Lichtfisch. Arthur Witten

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Lichtfisch - Arthur Witten

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kommt’s.

      »Wie soll ich es formulieren? Sei mir nicht böse, wenn ich das sage, aber manchmal sind deine Äußerungen ihm gegenüber schon recht, naja, lautstark, und wenn er dich nicht gern hätte, hätte er schon längst mal zurückgebrüllt oder wäre auf und davon gelaufen.«

      Ulla sagt gar nichts. Sie schluckt. Dann vergräbt sie das Gesicht in den Händen und schluchzt. Sie klappt regelrecht in sich zusammen und weint hemmungslos. Das habe ich ja prima hinbekommen.

      »Ulla, tut mir leid, ich wollte dich nicht – in Frage stellen oder so.«

      Ihr Rücken bebt. Ich glaube, ich sage erst mal gar nichts mehr. Hat sie das so getroffen? Ich bin doch wirklich sehr vorsichtig mit meiner Wortwahl gewesen. Oder? Vermutlich nicht vorsichtig genug.

      Nach einer kleinen Ewigkeit nimmt sie die Hände vom Gesicht.

      »Danke für deine Offenheit, Martin. Du hast absolut recht.«

      Sie wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.

      »Weißt du, es gab vor vielen, vielen Jahren mal eine Situation – ich weiß gar nicht mehr den Anlass. Harald war damals noch sehr klein, war gerade in die Schule gekommen. Jedenfalls gab es Ärger, weil er die Hausaufgabe vergessen hatte. Harald hat einen Brief mitgebracht, in dem die Eltern zu einem Lehrergespräch vor geladen wurden. Er hat die Situation überhaupt nicht begriffen und sogar gelächelt, als er Mama den Brief gab. Vielleicht hat er gedacht, es wäre was Besonderes, dass nur er einen Brief mit nach Hause nehmen darf.

      Mama war eigentlich immer sehr geduldig mit uns und ist eigentlich nie laut geworden, aber an diesem Tag – ich weiß nicht warum, aber sie war einfach in schlechter Stimmung, und dann auch noch dieser Brief. Jedenfalls hat sie Harald an diesem Tag angebrüllt. Ich glaube, es war das erste und einzige Mal, dass sie überhaupt so laut geworden ist.

      Ich kann mich noch an Haralds Gesicht erinnern: zuerst das Lächeln, dann die Überraschung, weil Mama ihn anschreit, und dann aber nicht Angst oder Trauer, sondern – ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Er ist irgendwie nach innen … verschwunden? Da war nur noch seine Hülle, sein Gesicht, aber die Augen waren leer, er hat sich da komplett zurückgezogen.

      Später hat sich Mama dann bei ihm entschuldigt, ihn umarmt, und ich glaube, alles war wieder gut. Aber ich habe gesehen, wie Harald sich eingekapselt hat, und das machte mir Angst, große Angst. Und ich habe mir fest vor genommen, dass so etwas nie wieder passiert, ich habe geglaubt, dass er sonst vielleicht irgendwann nicht mehr wieder heraus findet.«

      Sie blickt mich lange an.

      »Verstehst du, was ich meine?«

      Ich nicke nur.

      »Und jetzt … mir ist bewusst geworden, dass ich ihn genauso anbrülle wie Mama damals, nur öfter, und vielleicht verschwindet er dann tatsächlich, und … und … und das wollte ich doch alles nicht, es tut mir so leid!«

      Sie blickt mich an. Die Tränen laufen ihr über die Wangen, und ich glaube, das Mädchen von damals in ihr zu erkennen, das Angst davor hat, ihren Bruder zu verlieren.

      Ich sage gar nichts und reiche ihr ein Taschentuch.

      »Danke. Entschuldige bitte, dass ich …«

      »Schhhh, schhhh, schon gut. Du musst dich nicht entschuldigen, alles in Ordnung.«

      Eine Zeitlang sitzen wir beide schweigend da. Ulla trocknet sich die Augen und die Wangen, dann schließt sie die Augen. Sie atmet tief ein und langsam wieder aus, ein, aus, ein, aus.

