Paulas Töchter. Hans Garbaden

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Paulas Töchter - Hans Garbaden

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Entführung von jungen Mädchen? Nee, das passt nicht zusammen. Und was den Cord Wischhusen angeht, das ist ein ganz armes Schwein. Er ist der jüngste von drei Söhnen vom Bauern August Wischhusen aus Weyerdeelen. Seine Mutter ist bei seiner Geburt gestorben, und er wurde von seinem Vater aufgezogen. Die beiden älteren Brüder waren Tagediebe und haben sich nicht um ihn gekümmert. Nach dem Tod des alten Wischhusen haben die beiden den Hof und die dazugehörigen Ländereien versoffen und das Teufelsmoor verlassen. Es wird gemunkelt, dass sie in Bremerhaven vor Anker gegangen sind. Der eine soll beim Beladen eines Schiffes in eine Luke gestürzt sein und sich das Genick gebrochen haben. Der andere soll angeblich mit einem Auswandererschiff nach Amerika abgedampft sein. Der junge Cord ist der Gemeinde zur Last gefallen und musste sich schon als Dreizehnjähriger bei Bauern als Jungknecht verdingen. Er ist nicht ganz richtig im Kopf, aber eigentlich ein sehr netter Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in seiner Einfalt ein Mädchen entführen kann, ohne dass das halbe Dorf etwas davon merkt.«

      »Wir möchten uns aber doch mal mit Cord Wischhusen und dem Maler Lür unterhalten«, meinte Logemann.

      »Gut«, sagte Behrens, »wo der Cord gerade arbeitet, weiß ich nicht, aber am Atelier vom Lür kommen wir auf meinem Weg zum Bauern Lankenau vorbei. Dem sollen angeblich drei Kühe von der Weide gestohlen worden sein. Liegt alles im Ostendorfer Moor, ganz in der Nähe vom Ortskern.«

      Die drei machten sich auf den Weg. Der Ortspolizist deutete auf ein kleines Gehöft. »Dort, auf dem Hof des Kleinbauern Martin Brünjes, hatte Paula Modersohn-Becker ein Zimmer gemietet und zum Atelier ausgebaut. Es war – wie sie einmal gesagt haben soll – ihr Lilienatelier und zeitlebens ihre liebste Stube. Ein Jammer, dass sie so früh gestorben ist und die Anerkennung ihrer Kunst nicht mehr erlebt hat.«

      Logemann war bei der Erwähnung des Namens Paula wie elektrisiert: »Paula! Paula Modersohn-Becker, Paula, wie alle die verschwundenen Mädchen. Da muss es doch einen Zusammenhang geben.«

      Wachtmeister Murken ergänzte: »Paula, die Malerin, und ein Maler, dem beim Bier die Zunge locker wird und der dann was von Paula und den verschwundenen Mädchen erzählt!«

      Der Dorfpolizist blieb ruhig. »Wir werden gleich vielleicht mehr erfahren. Da hat er sein Atelier.« Dabei deutete er mit einer Hand auf eine halbverfallene Strohdachkate.

      Nachdem sich auf ein kräftiges Klopfen nichts gerührt hatte, öffnete Behrens mit zwei kräftigen Fußtritten die klemmende, niedrige Tür. Um ins Innere des Ateliers zu kommen, mussten die drei Polizisten ihre Köpfe einziehen. Sie sahen Chaos. Um eine Staffelei mit einem leeren Stück Leinwand lagen leere Bierflaschen, umgestürzte Stühle, zerrissene Skizzenblätter, zwei Malpaletten, Farbtuben und Pinsel auf dem Boden verstreut. Von dem jungen Maler war keine Spur zu sehen.

      Der Dorfpolizist sprach als Erster: »Das wird heute nichts mehr mit dem Lür. Und um den Cord Wischhusen zu treffen, solltet ihr mal beim Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr – gleich hier die Straße runter, auf der linken Seite – vorbeigehen.« Dabei deutete er auf die Straße in Richtung Ortsausgang. »Die haben heute eine Übung, und der Cord ist immer als Helfer dabei. Ich muss ja weiter, um mich um die Rinder von Bauer Lankenau zu kümmern. Anschließend spreche ich noch mit dem Wehrführer und werde veranlassen, dass die Ufer der Hamme und die Kanäle des Teufelsmoores nach Hinweisen abgesucht werden.« Er nickte grüßend und schritt mit großen Schritten davon.

