Europa - Tragödie eines Mondes. Uwe Roth
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„Wir haben sie bemerkt und versuchen unser Bestes!“, ertönte es genervt aus Xirons Funkgerät.
Der Kapitän des Lastengleiters, mit dem Xiron nicht das erste Mal zusammenarbeitete, war ein fähiger Maborier. Das konnte Xiron schon oft auf ähnlichen Baustellen beobachten. Er war sich sicher, dass der Kapitän in diesem Moment alle Flossenhände zu tun hatte, um gegen diese starke Strömung anzukämpfen. Die Welle, die den Lastengleiter in seinen Griff nahm, schien eine größere Welle als sonst zu sein. Xiron konnte die unzähligen herumschwimmenden, niederen Lebensformen erkennen, die sich mit der Welle mitbewegten. In einem langgezogenen Strom, der sich deutlich von dem umgebenen Bereich unterschied, zog dieses Band aus mitgerissenem Leben über seine Baustelle hinweg.
Solch eine heftige Welle hatte er in seiner langen Tätigkeit als Bauleiter noch nie gesehen. Sie übertraf alles, was er bis dahin gesehen hatte. Das Erschreckende war aber, dass diese Welle offensichtlich nicht die letzte war, die auf den Lastengleiter zu raste.
In der Ferne überquerte eine Vakuumbahn die Stadt, die in diesem Moment von einer unsichtbaren, mächtigen Flossenhand ergriffen und mitgerissen wurde. Xiron sah, wie sich die Röhre der Vakuumbahn, die in einer geraden Linie verlief, in seine Richtung ausbeulte und schließlich unter dem enormen Druck der heranrollenden Superwelle nachgab und auseinanderriss.
Die beiden zerberstenden Röhrenenden wurden mit der Strömung in Xirons Richtung gebogen und sogen augenblicklich Unmengen Wasser in die Medium freien Röhrenenden ein. Aus dem rechten, zerfransten Röhrenende schoss wenige Sekunden nach dieser Katastrophe eine Vakuumbahn ins offene Terrain, die aber durch das einströmende Wasser in ihrem Sturz gebremst wurde. Nachdem die Bahn dennoch einen weiten Bogen über die Stadt zeichnete, stürzte die Bahn schließlich in die Wohneinheiten Darimars.
In einem flachen Winkel durchschnitt die Bahn erst die Dächer mehrerer Wohneinheiten, um letztendlich, die aus massiven Muschelplatten bestehenden Wände der Wohneinheiten zu durchbohren. Die ersten Waggons der Bahn behielten ihren nach vorn gerichteten Sturz noch bei. Während die Bahn weiter nach vorn schoss, neigten sich aber die hinteren Waggons zur Seite und mähten so komplette Wohneinheitenzeilen nieder. Ein Waggon raste so unglücklich gegen die Kante eines Daches einer Wohneinheit, dass der Waggon der Länge nach in der Mitte zerteilt wurde. Xiron erkannte unzählige Passagiere, die zerstückelt aus dem Waggon geschleudert wurden und nun im Wasser mit den Trümmerteilen herumschwebten.
Nur langsam begriff Xiron, dass diese gewaltige Welle auch auf seine Baustelle zuraste. Sein Blick trennte sich daraufhin augenblicklich von dem schrecklichen Ereignis, dass unaufhaltsam auch seiner Baustelle bevorstand. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Lastengleiter zu, der immer noch die große Muschelplatte am Haken hielt. Die Steuerdüsen stellten bereits ihre Arbeit ein, da die kleine Welle vorübergezogen war. Ehe er das Funkgerät erneut zu seinem Mund führen konnte, um die Crew des Lastengleiters zu warnen, geschah schon das Unglaubliche. Ganz langsam, aber mit einer unsagbaren Endgültigkeit entkrampfte sich seine Flossenhand, die mittlerweile sein Funkgerät fest umschlossen hielt und entließ dieses nun ins Lebenswasser. Dessen noch leichte Strömung trug das sanft taumelnde Funkgerät von Xiron fort. Vor dem herannahenden Schrecken weiteten sich seine großen, runden Augen und schienen so seinen gesamten flachen Kopf auszufüllen. Sie registrierten die vielen, kaum sichtbaren, winzigen Lebewesen, die so derb fortbewegt wurden, dass für Xiron keine Chance mehr bestand, irgendetwas zu unternehmen.