      »Ich werde es versuchen. Ich muss es einfach versuchen.«

      Sie murmelt mehr, als dass sie spricht. Dann öffnet sie die Augen.

      »Ich glaube, du hast recht, Martin, und ich danke dir sehr für deine Zeit, für deine Fürsorge gegenüber Harald und für deine Ehrlichkeit und dieses Gespräch. Ich sollte jetzt aber besser gehen.«

      Sie betrachtet das zerknüllte Taschentuch in ihrer Hand.

      »Darf ich vorher noch dein Bad benutzen?«

      Ich nicke und deute zur Badezimmertür. »Klar.«

      Sie steht auf und geht ins Bad. Der Wasserhahn rauscht. Kurze Zeit später kommt sie wieder heraus. Die Augen sind immer noch gerötet, aber sie wirkt frischer, gelöster, entspannter. Das traurige junge Mädchen ist verschwunden, aber Ullas Gesichtszüge sind nun weicher, freundlicher.

      »Kann aber gut sein, das Hari heute erst spät oder gar nicht kommt. Mach dir keine Sorgen, Sina kümmert sich sich sicher gut um ihn.«

      »Sina?«

      »Ja, die Bekannte.«

      Eigentlich wollte ich Sina nicht in die Geschichte reinbringen, aber dazu ist es jetzt zu spät.

      »Ok. Sina. Ja, wenn du sagst, dass er gut aufgehoben ist … die Migräneschübe nehmen in letzter Zeit wieder zu. Armer Harald, mir tut er leid, ich stelle mir das grausam vor.«

      »Ja, tauschen möchte ich nicht mit ihm.«

      »Martin, ich danke dir für alles. Wir sehen uns!«

      Ulla reicht mir die Hand. Ihre schmalen Hände sind kalt, aber der Händedruck angenehm fest.

      »Keine Ursache. Mach’s gut, Ulla.«

      Ich blicke ihr nach, bis sie im Hausgang um die Ecke biegt. Dannschließe ich langsam die Wohnungstür. Ich lasse das gerade Erlebte noch mal in meinem Kopf Revue passieren. Komplett surreal, irgendwie. Ich überlege, ob ich noch weiter Gitarre spielen oder am besten gleich ins Bett gehen soll. Oder mal Hari anrufen? Nö. Erstens wecke ich ihn, wenn er das Klingeln überhaupt hört, und zweitens: was soll ich sagen? Hi, ich bin’s, deine Schwester war übrigens gerade da und hat geweint? Das passt auch nicht.

      Da gibt mir mein Magen unmissverständlich ein Signal, dass ich ihn schon zu lange vernachlässigt habe. Okay, auch eine Alternative. Ich gehe zum Kühlschrank.

       Sina Keske, 2018-12-01

      22: 37: 14

      Als Sina nach der Spätschicht heimkommt, ist Harald nicht mehr da. Eine Andeutung von Eukalyptus und Menthol überdeckt das Aroma verbrauchter Luft. Sie legt den Mantel ab, zieht die Schuhe aus und stellt ihre Tasche auf den Tisch. Sie öffnet das Fenster. Dann füllt sie den Wasserkocher und schaltet ihn ein. Der Tee nach der Arbeit ist fast schon ein Ritual.

      Während der Kocher leise rauscht, fischt sie ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Eine Sprachnachricht von Harald. Seine leise, etwas unsichere Stimme schallt aus dem Lautsprecher.

      »Hallo Sina, ich bin’s, Harald. Es ist jetzt, äh, kurz nach halb neun. Ich bin wieder einigermaßen fit und werde jetzt nach Hause gehen. Nochmals danke für alles. Ich, äh, ja. Dann mach’s mal gut. Bis bald mal.«

      Sina schmunzelt. Harald und seine Theorien. Haralds harmlose Hirngespinste. Wobei – harmlos? Das wird sich erst noch zeigen. Wenn er zu tief eintaucht, dann …

      Der Wasserkocher signalisiert mit einem leisen Klacken, dass das Wasser kocht. Sina steht auf, nimmt

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