Kick-Off in Dein Wahres Leben. Kristian Ignatov
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kick-Off in Dein Wahres Leben - Kristian Ignatov страница 5
Meine Mutter und ich versteckten uns in einem hohen Maisfeld, während mein Vater versuchte, die Route aufzuspüren. Die Taschenlampen der Grenzkontrollen wanderten durch das Gestrüpp an unseren Köpfen vorbei. Meine Mutter hielt mich ganz fest, um nicht aufzufallen. Denn ich konnte nicht aufhören zu zittern – aus Angst.
Nach unzähligen Hindernissen schafften wir es unverletzt nach Österreich. Wir verbrachten einige Tage im Flüchtlingslager und kamen anschließend in eine kleine Dorfgemeinde.
Meine Eltern, eigentlich Akademiker, fingen in Österreich komplett von Null an, mein Vater als Fliesenleger und meine Mutter als Näherin.
Für mich begann sich der kindliche Glaube zu manifestierten, ich sei weniger wert als die einheimischen Kinder. Ich fühlte mich fremd und ausgeschlossen. Denn die Mitschüler in der Schule waren brutal ehrlich und scheuten nicht davor zurück, mir meinen Minderwert immer wieder zu bestätigen, bis sich eine Überzeugung daraus bildete.
Nach zwei Jahren wurde mein Leben in seinen Grundfesten erschüttert. Mein Vater erkrankte an Krebs und verstarb mit nur dreiunddreißig Jahren. Das war der für mich unverständlichste und schrecklichste Abschied. Der Verlust des männlichen, stärksten Familienmitgliedes, und das in einem für mich noch fremden Land, ohne familiären Rückhalt.
Ich versuchte, meinen Vater mit einem aus einem Kassetten-Walkman selbstgebauten Spielzeug-Arzt-Set zu heilen und fühlte mich ohnmächtig und schuldig, als ich dabei versagte. Nachdem ich miterlebte, wie er vor allen schaulustigen Nachbarn im Sarg aus dem Wohnhaus herausgetragen wurde, entstanden in mir ein Gefühl der Kleinheit, Minderwertigkeit und die Illusion, alle anderen seien und hätten es besser als ich. Spätestens hier muss sich wohl mein Wesen eines Kämpfers gebildet haben. »Ich zeig es euch allen!«, das war mein Gedanke.
Schnell lief ich in die Wohnung zurück, um meinen braunen Plüschhund zu holen. Diesen legte ich meinem Vater in den Sarg. Wir hatten oft gemeinsam mit diesem Hund gekuschelt und er sollte meinen Vater ab diesen Zeitpunkt beschützen, damit er nicht allein war.
Ich erinnere mich noch ganz klar an den Moment, in dem mein Papa in das Auto verladen wurde und meine Mutter und ich ihm hinterherschauten, als das Auto losfuhr. Das war ein überflutendes Gefühl der Ohnmacht. Ich hatte Todesangst, fühlte mich verloren und verstand die Welt nicht. Wieso fuhren diese fremden Männer meinen starken Papa in dieser engen Kiste mit einem Auto weg?
In den darauffolgenden Monaten und Jahren prägten mich alle Verlust- und Existenzängste – es waren die meiner Mutter, einer alleinerziehenden Frau in einem noch fremden Land, einer Frau, die ihre große Liebe, ihren besten Freund und ihren Halt verloren hatte. Mich überrollten tiefste Ängste und Trauer, die ich nicht verarbeiten konnte. Stattdessen unterdrückte ich sie, wie es jedes Kind macht. Mein Vertrauen in das Leben war damit endgültig gebrochen.
Durch die Verlustangst meiner Mutter entwickelte ich mich zum Hypochonder, indem ich alle Spitäler in kürzester Zeit und in regelmäßigen Intervallen kennenlernte. So verlor ich obendrein jegliches Vertrauen in meine Gesundheit und meinen Körper. Nach zwei Operationen, die Ähnlichkeit mit denen meines Vaters hatten, setzte sich in mir die endgültige Überzeugung fest, dass mich früher oder später dasselbe Schicksal erwarten würde. Dass ich sterben würde wie er.
Ich musste schnell erwachsen werden, meine Mutter trösten und ihr Halt geben, wodurch, in Verbindung mit meiner Sensibilität, die Fähigkeit starker Empathie stets wuchs.
Meine Mutter sorgte sich um meine Integration und wollte mir weitere Schmerzen und das Gefühl der Minderwertigkeit ersparen. Daher versuchte sie, mich zu motivieren, gute Noten in der Schule zu erringen. Jedoch war ihre Motivations-Methode für das Selbstwertgefühl eher kontraproduktiv.
