Paulas Töchter. Hans Garbaden

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Paulas Töchter - Hans Garbaden

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zu bezahlen. Die Wirtin hielt Murken nach dem Bezahlen leicht am Ärmel fest. Sie beugte sich dicht an sein Ohr und flüsterte: »Ich will ja nichts gesagt haben, aber der Lür, ich meine den jungen Kunstmaler, der eben am Tisch neben Ihnen gesessen hat, führt immer so komische Selbstgespräche. In letzter Zeit – immer wenn ich ihm sein Bier bringe – höre ich da was von Paula und den Mädchen und so. Und vor ein paar Monaten soll da auch schon mal was mit einem Mädchen gewesen sein, das ihm in seinem Atelier Modell gesessen hat.«

      »Vielen Dank, Frau ...«

      »Meyerdierks, Grete Meyerdierks«, antwortete die Frau beflissen.

      Murken nickte noch einmal dankend und verließ die Gaststätte, um den Ortspolizisten Johann Behrens aufzusuchen.

      Die Polizeistation in der Lindenallee war geschlossen. Ein Nachbar steckte seinen Kopf aus der Klöntür des Hauses: »Wenn Sie den Johann Behrens treffen wollten, sieht das heute schlecht aus. Der ist gerade wegen einer Grenzstreitigkeit in Lüninghausen.«

      Murken dankte für die Auskunft und ließ sich von dem Nachbarn den Weg zu Meta Tietjen beschreiben: »Ganz einfach, hier die Straße hinunter. Dann links in die Hembergstraße. Gleich auf der rechten Seite liegt das ehemalige Wohnhaus von Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn. Otto wohnt aber nicht mehr darin. Er ist ja schon 1908 nach Fischerhude gezogen. Meta wohnt in einer alten, etwas verfallenen Kate ein Stück hinter dem Modersohn-Haus. Sie können es gar nicht übersehen. Es ist das letzte Haus der Straße.« Murken nickte noch einmal dankend und machte sich auf den Weg.

      Das letzte Haus auf der rechten Seite der Straße war eine kleine, alte, reetgedeckte Kate ohne Schornstein, deren Wände aus Felssteinen und Lehm bestanden. Direkt davor war ein Torfstich, in dem aber niemand arbeitete. Neben der Kate war eine Ziege angepflockt und graste auf dem mageren Boden. Hinter dem Haus befand sich ein kleiner Gemüsegarten mit Beerensträuchern und ein paar Obstbäumen.

      Murken klopfte an die schief in den Angeln hängende Tür. Nachdem er ein undeutliches Gemurmel ausmachte, trat er ein. Die Kate bestand aus einem einzigen Raum. Auf der linken Seite, in einem offenen Stall, stand eine Kuh, die gerade Heu aus einer Raufe fraß. In der Mitte des Raumes war eine offene Feuerstelle, über der ein Topf mit einer köchelnden Suppe hing. Rechts im Raum war eine kammerartige Abtrennung, in der sich so etwas wie ein Alkoven befand. Darin lag eine ältere Frau auf einem Strohbett.

      Murken stellte sich vor und sagte dann: »Sie sind sicher Meta Tietjen.«

      Die Frau seufzte tief: »Ja, das bin ich. Haben Sie schon etwas über meine Nichte Paula und die anderen Mädchen erfahren?« Nachdem Murken diese Frage verneint hatte, fuhr Meta Tietjen fort: »Ein Jammer, ich mache mir solche Vorwürfe, dass ich nicht mit der Kleinen nach Bremen gefahren bin. Ganz krank bin ich geworden. Dabei müssten meine Kuh und meine Ziege unbedingt gemolken werden.« Nachdem Murken angeboten hatte, in der Nachbarschaft jemanden dafür zu suchen, hob Meta Tietjen abwehrend die Arme: »Nein, nein, es geht schon wieder. Ich stehe gleich auf, hole die Ziege herein und erledige das. Meine Suppe ist ja auch fertig.« Murken fragte sie noch, ob ihr jemand Auffälliges am Bahnhof begegnet sei, als sie ihre Nichte zum Zug gebracht hatte. »Nein, da war ja außer uns niemand.« Dabei brach Meta Tietjen in Tränen aus.

      Für Murken war klar, dass er hier nicht mehr erfahren würde, und verabschiedete sich, um die Heimfahrt nach Bremen anzutreten.

      18. Juni 1921

      BREMER KURIER

      Die Spur führt nach Worpswede

      Von Lena Geffken

      Die Bremer Polizei hat immer noch keine Spur bezüglich des Verbleibs der zehnjährigen Paula Lehmkuhl aus dem Bremer Findorffviertel, die seit dem 16. Juni spurlos verschwunden ist. (Wir berichteten in unserer Ausgabe vom 17. Juni 1921 darüber.)

