Der Makel der Freiheit. Axel-Johannes Korb

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Der Makel der Freiheit - Axel-Johannes Korb

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Blick zu entbieten. Schließlich wagte er sich in die Mitte des Raumes und blieb an der Tafel in Höhe eines Porzellanaufsatzes stehen, auf dem in einem Idyll Hirten und Frauen tanzten, während andere Figürchen zwischen filigranen Blumen auf der Flöte bliesen. Einen unendlichen Moment rührte sich der Besucher im Bann der Schäferszene kaum, verneigte dann aber sein Haupt mehrfach tief, wandte sich abwechselnd nach links und nach rechts.

      Der Zivile schob seinen silbernen Teller beiseite und sah den Ankömmling fragend an, der sein Gesicht nun zum Boden kehrte. Er wurde ungeduldig und hieb mit der Faust auf die Tafel, dass die geschliffenen Gläser hüpften: „Nun, hätte Er die Güte, sich vorzustellen?! Oder will Er uns für den Rest des Abends demonstrieren, wie gut Er mit dem Kopf zu nicken imstande ist?“ – „Beruhigt Euch, Dalberg!“, warf hier sein Gegenüber ein, „erkennt Ihr denn einen Eurer eigenen Beamten nicht wieder? Das ist Hardy, er ist ein Neuling hier.“ Der Genannte begann seine Zunge zu bewegen, innerlich die Worte zu sortieren und zu stammeln: „Ganz recht …, ganz recht …, neu in der Stadt. Wenn ich mich untertänigst vorstellen darf: Hardy mein Name, Edmund Hardy. Meines Zeichens hiesiger kurfürstlicher Vogt. Es ist mir eine Ehre durchlauchtigster, hochfürstlichster Koadjutor, auf Eurem Territorium …“ – „Ich bin nicht ,Durchlaucht‘“, unterbrach Dalberg den kleinen Mann mit dem kahlen Kopf, „und ebenso wenig ,hochfürstlich‘. Es handelt sich auch nicht um ,mein Territorium‘, sondern um das des Kurfürsten. Allenfalls mit der Bezeichnung Koadjutor liegt Er richtig.“

      Hardy begann erneut, mit dem Kopf zu nicken, verneigte sich mehrmals und schlug dabei die Augen nieder. Wieder blieb er eine Weile stumm. Wieder hieb Dalberg mit der Faust auf den Tisch und wandte sich ungeduldig an sein Gegenüber: „Abt Marcellus, was will dieser Mensch hier, der mir den Buckel macht?“ – „Hardy“, sagte der junge Abt gütig, „setzt Euch zu uns und teilt uns mit, was Euch zu uns führt!“ Der Vogt fuhr erschrocken herum und blickte den Abt an. Zugleich wurde ihm vom livrierten Bedienten ein Stuhl herangeschoben, ein Gedeck an der Tafel in Höhe des Schäferspiels aus Porzellan zurechtgelegt und von den üppig gefüllten Platten serviert.

      Der Vogt ließ sich nieder, saß nun aufrecht auf einem gut gepolsterten Stuhl, wandte sich zu Dalberg und stotterte aufs Neue: „Gestatten, Euer Eminenz …?“Hier setzte er aus, als ob seine Lippen versagten. Dalberg sagte laut: „Herrgott! Ich bin auch nicht ,Eminenz‘. Ich gedachte, mein Diner nach einem langen Tag in Ruhe einnehmen zu können, Er aber scheint mir, ein Tagdieb oder Taugenichts zu sein.“ – „Nicht doch, Euer Gnaden … Ein Tagdieb? Ich? Es ist nur, ich habe …, ich habe einen Grund für mein Erscheinen.“ – „Und der wäre?“ – „Ich habe Euer hochfürstlichen …“, hier räusperte sich Hardy vernehmlich, „dem hochwürdigsten Herrn Koadjutor aus der kurfürstlichen Hauptstadt ein Schreiben zu überbringen, das vor etwa einer halben Stunde an die Vogtei per reitendem Boten übermittelt wurde. Es ist seit Tagen bekannt, dass Ihr in der Stadt weilt. Ich dachte, es wäre gut, es an Euch unverzüglich weiterzuleiten.“

      Dalberg hatte sehr wohl registriert, dass Hardy schon mit einem Schriftstück in der Hand in den festlichen Saal eingetreten war, dass er es aber vor Aufregung ausdauernd in den Händen geknetet hatte. Der Vogt überreichte das Papier dem Bedienten, der es an den Koadjutor weiterleitete. Dieser fasste es nur mit spitzen Fingern an und betrachtete das Siegel der kurfürstlichen Kanzlei. Der Abt blickte hinüber und sorgte sich ob des Inhalts. Seit Tagen erwartete man Nachricht aus der Hauptstadt. Hier war sie endlich. Plötzlich pochte das Herz laut in seiner Brust.

