Der Makel der Freiheit. Axel-Johannes Korb
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Drinnen richtete der Bediente am Sekretär sofort neues Papier und neue Tinte her. Dalberg setzte sich und schrieb. Nachdem er fertig war und das Siegelwachs auf das Papier träufelte, sagte er zum Abt, der immer noch am Ende der Tafel saß, dessen Blick aber wieder leer war: „Goethe hatte recht.“ Der Abt stutzte: „Womit?“ Dalberg presste seinen Siegelring in das heiße Wachs: „Er hat mir vor nicht allzu langer Zeit geschrieben. Er hat mit seinem Weimarer Fürsten der Schlacht von Valmy beigewohnt und die Revolutionstruppen gegen die Preußen siegen sehen. Er schrieb mir, es beginne nun eine neue Epoche in der Weltgeschichte. Aufseiten der Franzosen stehe die historische Notwendigkeit.“ Marcellus erwiderte trotzig: „Ihr und Euer Goethe – dieser elende, nichtsnutzige Träumer, der ganz Deutschland mit seinem Schreiberdunst vernebelt. Eure Zeit in Erfurt hat Euch den Kopf ganz verwirrt. Seid redlich, Dalberg, und lasst die Träumer aus dem Spiel!“
Dalberg überreichte die versiegelten Briefe dem Bedienten, schritt ruhig auf den Abt zu, nahm sich den gepolsterten Stuhl, auf dem der Vogt gerade noch gesessen hatte, und rückte dicht an Marcellus heran: „Träumer nennt Ihr sie, und Träumer sind sie. Aber das Träumen hat eine Revolution ins Rollen gebracht. Der erste König musste sein Haupt schon unter die scharfe Schneide der Guillotine legen. Wer weiß, wie viele noch folgen werden? Glaubt mir, Abt Marcellus, mit der Klosterherrlichkeit ist es bald vorbei! Die Träumer gewinnen die Oberhand, ihnen gehört die Zukunft. Die Idee wird mehr zählen als das alte Recht. Die Idee wird ihr eigenes, ganz neues Recht schaffen. Wer sich gegen das Neue wehrt, der wird darüber den Kopf verlieren.“ Marcellus schwieg eine Weile betreten: „Ihr seid ein unverbesserlicher Illuminat, Dalberg. Wenn ich nicht wüsste, dass Ihr Priester, Domherr und Bischof wärt, ich könnte es nicht glauben. Zählt nicht der Glaube mehr als das Wissen, zählt es nicht mehr, wenn wir Gott vertrauen?“ – „Schweigt doch, Marcellus! Ich bitte Euch: Schweigt und redet nicht von Dingen, die Euer kleines Herz nicht fassen kann! Ihr haltet mir meinen Goethe vor. Dann halte ich Euch Euren Gott vor.“ Dalberg nahm die Gabel des Abtes vom Teller, spießte ein Stück Braten auf und hielt es vor die Augen seines Gegenübers: „Euer Städtchen ist so beschränkt. Ihr seid alle nur die Sklaven Eurer Mauern. Denkt doch daran, dass es dahinter noch Tausende von Meilen weitergeht, dass die Sterne nur auf ihre Entdeckung warten.“ Dabei kreiste er mit der Gabel in der Luft. „Es mag sein“, sagte der Abt verbittert, „dass die Sterne nur auf uns warten, dass es Millionen von Meilen in den Weltraum hinausgeht. Aber genauso weit geht es auch in uns Menschen hinein. Merkt Euch das, Dalberg, merkt Euch, wie groß der Kosmos ist, der ohne Sterne und Sonnen auskommt!“ Die Stimme der Abtes war gegen Ende seiner Worte feindselig geworden. Der Koadjutor lehnte sich zurück, steckte die Daumen in die Westentaschen, schmunzelte und begann, laut zu lachen. Er lachte, dass es im festlichen Raume nur so schallte.
Nachdem Dalberg sich wieder beruhigt hatte, wurden die Anweisungen gegeben. Sofort möge man Schultheiß Bonifaz Kramer vom zu erwartenden Herannahen der Revolution verständigen. Der Nachtwächter solle die Nachricht bei nächster Gelegenheit in der Stadt verbreiten. Es sei Ruhe zu bewahren. Dalberg gab Order, seine vierspännige Kutsche vorzubereiten, zog sich in das kaiserliche Kabinett zurück, in dem er die vergangenen Tage und Wochen genächtigt hatte, ließ sein Gepäck zusammenraffen und kleidete sich in edle Gewänder, die seines Ranges würdig waren, obgleich er lieber den Jagdanzug trug. Doch dort, wo er nun hinfuhr, musste er amtlich als Koadjutor erscheinen und seine Bedeutung durch das Ornat unterstreichen. Er wollte noch in dieser Nacht in die Zweitresidenz gelangen, wo er den Kurfürsten vermutete, danach sollte es nach Prag weitergehen.
