Die Gier des Staates. Peter Uhl
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Die Finanzverwaltung vermittelt den Eindruck, dass alle Bürger nur im Rahmen der Steuergesetze zur Finanzierung der Staatsaufgaben herangezogen werden und dass derjenige, der sich dem entziehen will, mit Strafe rechnen muss. Das Risiko, erwischt zu werden, ist vor allem für reiche Steuerpflichtige gestiegen, weil die Finanzverwaltung seit einigen Jahren sogenannte Steuer-CDs auf dem illegalen Schwarzmarkt erwirbt, die aus Steueroasen wie Liechtenstein, Schweiz, Luxemburg oder Panama stammen und die Daten von Steuersündern enthalten. Bekannte Namen tauchten in der Presse und in den Nachrichtensendungen im Fernsehen auf: Uli Hoeneß, Klaus Zumwinkel, Alice Schwarzer, Teo Sommer, Familie Engelhorn …
So gut wie unbekannt ist aber, dass sich nicht nur Steuerpflichtige, sondern auch Finanzbeamte zum Nachteil der Steuerpflichtigen nicht an Gesetz und Recht halten. In den Medien und auch in der wissenschaftlichen Literatur habe ich kaum Hinweise darüber gefunden, dass Finanzbeamte durchaus auch mal mit Vorsatz eine zu hohe Steuer festsetzen. Das mag daran liegen, dass solche Fälle selten bekannt werden; empirische Untersuchungen dazu liegen nicht vor.
In meinem langen Berufsleben habe ich Einblick in die Arbeitsweise der Finanzverwaltung, insbesondere der Betriebsprüfung erhalten und bin bis heute empört, in welchem Ausmaß Finanzbeamte bereit sind, Steuern bewusst zu hoch festzusetzen. Sie nehmen dabei sogar in Kauf, dass Steuerpflichtige dadurch in die Insolvenz getrieben werden. Jeden, der selbstständig tätig ist, kann das treffen.
Viele Jahre lang unterrichtete ich angehende Steuerberater und bereitete sie auf die Steuerberaterprüfung vor. Zum Unterricht gehörte auch, über Fehlverhalten von Finanzbeamten zu sprechen und wie man sich dagegen wehrt. Erstaunt war ich, wenn Kursteilnehmer sich dahingehend äußerten, dass sie das nicht glauben würden: »Ein Finanzbeamter tut so etwas nicht, er hat ja nichts davon.« Die meisten hatten allerdings gerade erst ihren Uni-Abschluss gemacht und kaum Berufserfahrung. Andere dagegen mit mehr Praxisbezug – vor allem Steuerfachangestellte – hatten bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt und baten mich um Tipps.
Was passiert einem Finanzbeamten, der sich nicht an das Gesetz hält und gegenüber einem Steuerpflichtigen mit Vorsatz eine zu hohe Einkommensteuer festsetzt? Ein Anliegen dieses Buchs ist es, die Antwort auf diese Frage zu finden, und ein weiteres, wie man sich gegen einen solchen Übergriff wehren kann.
Meine Beispiele über den geschilderten Verwaltungsmissbrauch kommen in einer nicht spezialisierten Steuerkanzlei in dieser großen Zahl nicht vor. In manchen Steuerkanzleien kommt ein vergleichbarer Fall in einem sehr langen Zeitraum vielleicht sogar nur einmal vor. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten mit der Interpretation. Was kann man aus einer einzelnen Fallgeschichte schon lernen? Man kann kaum erkennen, ob man es mit einem einzelnen besonders dummen, verantwortungslosen und/oder bösen Menschen zu tun hat, oder ob solch ein Fall systembedingt immer wieder geschieht. Gesicherte verallgemeinerungsfähige Aussagen lassen sich kaum gewinnen.2
Weil ich meine Berufstätigkeit aber auf die Übernahme von Mandaten beschränkte, die ein hohes Ausmaß rechtswidrigen Verwaltungshandelns aufwiesen, hatte ich nicht nur mit einem einzigen Fall, sondern mit vielen Fällen zu tun. Von einer fehlenden Verallgemeinerungsfähigkeit meines Materials kann man deshalb kaum sprechen, vielmehr können repräsentative Erkenntnisse über rechtswidriges Verwaltungshandeln gewonnen werden.