      Dalberg aber sagte in größter Ruhe: „Er ist von unvergleichlichem Scharfsinn, der Herr Vogt. Es ist tatsächlich seine Pflicht, mir dies hier zu bringen. Er ist brav …, brav und tüchtig. Ein guter Bote. Er gefällt mir sehr.“ – „Immer zu Diensten“, stammelte der so gelobte Gast an der vornehmen Tafel, „… immer zu Diensten, hochfürstliche …, durchlauchtigste …“ Dalberg blitzte den kahlen Vogt mit scharfen Augen an, der daraufhin wieder verstummte und den Blick erneut gen Boden neigte. „Esse Er etwas und sei Er ruhig! Er täte gut daran. Ich bitte Ihn inständig: Esse er etwas!“ – „Aber Euer Gnaden … es ist Passionswoche. Erlaubt die untertänigste Frage: Sollte man nicht fasten?“ – „Er ist mir der Rechte, mich etwas zu fragen. Essen soll Er, der Herr Vogt, essen und schweigen.“ Hardy, der sich fromm an die Fastengebote hielt und eine ungelüftete Zimmerblässe davongetragen hatte, nahm gehorsam das Besteck in die Hand, machte sich am Braten zu schaffen, öffnete den Mund, wobei hinter seinen wulstigen Lippen kleine, spitze Zähne zum Vorschein kamen, und steckte den ersten Bissen widerwillig hinein. Als er endlich zum Schweigen gebracht war, wirkten Abt Marcellus und Koadjutor Dalberg zufrieden.

      Das Schriftstück wurde entfaltet und gelesen. Dalberg hob alsbald die Augen auf und starrte einen Augenblick ins Leere. Dann schmiss er das Papier in den Teller, sodass es in der Bratensoße landete. Er sprach langsam und vernehmlich: „Die Hauptstadt ist genommen.“ Er stand derart schnell vom Tisch auf, dass sein Stuhl umfiel. Die Lehne schepperte laut auf dem Parkettboden. Dem Vogt blieb in diesem Moment der Bissen im Halse stecken. Er würgte, ehe er sich mit einem Glas Wein Abhilfe schaffte.

      Abt Marcellus hingegen sah auf der festlichen Tafel herum und sprach: „Was wird nun aus uns?“ Dalberg begann, im festlichen Zimmer auf und ab zu schreiten: „Das Jagdvergnügen werden wir wohl abstellen müssen.“ – „Auch in dieser Situation seid Ihr um keinen Scherz verlegen, Dalberg.“ – „In der Tat“, Dalberg umkreiste mit auf dem Rücken verschränkten Armen die Tafel, „meinen Humor gedenke ich, nicht zu verlieren. Manchmal ist alles zum Lachen. Aber eines sage ich Euch, Abt Marcellus, es kommen große Veränderungen auf uns zu, auf Euch und mich und auch auf das kleine Vögtlein hier. Jetzt ist es soweit. Die Hauptstadt war die letzte Festung. Die Truppen der Revolution werden am Rhein nicht stehen bleiben. Sie werden nach Osten vordringen und bald auch vor den Toren dieser kleinen Stadt stehen. Wenn Ihr ihnen dann keinen Einlass gewähren wollt, so werden sie die Mauern beschießen und in kürzester Zeit der alten Herrlichkeit ein Ende bereiten. Glaubt mir, Ihr tätet besser daran, Euch ihnen in die Arme zu werfen, als ihnen in den Arm zu fallen. Denn von dieser Armee geht das Neue aus, und das Alte wird nicht mehr sein.“

      Jetzt richtete der Abt seinen Blick auf den im Raum umherkreisenden Dalberg: „Meint Ihr das wirklich? Wie könnt Ihr nur so wenig zuversichtlich sein? Die Franzosen kommen, ja – aber sie werden auch wieder gehen.“ – „Das mag sein. Aber sie werden etwas hinterlassen, sie werden in den Köpfen etwas freisetzen, von dem die Menschen bisher nicht zu träumen gewagt haben. Sie werden den Gedanken der Freiheit zurücklassen.“ Abt Marcellus erwiderte: „Wie könnt Ihr so reden? Ihr als Geistlicher, Ihr seid doch selbst betroffen. Ihr wollt einmal Kurfürst und Kanzler des Reiches werden. Dennoch gebt Ihr Euch mit dem revolutionären Pack ab, das marodierend durch unser Land zieht.“ – „Ihr solltet Euch gut überlegen, was Ihr sagt. In zweifacher Hinsicht. Zügelt Eure Zunge und denkt nach, bevor Ihr sprecht! Kurfürsten und Kanzler, Kaiser und Könige? Ich weiß nicht, ob es das noch geben wird. Sie haben aber eine Chance. Nur die Äbte und Bischöfe, die werden es schwer haben. Eure Zukunft, lieber Marcellus, ist ungewiss, meine nicht.“ – „Die Franzosen waren vor mehr als dreißig Jahren das letzte Mal hier. Sie sind gekommen und wieder gegangen. Alles blieb so, wie es war. Die alte Ordnung wurde erhalten. Wer hat nicht schon versucht, das Neue zu schaffen und das Alte zu beseitigen? Erst waren es die Bauern mit ihren Mistgabeln und dann die Schweden mit ihrer Häresie. Wir aber haben sie besiegt, im Kampfe und im Geiste. Seit bald tausend Jahren sind wir hier. Wir werden hier auch bleiben.“

      Hardy verfolgte den Disput mit Unbehagen, aß aber weiter, weil es der Koadjutor so befohlen hatte. Je hitziger die Worte gewechselt wurden, desto mehr Wein trank er, sodass sich seine ungelüftete Zimmerblässe ins Rötliche wandelte. Dalberg hingegen machte eine bedeutungsvolle Pause, trat dicht an den sitzenden Marcellus heran und hauchte: „Tausend Jahre sind genug!“ Danach ging er an den Sekretär, der in einem Winkel des Saales aufgestellt war, setzte sich und fuchtelte an den Federn herum: „Ich muss sofort an den Kurfürsten schreiben, um das Weitere abzustimmen, außerdem an den Kaiser in Wien. Wir wollen sehen, was aus der Sache wird. Es stehen große Veränderungen bevor … große Veränderungen

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