Kurze Morde, kurzer Prozess: Krimisammlung. Alfred Bekker
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Читать онлайн книгу Kurze Morde, kurzer Prozess: Krimisammlung - Alfred Bekker страница 7
„Völlig unmöglich!“ Die alte Antwort. Der rundliche Doug winkte ab. „Du weißt ja, der Haussegen hängt seit langem schief, und wenn ich nicht ständig nachgebe, schnappt meine Maggie vollends über.“
Al nickte voll Mitgefühl, während er angesichts einer streunenden Katze vorsichtig die Hupe antippte. „Blödes Biest!“ zischte er leise und meinte das Tier im fahlen, tristen Mondlicht.
„Ja, da hast du Recht! Manchmal glaube ich, wenn ich kein Polizist wäre, würde ich sie kurzerhand umbringen.“
Sein jüngerer Streifenkollege blickte fragend auf. „Die Katze? Oder – deine Frau?“
Brummig schob Doug seine Schildmütze tiefer in die Stirn.
„Ja, einfach umbringen und dann vergraben“, fuhr er gedankenlos fort. „Im Garten, unterm Frührosenbeet, ganz so, wie der's da drüben macht!“ Mit dem Finger deutete er in die Dunkelheit, bis er mit einem Male begriff, was er soeben gesagt und gesehen hatte.
„Halt an, Al! Gütiger Himmel – da drüben gräbt doch tatsächlich einer um drei Uhr morgens mit Hacke und Schaufel in seinem Garten!“
Mit einem Satz waren sie sie aus dem Streifenwagen, zogen ihre Dienstpistolen aus den Halftern und näherten sich rasch dem Gartengrundstück hinter einem Bungalow.
Mord in Bailer City! Das langersehnte Ereignis war endlich eingetroffen.
„Sie kenn' ich doch, Freundchen! Sind Sie nicht Earl Warren?“ Doug leuchtete dem schwitzenden Mann mit einer Stablampe ins Gesicht. Warren war überall als der „einfältige Earl“ bekannt, ein zurückgebliebener junger Mann, welche bei Mutter und Schwester in Pflege wohnte.
„Was graben Sie denn nachts in Ihrem Garten? Oder sollte ich lieber 'vergraben' sagen?“ Al hielt ihn von hinten im Griff, während Doug den Boden ableuchtete. Die frisch zugeschaufelte Stelle glich in der Form exakt einem Grab...
Earl gab keine Antwort. Und so führten sie ihn auf das Haus zu. Plötzlich nahm Doug erneut weiches Erdreich unter seinen Füßen wahr.
„Der Teufel soll mich holen, wenn hier nicht auch schon gegraben wurde!“
Wieder strich der schmale Lichtkegel über den aufgewühlten Rasen. Die beiden Cops stießen einen Laut der Überraschung aus.
„Halt mich fest, Al“, rief Doug völlig verblüfft aus. „Zwei – drei – vier – nein, fünf Gräber! Um Himmels Willen, jetzt ist der arme Earl vollends verrückt geworden.“
„Ich war's nicht. Ich war's nicht!“ murmelte der Einfältige jetzt andauernd und rang sich die zerschundenen, blutigen Hände. Al ging zum Streifenwagen zurück und verständigte über Funk den Sheriff.
„Man hätte ihn ihn schon lange in eine Anstalt bringen sollen!“ Sheriff Scanlon stand wie eine Statue mit hochgekrempelten Ärmeln auf der Terrasse und schaute seinen Leuten zu, die im Scheinwerferlicht die Gräber auf schaufelten.
Drinnen bei Al und Doug war der einfältige Earl nicht viel gesprächiger.
„Und du behauptest wirklich im Ernst, du hättest niemanden vergraben, obwohl das ganze Haus leer ist? Wo ist deine Mutter? Und wo deine Schwester?“
Mit leerem Ausdruck starrte sie der kranke Mann an. „Ma und Sis sind zu einer Tante gefahren! Weiß nicht, wohin. Fragt Tyler Shoovogel!“ Er war den Tränen nahe.
