Pelle und die schöne Bertha. Oliver Witt
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Weiter kam Gudrun nicht, denn Bertha hatte ihr mit der rechten Pfote und gezückten Krallen eins übergezogen.
Gudrun blickte zuerst erstaunt, dann schlug sie zurück. Berthas Schleifchen verrutschte auf ihrem Kopf.
„Aber meine Damen, meine Damen, ich bitte Sie …“ versuchte ich die Situation diplomatisch zu entschärfen.
„Halt dich da raus, wer bis‘n du überhaupt? Auch so‘n Schnösl, der meint, was Bessres su sein? Zieh Leine!“
Rülps und rums – denn Bertha hatte Gudrun schon wieder eins über den Schädel gezogen. Dieses Mal aber schlug Gudrun zurück. Beide fauchten sich an, und ehe Fräulein Flöckchen und ich eingreifen konnte, wälzten sich die zwei kreischend und kämpfend am Boden. Irgendwie imponierte mir Bertha. Sie war nicht nur eine Dame von Welt, sondern wusste sich auch noch zu verteidigen.
„Fräulein Flöckchen“, rief ich durch das Geschrei, „sollten wir nicht etwas unternehmen?“
Sie schüttelte ihren eleganten Kopf. „Nein, da kann man nichts machen. Das ist bei den beiden schon häufig passiert. Am besten lässt man sie sich austoben – die kriegen sich schon wieder ein.“
Ich beobachtete Gudrun und Bertha mit leichtem Unbehagen. Mittlerweile lag Gudrun auf dem Rücken und strampelte mit allen vieren in der Luft, während Bertha schnaufend auf ihr lag und sie am Hals kratzte.
„Judrun, du doof Stück. Häs do jetz endlich jenooch?“ schrie Bertha.
Gudrun atmete schwer unter der auf ihr liegenden Last. „Geh von mir runter, du bist zu dick, ich krieg keine Luft mehr.“ Und sie rülpste Bertha mitten ins Gesicht, was diese mit einem neuerlichen Hieb auf Gudruns Ohren quittierte.
„Bertha“, kreischte Gudrun nun, „lass gut sein. Ich bin doch nur ‘n bissch‘n blau, du bis aba auch empfindlich. Du verstehst eb‘n kein Spaß.“
Bertha blieb eisern auf ihr liegen. „Entweder entschuldigste dich sofort beim Herrn Pelle un mir – oder ich blieve op dir lige bis de platz.“
Gudrun begann einzusehen, dass ihre Lage nicht die beste war.
„Is ja schon gut. Tschulligung, Herr Pelé, Tschulligung, Frau VON Hackenbroich, es soll nich wieda vorkomm‘n.“
Bertha, immer noch sehr erregt, stieg von Gudrun herab. Die wiederum versuchte, schleunigst wieder auf ihre wackeligen Beine zu kommen.
„Das wirssu noch bereun, Bertha VON Hackenbroich, ich rede nie wieder ein Wort mir dir. Und der da“ – sie zeigte auf mich – „kann mich auch ma.“ Dann schlich sie sich davon und verschwand geschlagen und zerrupft in dem kleinen Wäldchen nahe dem Friedhof.
Bertha versuchte, ihr derangiertes Aussehen zu beheben.
„Sie müssen entschuldigen, Herr Pelle, für eine Dame gehört es sich eigentlich nicht, sich zu prügeln wie eine heruntergekommene Bardame, aber manchmal muss man bei Gudrun leider die Krallen sprechen lassen. Es ist mir ein wenig peinlich.“
Wie sie da so vor mir saß, mit zerzaustem Fell und verrutschtem Schleifchen, war sie fast noch hübscher als sonst. Ich wagte einen Versuch.
„Fräulein Bertha, dürfte ich Ihnen eventuell behilflich sein, Ihre Schleife wieder zu befestigen?“
Bertha schlug die Augen nieder und kicherte verlegen.
„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann dürfen Sie.“
Ich richtete ihr Schleifchen, so gut ich konnte. Dabei entdeckte ich, dass mittlerweile ein praller üppiger Sommermond am Himmel stand.
„Schauen Sie nur, Fräulein Bertha“, sagte ich und kuschelte mich ganz verwegen ein wenig näher an sie heran, „ist das nicht ein herrlicher Mond? Da sollten wir diese kleine Auseinandersetzung doch wohl vergessen können.“
Sie blieb nah bei mir sitzen. „Ach, Herr Pelle, das haben Sie schön gesagt. Ja, und Sie haben recht, wir sollten Gudrun einfach vergessen und uns an dieser lauen Sommernacht erfreuen.“
Völlig vergessen hatten wir peinlicherweise auch Fräulein Flöckchen. Als wir uns umdrehten, war sie gerade im Begriff zu gehen und rief uns zu: „Bertha, es war wie immer eine herrliche Soirée. Und äußerst unterhaltsam. Ich gehe noch eine Runde über den Friedhof und halte nach Gudrun Ausschau. Du weißt ja, ihr wird immer übel, wenn sie so viel Katzenminze gefressen hat.“
Bertha nickte: „Danke, Fräulein Flöckchen. Au revoir, bis bald!“
Bertha und ich blieben noch einen Augenblick Seite an Seite sitzen. Eine Frage musste ich ihr aber nun doch noch stellen.
„Sagen Sie, werte Bertha, ich möchte nicht aufdringlich sein, aber warum ist eine Dame von Welt mit jemandem wie Gudrun befreundet? Es liegt mir fern, etwas Schlechtes über sie zu sagen, aber sie scheint mir doch eher etwas … gewöhnlich.“
Bertha dachte einen Moment nach, bevor sie antwortete.
„Es stimmt, Herr Pelle. Gudrun hat nicht die besten Manieren und unter zu viel Katzenminze kann sie ziemlich ausfallend werden, aber unter diesem ganzen Gehabe ist sie durch und durch ehrlich und gutmütig. Sie hat mir schon so manches Mal aus einer schwierigen Situation geholfen. Sie hätten erleben sollen, wie Gudrun auf diesen Hund losging, der mich mal angegriffen hat. Der kam gegen sie nicht an und suchte heulend das Weite. Nein, Gudrun mag nicht die Ordentlichste sein und vielleicht auch nicht die Vornehmste, aber sie ist, wenn es drauf ankommt, eine gute Freundin.“
Ich war ganz verzaubert von meinem fellgewordenen Hähnchen in Gelee. Sie war nicht nur wunderschön, sondern auch noch loyal und eine treue Freundin. Und nun saß ich neben ihr in dieser wunderschönen Sommernacht. Ein herrlicher Moment.
„Herr Pelle“, schnurrte Bertha plötzlich mit ihrer tiefen Stimme in mein Ohr, „der Kampf hat mich etwas hungrig gemacht. Was halten Sie davon, wenn wir es uns auf der Friedhofsmauer bequem machen und dort das Stückchen Fisch zu uns nehmen?“
Ich war entzückt. „Sehr gerne, Frau Bertha, damit würden Sie mir eine große Freude machen.“
Und so saßen wir in dieser mondhellen Sommernacht auf der Friedhofsmauer, aßen Fisch und waren zufrieden.
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