Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift
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Ich mußte dem Leser zuvor diese Bemerkung mitteilen, damit es ihm nicht ebenso geht wie mir, der ich das Verfahren dieses Volkes nicht begreifen konnte, als man mich über die Treppen zur Höhe der Insel und zum königlichen Palaste geführt hatte. Als wir hinaufstiegen, vergaßen meine Führer mehreremal, was sie vorhatten, und überließen mich meinen eigenen Gedanken. Als ihr Gedächtnis, wie es schien, von den Klapperern wieder aufgefrischt war, blieben sie bei dem Anblick meines fremden Kleides und Gesichtes durchaus gleichgültig, ebenso wie bei dem Geschrei des Volkes, dessen Gedanken freier und ungebundener zu sein schienen.
Endlich traten wir in den Palast und begaben uns in den Audienzsaal, wo ich den König auf dein Throne sitzen und an beiden Seiten von Personen des höchsten Standes umgeben sah. Vor dem Throne stand ein großer, mit Erdkugeln, Himmelssphären und mathematischen Instrumenten jeder Art bedeckter Tisch. Seine Majestät bekümmerte sich nicht im geringsten um uns, obgleich ein bedeutendes Geräusch durch den Umstand bewirkt wurde, daß eine Menge der zum Hofe gehörigen Personen zugleich mit eintrat. Der König sann damals über ein tiefes Problem, und wir warteten wenigstens eine Stunde, bis er es lösen konnte. An jeder Seite von ihm stand ein Page mit einer Klapper; sobald diese sahen, daß er Zeit hatte, schlug ihn der eine sanft auf den Mund und der andere auf das rechte Ohr; da fuhr er auf, als sei er plötzlich aus dem Schlafe erwacht, betrachtete mich und die Gesellschaft, mit der ich gekommen war, und erinnerte sich an meine Ankunft, von der er schon vorher gehört hatte. Er sprach einige Worte, worauf ein junger Mann sogleich zu mir trat und mich sanft auf das rechte Ohr klopfte; ich gab ihm so gut wie möglich durch Zeichen zu verstehen, daß ich seines Instruments nicht bedürfe, eine Bemerkung, wegen welcher der König und seine ganze Umgebung eine nur sehr geringe Meinung von meinem Verstande empfing. Soweit ich vermuten konnte, legte mir der König mehrere Fragen vor, und ich redete ihn in allen Sprachen an, deren ich mächtig war. Als man nun sah, daß ich nichts verstehen konnte und daß man mich ebenfalls nicht verstand, wurde ich auf Befehl des Königs in ein Zimmer des Palastes geführt, wo zwei Bediente mir aufwarten sollten (der König zeichnete sich nämlich vor allen seinen Vorgängern durch Gastlichkeit gegen Fremde aus). Mein Mittagessen wurde aufgetragen, und vier Personen von Stande, die ich mich erinnerte dicht bei der Person des Königs erblickt zu haben, erwiesen mir die Ehre, mit mir zu speisen. Wir hatten zwei Gänge, jeden von drei Gerichten. Beim ersten befand sich eine Hammelkeule, die in ein gleichseitiges Dreieck zugeschnitten war, ein Rinderbraten in der Form eines Rhomboides, ein Pudding in der Gestalt einer Zykloide. Der zweite Gang bestand aus zwei Enten, die man als Violinen zusammengeschnürt hatte, Würsten und Puddings, die Flöten und Oboen glichen, und einer Kalbsbrust in Gestalt einer Harfe; die Diener zerschnitten das Brot in der Form von Kegeln, Zylindern, Parallelogrammen und anderen mathematischen Figuren.
Als wir bei Tische saßen, nahm ich mir die Freiheit, mich nach dem Namen der verschiedenen Gerichte in der Landessprache zu erkundigen, und die Edelleute hatten mit Hilfe ihrer Klatscher die Güte, mir Antworten zu erteilen. Sie hofften nämlich, ich würde ihre großen Fähigkeiten bewundern müssen, im Falle ich mich mit ihnen unterhalten könnte. Bald war es mir möglich, Brot und Getränk oder was ich sonst noch wünschte zu erbitten.
