Vorurteile sind, eben diese Vorurteile.

      Diskriminierung ist ein auf Vorurteilen basierendes Handeln. Dazu gehört es, andere zu ignorieren, auszuschließen, zu bedrohen, lächerlich zu machen, zu verleumden und Gewalt gegen sie auszuüben. Wenn wir aufgrund unserer Vorurteile beispielsweise Hass empfinden, können daraus extreme Diskriminierungsakte wie Gewalttaten erwachsen. Solche Diskriminierungsformen sind in der Regel eindeutig und klar erkennbar. Wenn unsere Gefühle aber subtiler sind und sich etwa in einem leichten Unbehagen äußern, wird auch die Diskriminierung subtiler ausfallen und ist manchmal kaum zu erkennen. Die meisten von uns können zugeben, dass wir in Gegenwart bestimmter Gruppen ein gewisses Unbehagen empfinden und sei es auch nur eine leichte Befangenheit. Aber ein solches Gefühl kommt nicht von allein. Vielmehr entsteht es, wenn wir von einer Gruppe von Menschen getrennt leben, gleichzeitig aber unvollständige oder falsche Informationen über sie aufnehmen. Wenn Vorurteile mich veranlassen, mich Menschen gegenüber anders zu verhalten – weniger offen oder jede Interaktion vermeidend –, diskriminiere ich sie. Vorurteile äußern sich immer im Handeln, weil meine Weltsicht mein Tun prägt. Alle Menschen haben Vorurteile und alle diskriminieren. Angesichts dieser Realität ist der Ausdruck »umgekehrte Diskriminierung« unsinnig.

      Wenn die kollektiven Vorurteile einer Bevölkerungsgruppe, die sich durch ihre »Rasse« definiert, die Unterstützung der Staatsmacht und der institutionellen Kontrolle haben, verwandeln sie sich in Rassismus, in ein weitreichendes System, das unabhängig von den Intentionen oder dem Selbstbild einzelner Akteure funktioniert. J. Kēhaulani Kauanui, Professorin für Amerikastudien und Anthropologie an der Wesleyan University, erklärt: »Rassismus ist eine Struktur, kein Ereignis.«[15] Der Kampf amerikanischer Frauen um das Wahlrecht illustriert, wie institutionelle Macht Vorurteile und Diskriminierung in unterdrückerische Strukturen übersetzt. Alle Menschen haben Vorurteile und diskriminieren, aber Unterdrückungsstrukturen reichen weit über das Individuum hinaus. Frauen konnten zwar Vorurteile gegen Männer haben und sie in einzelnen Interaktionen diskriminieren, aber als Gruppe konnten sie ihnen nicht ihre Bürgerrechte

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