      Paula Lehmkuhl wurde zuletzt am Bahnhof Worpswede gesehen. Nach einem Besuch ihrer Tante wurde sie von dieser zum Bahnhof gebracht. Vor Abfahrt des Moor-Express verließ die Tante jedoch den Bahnhof, so dass sie die Abfahrt des Mädchens nicht mehr bezeugen kann. Seitdem fehlt von dem Kind jede Spur.

      Paula Lehmkuhl ist das vierte Bremer Mädchen einer Serie, die am 7. Juni mit dem spurlosen Verschwinden der neunjährigen Paula Stein begann.

      Paula Schütte, zehn Jahre alt, wurde am 8. Juni zuletzt gesehen, und die elfjährige Paula Cordes verschwand am 11. Juni spurlos.

      Auffällig ist, dass es sich bei allen Mädchen um Kinder mit dem Vornamen Paula handelt. Die naheliegende Vermutung, dass die Mädchen von einem Täter mit einem Paula-Tick entführt wurden, konnte die Polizei bisher nicht bestätigen.

      Die Eltern von minderjährigen Kindern in Bremen sind in großer Sorge. Da die Polizei noch keine Ergebnisse bei der Suche nach den Mädchen vorweisen kann, ergeht sich die Bevölkerung in wilden Spekulationen. Sind die Mädchen einem Serienmörder zum Opfer gefallen, oder sind sie Opfer einer Bande von Mädchenhändlern geworden? Sind die Kinder schon tot, oder sind sie in ein Kinderbordell nach Berlin verschleppt worden?

      Die Bremer Polizei arbeitet in Zusammenarbeit mit der Worpsweder Polizei mit Hochdruck an dem Fall der verschwundenen Mädchen. Auch die Lokführer und Stationsbeamten des Moor-Express sind angewiesen worden, nach auffälligen Personen, die das Gespräch mit Kindern suchen, Ausschau zu halten. Die Polizei appelliert in diesem Zusammenhang an die Bevölkerung, Ruhe zu bewahren und ihre Kinder nicht allein reisen zu lassen.

      18. Juni 1921

      Kommissar Harm Logemann hörte sich den Bericht des Wachtmeisters aufmerksam an. »Nicht viel, aber immerhin etwas«, war sein Kommentar. »Die Tante können wir als Täterin ausschließen, denke ich. Aber wir sollten nach Worpswede fahren, um sowohl diesem Cord als auch dem Maler Lür mal auf den Zahn zu fühlen.«

      Der Bahnhofsplatz war nur von wenigen Menschen bevölkert, als die beiden Beamten in Worpswede aus dem Moor-Express stiegen. Am Himmel zogen riesige Wolkengebilde vorbei, lösten sich auf und ballten sich dann wieder zusammen.

      Logemann blickte hoch. »Dieser Himmel im Zusammenspiel mit der Weite des Landes in dieser geheimnisvoll anmutenden Moorlandschaft hat Mackensen, Modersohn und die anderen Maler für Worpswede und das Teufelsmoor begeistert.«

      Der junge Wachtmeister staunte: »Ich wusste gar nicht, dass Sie ein so großer Kunstliebhaber sind, Herr Kommissar.«

      Logemann richtete den Blick wieder nach vorn: »Kommen Sie, Murken, wir müssen den Worpsweder Ortspolizisten aufsuchen und ihn über unsere Ermittlungen informieren. Das können wir auf dem kleinen Dienstweg machen, denn Johann Behrens und ich waren zusammen als Soldaten in Frankreich. Im Krieg ’14 bis ’18 haben wir zwei Jahre Seite an Seite im Schützengraben gelegen. Nach Ende des Krieges wurden wir in den Polizeidienst übernommen. Er wollte keine Karriere in der Großstadt machen, sondern hier in seiner Heimat ein ruhigeres Leben als Dorfpolizist führen.«

      Sie gingen vom Bahnhof aus durch die Bergstraße zur Polizeistation in der Lindenallee.

      Johann Behrens, ein klobiger Mann mittleren Alters, wollte gerade die Polizeistation verlassen. Die beiden Kriegskameraden begrüßten sich voller Freude, und Logemann stellte den Wachtmeister vor und schilderte ihr Anliegen.

      Behrens Miene verdüsterte sich. »Ja, die verschwundenen Mädchen aus Bremen. Mich beschäftigt der Fall natürlich auch. Bisher gab es hier aber auch nicht den geringsten Hinweis, dem man hätte nachgehen können, und auf das Geschwätz von Stammtischbrüdern und einer klatschsüchtigen Kneipenwirtin

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