Nach Tisch entfernte sich die Gesellschaft, und ein Mann mit einem Klatscher wurde mir auf Befehl des Königs zugesandt. Er hatte Feder, Tinte, Papier und drei oder vier Bücher bei sich und erklärte mir durch Zeichen, er sei abgesandt, mich in der Sprache zu unterrichten. Wir saßen vier Stunden zusammen, und in dieser Zeit schrieb ich eine Menge Worte nebst der Übersetzung in Kolonnen nieder. Ferner bemühte ich mich, kurze Sätze auswendig zu lernen. Mein Lehrer gab nämlich einem Diener den Befehl, etwas zu holen, sich umzuwenden, sich zu drehen, zu laufen, sich zu setzen oder zu stehen, zu gehen usw. Dann schrieb ich mir jeden Satz auf. Er zeigte mir auch in einem Buche die Gestalten der Sonne, des Mondes und der Sterne, des Zodiakus, der Wende- und Polarkreise nebst den Benennungen vieler Pflanzen und fester Körper. Er nannte und beschrieb mir die verschiedenen musikalischen Instrumente und zeigte mir die Spielart auf jedem einzelnen. Nachdem er mich verlassen, brachte ich alle Worte mit den Auslegungen in alphabetische Ordnung. So erlangte ich bei meinem nicht unbedeutenden Gedächtnisse in wenigen Tagen eine ziemliche Kenntnis der Landessprache.
Das Wort, das ich durch »fliegende« oder »schwebende« Insel übersetzte, heißt im Original Laputa. Die richtige Ableitung habe ich aber nie erfahren können. »Lap« bedeutet in der veralteten Sprache hoch und »untuh« Gouverneur. So ist durch verderbte Aussprache Laputa aus Lapuntuh entstanden. Mir aber gefällt diese Ableitung nicht, denn sie scheint mir gezwungen. Ich war so kühn, den Gelehrten des Landes eine von mir gemachte Konjektur anzubieten, Laputa sei quasi »lap utet«; »lap« bedeutet nämlich das Flimmern der Sonnenstrahlen im Meer und »utet« ein Hügel; mit dieser Auslegung will ich mich jedoch nicht aufdrängen, sondern sie dem Urteile des verständigen Lesers überlassen.
Die Herren, denen mich der König anvertraut hatte, bemerkten, wie schlecht ich gekleidet sei, und ließen deshalb am nächsten Morgen einen Schneider kommen, damit mir dieser das Maß zu einem neuen Anzug nehme. Dieser Handwerker verfuhr nach einer von der europäischen durchaus verschiedenen Weise. Er nahm zuerst meine Höhe mit einem Quadranten auf und dann mit Lineal und Zirkel die Dimensionen und Umrisse meines ganzen Körpers. Die Bemerkungen warf er aufs Papier. Nach sechs Tagen brachte er meine Kleider, die durchaus nicht paßten, da sich ein Fehler in die algebraische Berechnung eingeschlichen hatte. Ich hatte jedoch Ursache, mich zu trösten, denn dergleichen Vorfälle waren sehr häufig und wurden durchaus nicht beachtet.
Als ich nun aus Mangel an Kleidern und dann durch eine Unpäßlichkeit noch einige Tage das Zimmer hüten mußte, vermehrte sich mein Wörterbuch um ein bedeutendes. Als ich darauf das nächstemal wieder an den Hof ging, verstand ich vieles, was der König sagte, und konnte ihm in gewisser Art auch Antworten geben. Seine Majestät hatte Befehl gegeben, die Insel solle sich nach Nordostost dem Nadir Lagado, der Hauptstadt des ganzen Königreichs, unten auf dem Festland, hinbewegen. Diese Stadt war ungefähr neunzig Stunden weit entfernt, und wir gelangten dorthin ungefähr nach fünfeinhalb Tagen. Ich bemerkte durchaus nichts von der fortschreitenden Bewegung, worin sich die Insel doch befand. Am zweiten Morgen gegen elf Uhr begann der König mit dem Adel, dem Hof und den Offizieren, nachdem alle musikalischen Instrumente bereitgelegt waren, ein Konzert, das ununterbrochen drei Stunden lang dauerte, so daß mich der Lärm beinahe betäubte; auch konnte ich den Zweck des Konzerts nicht eher erraten, als bis mich mein Lehrer davon in Kenntnis setzte. Er sagte: Die Einwohner dieser Insel seien an die Sphärenmusik gewöhnt, die immer in bestimmten Perioden spiele; der Hof übernehme jetzt die Rolle, und zwar jeder mit dem Instrumente, worin er Virtuosität erlangt habe.
Auf unserer Reise nach Lagado, der Hauptstadt, befahl der König, die Insel solle über mehreren Städten und Dörfern angehalten werden, damit er von dort die Bittschriften seiner Untertanen empfangen könne. Zu dem Zwecke wurden Bindfäden mit kleinen Gewichten an den Enden herabgelassen. An diese Bindfäden hing das Volk die Bittschriften, die sogleich wie Papierschnitzel an einem Kinderdrachenschwanz in die Höhe stiegen. Bisweilen auch erhielten wir von unten her Wein und Lebensmittel, die durch Winden emporgezogen wurden.
Meine Kenntnis der Mathematik half mir viel im Erlernen der Phrasen, die aus dieser Wissenschaft hervorgeholt werden sowie auch aus der Musik, worin ich nicht ganz unerfahren war. Die Ideen jener Leute bilden sich