Betriebsprüfer und Veranlagungsbeamte stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen Rechtsbindung und Amtsinteresse. Da sie sich für Regelverletzungen zulasten des Bürgers nicht verantworten müssen – Finanzbeamte können sich wegen Rechtsbeugung nicht strafbar machen –, besteht bei ihnen keine Notwendigkeit oder innerliche Bereitschaft, für Rechtsverletzungen geradezustehen.3
Die Betriebsprüfer führen laufend Betriebsprüfungen durch, das ist ihr Alltagsgeschäft. Sie haben ein Verfahrenswissen, das ein Steuerpflichtiger nicht haben kann, weil er mit Prüfungen relativ selten zu tun hat. Der Steuerzahler kennt deshalb auch die zahlreichen psychologischen Tricks nicht, die Prüfer anwenden, um sich durchzusetzen. Ein Prüfer erkennt schnell, ob sich ein Steuerpflichtiger zu wehren weiß, und wird dann vorsichtig agieren. In den meisten Fällen wird sich der Steuerpflichtige aber alleine nicht zu helfen wissen. Der Prüfer weiß das und kann seine Macht entsprechend missbrauchen. Insbesondere ältere Bürger und Menschen mit wenig Wissen über rechtliche Fragen fühlen sich durch die zunehmende Regelungsflut überfordert. Sie verstehen Verwaltungsabläufe nicht und haben auch keine Kompetenz im schriftlichen Umgang mit Behörden. Das führt zu einer großen sozialen Distanz zwischen Bürger und Verwaltungspersonal. In vielen Fällen stehen Bürger einer mangelnden Dienstleistungsbereitschaft des Verwaltungspersonals hilflos gegenüber.4
Bei allen Fällen, die ich in diesem Buch darstelle, sind die Namen der beteiligten Personen geändert, die betroffenen Finanzämter werden jedoch genannt. Die Lösungshinweise entsprechen der Rechtslage, die in den Jahren galt, als die Finanzämter die Sachverhalte aufgriffen. Inzwischen hat sich bei einigen Sachverhalten die Rechtslage geändert, worauf ich nicht eingehen werde. Es kommt mir bei den Beispielen nur darauf an zu zeigen, dass man Finanzbeamten grundsätzlich nicht trauen darf. Alles muss hinterfragt werden, auch wenn es Zeit kostet.
Teil I
Hilf dir selbst, so hilft dir Gott
1. Die Geschichte mit den Weintanks
Im Wintersemester 1957/58 immatrikulierte ich mich an der Ludwig-Maximilian-Universität in München und begann mit dem Studium der Betriebswirtschaftslehre. Besonders motiviert war ich nicht, bis ich von meiner Mutter einen verzweifelten Brief bekam: Bei meinen Eltern hatte das Finanzamt eine Betriebsprüfung durchgeführt, die zu sehr hohen Steuernachzahlungen führte. Die Betriebsprüfung bezog sich auf Betriebe meines Großvaters, die meine Mutter 1948 geerbt hatte. Nachdem ihr Steuerberater nicht helfen konnte, sah sie in mir die letzte Chance.
Zu den Betrieben meines Großvaters gehörten eine Obstkelterei, eine Brennerei und eine Likörfabrik. In seinem Geschäftshaus befanden sich in einem Keller, in dem Weinfässer lagerten, auch vier große gemauerte Tanks, die innen gefliest waren. Mein Großvater hatte für seine Brennerei aus Frankreich Wein importiert, den er in diesen Weintanks lagerte. Jeder Tank hatte ein Fassungsvermögen von 20.000 Litern. Während des Kriegs wurden die Tanks durch von Bomben verursachte Erschütterungen stark beschädigt. Eine Reparatur war zunächst nicht möglich, weil alle Bürger der Stadt evakuiert wurden. Nach Kriegsende besetzte französisches Militär die Stadt und gab sie erst ab 1951 nach und nach wieder frei.
Eines Tages meldete sich ein Geschäftsfreund meines Großvaters bei meinen Eltern, der aufgrund seiner früheren geschäftlichen Kontakte Kenntnis von den Weintanks hatte. Für die Einfuhr von Wein aus Frankreich war eine Einfuhrgenehmigung erforderlich, die deutschen Staatsbürgern während der Besatzungszeit nicht mehr erteilt wurde. Andere Unternehmer bekamen zwar eine Einfuhrgenehmigung, hatten aber keine Lagerkapazität. Durch den Besuch des Kaufmanns eröffnete sich für meine Eltern die Chance, endlich wieder ein Einkommen zu erzielen. Sie nahmen einen Kredit auf, ließen die Weintanks reparieren und vermieteten sie anschließend zu günstigen Konditionen an besagten Geschäftsmann.
Dazu muss man wissen, dass nach Abzug des französischen Militärs auch die Behörden wieder aktiv wurden. Im Dritten Reich waren Beamte, insbesondere leitende Beamte, meistens Parteigenossen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Das galt auch für die Finanzverwaltung.5 Nach der Freigabe der Stadt 1951/52 übernahmen dieselben Finanzbeamten, die 1945 ihre Arbeit verloren hatten, ihre früheren Arbeitsplätze wieder und sorgten bis zu ihrer Pensionierung zwangsläufig für eine Kontinuität des vom Dritten Reich geprägten Verwaltungshandelns in der Bundesrepublik Deutschland.6