Al schüttelte sich fröstelnd. „Er wird diese Tante gleich auch noch um die Ecke gebracht haben. Bleibt dann nur noch offen, wer im vierten und fünften Grab liegt!“
Sheriff Scanlon war von der Terrasse ins Wohnzimmer getreten. Sein Gesicht war bleich wie ein Totenhemd. „Was faselt er da immer von einem Tyler Shoovogel?“
„Den sollen wir fragen“, gab Al lakonisch zur Antwort.
„Dann fragt ihn auch! Erkundigt Euch bei der Zentrale, wo dieser Vogel wohnt, und fahrt hin!“
An der Eingangstür des baufälligen Hauses hatte jemand in grauer Vorzeit ein bleiches Messingschild angebracht. TYLER SHOOVOGEL war mit einiger Mühe zu entziffern, und darunter 8 BIS 17 UHR.
„Sieht mir nicht gerade nach einer Arztpraxis aus“ Doug knipste die Stablampe an und zog an der Glocke.
Tyler Shoovogel, sein verschlafenes Ich in einen zottigen Bademantel gehüllt, hatte Ähnlichkeit mit einem alten Habicht.
„Haben Sie mich dienstlich oder privat geweckt?“ wollte er krächzend wissen.
„Dienstlich! Welche Tätigkeit üben Sie denn aus?“
„Nun, ich bin der amtliche Totengräber“, sagte er, während er die Beamten hereinbat. „Was kann ich für Sie tun?“
„Totengräber?“ kombinierte Al. „kennen Sie den jungen Earl Warren?“
„Das kann man wohl sagen“ meinte Shoovogel lächelnd. „Hat er denn etwas ausgefressen?“
In dienstlichem Übereifer erzählten beide, was in dieser Nacht in Bailer City vorgefallen war. Als sie zu Ende waren, brach der Totengräber in lautes, meckerndes Gelächter aus.
„Sehen Sie, Officers“, erklärte er lächelnd, „auch Einfältige, so begrenzt ihr Horizont nun einmal ist, haben ihre eigene Logik. Ich schrieb vor ein paar Tagen eine Lehrstelle für Totengräber aus, weil ich langsam an meine Pensionierung denken muss. Es meldeten sich fünf Leute, darunter Earl Warren, der schon immer gern eine einfache Arbeit gehabt hätte. Ich wollte keinen bevorzugen und hieß deshalb, in einer Woche zu einer kleinen Prüfung wiederzukommen. Wer mit dem größten Geschick ein Grab ausschaufeln kann, wir die Stelle bekommen. Anscheinend muss sich Earl das sehr zu Herzen genommen haben, und als seine Mutter samt Schwester nach Texas runtergefahren sind – Mrs. Warren hat mich am Telefon darüber informiert - , hat er wohl die Gelegenheit wahrgenommen, um zu üben!“
„Dann sind alle fünf Gräber leer?“
„Das ist wohl anzunehmen, Officers. Ich glaube nicht, dass Earl jemanden töten könnte. Warum auch? Vermutlich ist er glücklicher als wir alle.“
Kein Mord in Bailer City! Der Traum vom großen Knüller war geplatzt wie eine Seifenblase.
In der Nacht darauf, so gegen elf, schaute Doug kurz bei Earl herein. Al wartete draußen im Wagen.
„Ich wollte Ihnen nur sagen, Earl, dass der Sheriff jetzt, wo alles geklärt ist, nichts mehr dagegen hat, wenn Sie 'n bisschen buddeln, um noch zu üben. Nur die Nachbarn sollten's halt nicht merken.“
„Das is aber mächtig nett von Ihnen“, strahlte Earl übers ganze Gesicht.
Als Doug durch den Garten zurück ging, dachte er wieder an die Kegelabende seiner Kollegen. Und dabei automatisch an seine Maggie, die ihm selbst diese bescheidene Freude vermieste. Schließlich landeten seine Gedanken wieder bei dem verrückten Grabschaufler – wer wusste, ob man den nicht einmal brauchen könnte...!
ENDE
2020NureinkleinerMordvonReinerFrankHornig