      Logemann und Murken trafen am Spritzenhaus neun Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr an. Als sie dem Wehrführer ihr Anliegen schilderten, schüttelte der den Kopf: »Nein, den Cord habe ich schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dieser Schwachkopf etwas mit der Entführung der Mädchen zu tun haben könnte. Vielleicht können euch die Torfbauern irgendwelche Hinweise geben. Die pendeln doch immer zwischen dem Teufelsmoor und Bremen, um dort ihren Backtorf zu verkaufen. Mit ihren Torfkähnen fahren sie die Hamme abwärts, über Wümme und Torfkanal zum Torfhafen an der Neukirchstraße in Findorff, um von dort ihren Torf von ihren Kähnen auf Handkarren zu verladen und ...«

      »Ja, das weiß ich«, unterbrach ihn der Kommissar. »An meinem Wohnhaus kommt auch so ein Torfbauer regelmäßig mit seinen ›Backtorf, Backtorf‹-Rufen vorbei. Wir heizen ja schließlich auch damit.«

      Murken fügte hinzu: »Und einen Teil der Einnahmen versaufen diese Bauern vor ihrer Rückfahrt ins Moor in den vielen Kneipen in der Neukirchstraße am Torfhafen. Da sollten wir uns mal umhören, denn der Alkohol löst sicher auch bei diesem schweigsamen Menschenschlag die Zungen.«

      »Prima Idee, Murken«, ließ der Kommissar vernehmen, »dann haben Sie ja für morgen eine interessante Aufgabe.«

      Die weiteren Gespräche mit den Feuerwehrleuten waren unergiebig. Sie versprachen, ihre Augen offenzuhalten und bei Auffälligkeiten den Dorfpolizisten zu verständigen.

      19. Juni 1921

      BREMER KURIER

      Treibt ein Psychopath sein Unwesen?

      Von Lena Geffken

      Sind die vier seit dem 7. Juni verschwundenen Mädchen noch am Leben? Oder hat die Polizei es mit einem kranken Entführer zu tun, der in einem seelischen Ausnahmezustand handelt? Ist der Entführer ein Psychopath, der die Kinder aus einem Urtrieb heraus oder aus Besessenheit entführt hat?

      Erinnert sei an Serienverbrechen wie das noch nicht aufgeklärte Verschwinden von Menschen in der schlesischen Stadt Münsterberg oder an den Fall der seit 1918 verschwundenen Jungen in Hannover oder an den »Vampir von Düsseldorf«, der immer noch nicht gefasst ist.

      Gibt es Parallelen zu diesen Fällen? Viele Fragen, auf die die Polizei bisher keine Antworten geben konnte. Wir fordern im Namen der Eltern der verschwundenen Mädchen und der gesamten Bevölkerung, dass die Polizei schnell das Rätsel um die Fälle löst.

      Im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Entführungen hat der BREMER KURIER mit dem Arzt Professor Carlibert Meinen von der Universitätsklinik Hamburg, der als Kapazität auf dem Gebiet der Psychiatrie gilt, ein Interview geführt.

      BREMER KURIER: Professor Meinen, können Sie unseren Lesern den Begriff Psychose erklären?

      Professor Meinen: Durchaus. Psychose bezeichnet eine Gruppe schwerer psychischer Störungen, die mit einem zeitweiligen weitgehenden Verlust des Realitätsbezugs einhergehen können, und wurde 1845 von Ernst von Feuchtersleben erstmals verwendet.

      BREMER KURIER: In Bremen sind mehrere Mädchen spurlos verschwunden. Könnte ein Psychopath die Kinder entführt haben?

      Professor Meinen: Durchaus. Bei der Psychopathie handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung, die aufgrund charakterlich-konstitutioneller Gründe zu einer Anpassungsstörung führen kann. Ein Symptom können Allmachtsgefühle sein, die dazu führen können, dass ein Mensch mit diesem Krankheitsbild andere Menschen entführt.

      BREMER KURIER: Sind solche Menschen nicht zu schwach, um solche Taten zu vollbringen?

      Professor Meinen: Nein. Mit ihrer Fähigkeit, harte Entscheidungen durchzusetzen, und mit ihrem oberflächlichen Charme finden sich Vertreter dieser Gruppe häufig in Führungspositionen.

      BREMER KURIER: Sind Psychopathen an ihrem Verhalten zu erkennen?

      Professor Meinen: Durchaus nicht. Vertreter dieser Gruppe neigen dazu, sich abzukapseln und sich in ihre Innenwelt zurückzuziehen. Sie können aufgrund ihrer Charakterzüge in Konflikt mit ihren Mitmenschen geraten und Schwierigkeiten mit ihrer Familie und Berufskollegen haben. Anderseits müssen

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