Der Diener erschien und meldete Reisefertigkeit. Unten im Hof bestieg Dalberg das schwarz lackierte Gefährt mit dem kurfürstlichen Wappen am Schlag. Auf dem Kopf trug er die frisch gepuderte Perücke. Zum Abt, der ihn verabschiedete, sprach er noch: „Ich wünsche Euch Glück, lieber Marcellus. Begeht würdige Ostertage! Und denkt an meine Worte: Den Träumern gehört die Zukunft!“ Dann gab er das Zeichen zum Aufbruch. Das Gefährt setzte sich in Bewegung und verschwand durch das schmiedeeiserne Tor in die schwarze Nacht.
VI
Bonifaz sah es nicht gern, wenn Kilian an den Nachmittagen mit dem Geigenkasten unter dem Arm das Haus verließ, um damit durch Feld und Wald zu streifen. Er hatte sich seinen Sohn noch einmal zur Brust genommen, hatte ihn an die Übereinkunft erinnert, hatte ihn ermahnt, sich nützlich zu machen, sei es in der Apotheke bei Bruder Jeremias oder wo auch immer, gerade jetzt könne man keine Träumereien gebrauchen, es gelte, sich auf den Krieg vorzubereiten. Das sei eine harte Sache und habe nichts mit nutzlosem Zeitvertreib zu tun.
Als Taugenichts wollte sich Kilian nicht bezeichnen lassen. Er verwies auf seine morgendliche Tätigkeit in der Apotheke und beklagte sich zugleich über den Apothekenbruder, der es nicht duldete, wenn sich sein Gehilfe aufwendigen Prozeduren zuwandte und hierzu in den dicken Folianten mit ihren farbigen Darstellungen schmökerte. Bruder Jeremias schlage ihm das Buch regelmäßig unter der Nase zu. Bonifaz wollte davon nichts hören. Kilian dachte, der Grund für seine Abneigung gegen diese Berichte sei die Vermutung, der Sohn entziehe sich bequem dem Unbequemen.
Bonifaz Kramer konnte es hingegen nicht ertragen, wie sein Sohn zum Diener pfäffischen Gehabes wurde. So ermahnte er ihn zwar in aller Deutlichkeit zum Schaffen, wusste sich aber hilflos und akzeptierte in aller Heimlichkeit den Drang Kilians, mit dem Geigenkasten unter dem Arm ins Freie zu kommen, um die engen Mauern der Stadt an den Nachmittagen hinter sich zu lassen und für einige Stunden das Weite zu suchen.
Erst aus der Ferne vermochte es Kilian, versöhnlich auf die Stadt zu blicken. Die Mauern, die bunten Balken, die vier Tortürme und die eng gedrängten Dächer schauten weit über alle Land. Am prächtigsten nahm sich das Ensemble der leicht erhöht liegenden drei Kirchen mit ihren fünf Türmen aus. Sie reckten ihren roten Sandstein in den Himmel, während es schien, als wollten ihre Schieferdächer das Grau des Spätwinters spiegeln. Die Klosterbasilika selbst war mit einem goldenen Verkündungsengel bekrönt, der in seinem Glanz alles Übrige festlich überragen und beherrschen mochte, obgleich er sein Fähnchen doch nur nach dem Wind richtete.
Dass sich die Sonne schon seit Wochen nicht mehr gezeigt hatte, bedrückte Kilian auf weiter Flur weniger als in der engen Stadt. Hier draußen wirkte das Leben leichter und heiterer. Sein Blick glitt über das flache Land. In der Ferne grüßten die bewaldeten Hügel. Verstreut fanden sich die kleinen Weiler der Bauern. Er pfiff sein Liedchen weg und konnte das Ausschlagen der Bäume kaum erwarten.
Kilian liebte den rauschenden Bach, der seinen Weg geleitete, liebte das in steter Bewegung befangene Mühlrad und liebte den grünen Wiesenhang, auf dem das Müllerhaus wie eine Kapelle thronte. Hier traf er seinen Freund Hyazinth, den jungen Müller, der die Maschinen klappern ließ und dessen Gesicht stets weiße Staubspuren zeigte.
Hyazinth war ein kleines Männlein. Sein Kinn wurde von einer tiefen Grube in zwei Hälften geteilt. Seine Augen waren von grauen Kreisen umrandet, seine Arme schwer und muskulös. Des Morgens lieferten die Bauern ihre Säcke auf Karren und Wagen an, um sie noch am selben Tage abzuholen. Hyazinth schleppte sie hinein zu den großen Trichtern, wo er ihren Inhalt dem ratternden Mahlwerk