Sie sagte mir: »Wenn du nicht büffelst und etwas erreichst, wirst du obdachlos. Dann werden alle Einheimischen im Anzug und mit dem Aktenkoffer an dir vorbeigehen und dich auslachen!« Sie wusste es nicht besser, denn sie hatte es selbst nicht anders erfahren. Ich liebe meine Mutter. Sie tat alles aus tiefster, mütterlicher Liebe.
Ich fühlte eine tiefe Sehnsucht in mir, einen Weg zu finden, um diese unbeschreiblichen inneren Schmerzen zu lindern.
Meine Ängste, Trauer und Wut begann ich mittels Musik, Schreiben von Gedichten und meinem ersten eigenen Buch zu verarbeiten. In meinen kreativen Tätigkeiten blühte ich auf.
Mit zwölf Jahren gründete ich meine erste Musikband. Ich wollte jemand sein. Ich brannte für das, was ich tat. Das Feuer in mir ging einher mit Kreativität, Talent und Leader-Qualitäten und es führte mich in eine Jugend-Musikkarriere. Ich war Sänger, Komponist, Gitarrist und Bandleader auf internationalen Bühnen, im Fernsehen bei MTV, VIVA & Co, die Leute hörten mich im Radio.
Ich wusste es nicht besser und nutzte die Bühne, um meinen Mangel an Selbstwert zu kompensieren und meine innere Leere zu füllen. Das Wissen und das Verständnis, dass Äußeres dich niemals retten oder nachhaltig erfüllen kann, waren mir zu dem Zeitpunkt allein aufgrund meines zarten Alters unmöglich.
Im Alter von siebzehn Jahren lernte ich meine Traumfrau kennen, die ich erfolgreich eroberte. Die Liebe überwältigte uns beide, wir stürzten uns in eine vollkommene Verschmelzung, in ein gemeinsames WIR. Sie schleppte eine ebenso traumatische Kindheit mit sich herum wie ich. So retteten wir uns gegenseitig, es fühlte sich unbeschreiblich an. Wir hatten uns gefunden und es war, als ob wir uns schon seit einer Ewigkeit kennen würden.
Und so begann ich mich Stück für Stück aufzugeben, mich zu vergessen, mich zu verlieren, mich nicht mehr als Individuum wahrzunehmen. Ich machte meine Frau zu meinem Lebensinhalt, sie gab mir meinen Lebenssinn. Aus purer Liebe entwickelte sich eine co-abhängige Beziehung. In der Zweisamkeit musste ich keine kindlichen Schmerzen mehr fühlen.
Als Doppelpack fühlten wir uns beide richtig, bestätigt, geliebt, stark und anerkannt. Selbstverständlich war enorm viel Liebe da, nur wird diese verbraucht, sobald ein Partner die Funktion eines Elternteils übernimmt. Wir erfüllten uns gegenseitig die Rolle der Mutter und des Vaters. Sobald die Beziehung mit Angst durchflutet ist und ein Mensch sich erst durch den anderen vollständig fühlt, geht die eigene Identität verloren. So war es auch bei uns: Alleine fühlte jeder von uns Leere und Mangel.
Mit unserer Beziehung war meine Mutter absolut nicht einverstanden. Mein innerer Konflikt intensivierte sich damit auf ein Maximum.
Das Leben schenkte uns zwei wundervolle Kinder. Wir lebten das klassische, romantische Ideal eines Familienkonzeptes, mit der immerwährenden Angst, dieses Märchen könnte irgendwann durch Trennung, Unfall oder Krankheit enden.
Spätestens als ich zur Gänze mein wahres Wesen verleugnete, die Musik aufgab, mich in irgendwelchen nicht erfüllenden Jobs herumtrieb, die nichts mit meinen Gaben zu tun hatten, um meiner gesellschaftlichen Rolle eines braven Familienvaters zu entsprechen, verfiel ich in tiefe Depressionen, und dies jahrelang! Ich glaubte, ich sei nicht richtig aufgrund meiner in mir sprudelnden Kreativität. Meine Wünsche, Träume und Sehnsüchte kehrte ich vollständig unter den Teppich, setze mir Masken auf, versuchte, einem äußeren Bild zu entsprechen. Meine Musik, meine Hobbys, meine Freunde, fast alles hatte ich einfach aufgegeben und zugelassen, dass meine Partnerin an meinen Wünschen und Träumen herumsezierte. Ich wollte ihren Erwartungen gerecht werden.
Aufgrund meiner traumatischen Kindheitsgeschichte verspürte ich ein starkes Sicherheitsbedürfnis. Als ich jedoch eines Tages nach einer Filmproduktion von drei Männern überfallen wurde, war dies der Auslöser für mich, Kampfkunst und Selbstverteidigung zu lernen. Diese neue Leidenschaft entzündete mich und war ein