Ihm war bewusst, dass der Kapitän des Lastengleiters den Widrigkeiten der Welle voll und ganz ausgeliefert war. Der Lastengleiter wurde ebenso wie die kleinen Lebewesen so derb mitgerissen, dass sich die Taue zum Bersten spannten. Der Lastengleiter drehte sich daraufhin um 90 Grad in die Welle und wurde augenblicklich mitgerissen. Der Kapitän des Lastengleiters aktivierte im selben Augenblick erneut die Steuerdüsen, um sich gegen die Welle zu stemmen. Erst langsam, aber immer mehr mit der Eigengeschwindigkeit der Welle, entfernte sich der Lastengleiter dennoch von der Baustelle weg. Die Muscheldecke setzte sich ebenfalls in Bewegung. Seine Mitarbeiter wurden ebenso von der Strömung durchs Wasser gewirbelt wie die unzähligen Arbeitsutensilien seiner Crew. Wäre die Platte nach oben mitgerissen wurden, wäre vielleicht nicht zu viel Schaden entstanden. Da aber der Lastengleiter eher nach unten gerissen wurde, während die Strömung ihn mitriss, senkte sich die große Platte hinab. So bewegte sie sich immer weiter in die schon fertiggestellten Wohneinheiten und riss unzählige Etagen dieser nieder. Wie eine riesige Flossenhand, die eine Spielzeugstadt niedermähte. Immer wieder wurde diese Zerstörungsfahrt durch die mächtigen, hochragenden Korallenarme gebremst, in deren Konstrukt die einzelnen Wohneinheiten hingen. Unter ohrenbetäubendem Krachen brach ein Korallenarm nach dem nächsten und riss Teile der Wohneinheiten, die in diesem Konstrukt verankert waren, mit sich. So hinterließ die Deckenplatte eine Schneise der Zerstörung. Erst als bereits unzählige Wohneinheitenzeilen von der Deckenplatte niedergemäht wurden, wirkte die Deckenplatte wie ein Anker, der sich in den so entstandenen Trümmern der Korallenverästelungen festkeilte.
So wurde nach einigen Dutzend Metern diese Zerstörungsfahrt beendet und der Lastengleiter stürzte ebenfalls in die Wohneinheiten. Aus dem Funkgerät ertönten die verzweifelten Rufe des Lastengleiterkapitäns. Trotz dessen, dass das Funkgerät schon einige Meter von Xiron fortgetrieben wurde, konnte er nun die zu entsetzten Schmerzensschreien werdenden Flüche des Kapitäns hören. Das Medium Wasser war eben ein guter Schallleiter.
Die Flüche des Kapitäns ebbten aber schnell ab. Dies war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass der Kapitän nun nicht mehr in der Lage war, Schmerzensschreie über den Äther zu senden, sondern vor allem deshalb, weil sich das Funkgerät immer schneller von Xiron fortbewegte.
Die Welle erreichte nun auch seinen Schwebepunkt, den er in den letzten Minuten innehielt. Das dumpfe Donnern der zerberstenden Trümmerteile, dass Xiron darauf vernahm, ebbte aber schnell ab. Hier schien das Wasser die auseinander berstenden Trümmerteile in ihrem Schallgetöse abzudämpfen. Deshalb konnten sich seine Ohren nur bedingt in Richtung des zerstörerischen Donnerns ausrichten. Langsam schmiegten sie sich daraufhin wieder an seinen flachen Kopf an.
Aber nur wenige Sekunden später spürte Xiron, wie sich seine Ohren von einem noch gewaltigeren Donnern wiederaufrichteten. Noch die Katastrophe in den Nervenbahnen als Schallquelle gespeichert, bewegten sie sich als allererstes in Richtung dieser zerstörerischen Katastrophe. Aber Xiron spürte schnell, wie seine Ohren nicht dies als Quelle des erneuten Donnerns ausmachten. Unentwegt versuchten sie sich in die Richtung zu bewegen, von der das Donnern wirklich zu kommen schien. Aber egal wie sehr sich Xiron anstrengte, seine Ohren konnten die Quelle nicht lokalisieren. Das grollende Donnern schien von überall her zu kommen. Es war ein gewaltiges Grollen. So etwas hatte Xiron noch nie gehört. Erst vermutete er, dass es sich um ein weiteres, noch mächtigeres Kernbeben handeln könnte. Aber diese Kernbeben erwiesen sich nie als so gewaltig. Und schon gar nicht in Begleitung eines solchen unheimlichen Grollens. Langsam löste sich Xiron aus seiner Lethargie, die ihn wie angewurzelt hier verharren ließ.
Er sah zu seinen Mitarbeitern, die er aber nicht mehr lokalisieren konnte. Überall, rings um ihn herum, breitete sich das Chaos aus. Wenn er nicht auch sterben wollte, wie wahrscheinlich in diesem Moment seine Crew, dann müsste er endlich damit beginnen, sich in Sicherheit zu bringen. Mit dieser Erkenntnis wandte er sich von dieser Katastrophe ab und begann damit, sich von diesem Ort des Schreckens zu entfernen. Langsam, aber immer kräftiger, schlug er seine Flossenbeine auf und ab. Um schneller vorwärts zu kommen, breitete er auch noch seine Flossenarme aus, um mit kräftigen Flossenarmbewegungen seine Geschwindigkeit zu erhöhen. Er wusste nicht, wohin er flüchten sollte. Ihm war klar, dass er ebenso keine Chance haben würde, sich zu retten, wie seine Crew. Mit Schrecken sah er immer wieder nach hinten, zu der gewaltigen Welle, die unaufhaltsam auch auf ihn zuraste. Er versuchte seine Schwimmbewegungen zu erhöhen. Aber umso schneller er seine Extremitäten